© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/98  08. Mai 1998

 
 
Vertriebene: Harte Zeiten für den Dachverband
Mut zur Ehrlichkeit
von Hans-Peter Rissmann

Wie lange noch? Diese Frage bewegt Sympathisanten wie Gegner des Bundes der Vertriebenen (BdV) schon seit längerem. Wie lange wird es den BdV und seine Landsmannschaften als Großorganisationen noch geben? Wie will man nachhaltig auf die fortschreitende Auszehrung reagieren?

Auf der diesjährigen Bundesversammlung des BdV im alten Preußischen Landtag zu Berlin schienen diese Fragen jedoch wieder einmal keine Rolle zu spielen. Alles wie gehabt. Wenn die schleichende Ausdünnung überhaupt spürbar wurde, dann ausschließlich in Beitragsdebatten. Etliche BdV-Untergliederungen machten klar, daß sie schon jetzt finanziell eigentlich am Ende seien.

Die neugewählte Präsidentin Erika Steinbach schien das wenig zu berühren. Sie gab sich statt dessen wahlkampfbeflügelt offensiv. Den Dialog wolle man suchen mit allen demokratischen Parteien, aber auch Zähne werde man zeigen. Die 54jährige gebürtige Westpreußin sitzt für die CDU im Bundestag, ihr sudetendeutscher Vorgänger Fritz Wittmann für die CSU. Das ist wichtig im BdV, wie einer der sechs Vizepräsidenten schmerzhaft erkennen mußte. Paul Latussek aus Thüringen hatte sich im Januar dem Bund Freier Bürger (BFB) angeschlossen, und fiel prompt als einziger Kandidat bei der Wiederwahl durch. An seiner Statt sitzt nun der bisher kaum als Vertriebenenpolitiker in Erscheinung getretene sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Meinl als Mitteldeutscher auf dem Sessel eines Vizepräsidenten. Latussek bitter: "Hier geht es nicht mehr um Vertriebenenpolitik, sondern um Parteipolitik."

Wie nah er damit an der Wahrheit sein könnte, bestätigte ausgerechnet Ehrengast Rupert Scholz (CDU). Der Ex-Verteidigungsminister meinte süffisant, daß er auf ein Grußwort eigentlich verzichten könne, weil er doch mit lauter Unions-Kollegen unter sich sei. Nicht wenige der gut hundert Delegierten vermochten darüber kaum zu schmunzeln.

Offiziell hat der BdV mit zurückgehenden Mitgliederzahlen keine Probleme. Zwei Millionen Menschen vertrete man. Ob die das wissen? Ein einfaches Rechenexempel verdeutlicht die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Der BdV verfügt über einen Jahresetat von rund vier Millionen Mark, von denen nicht einmal ein Zehntel selbst aufgebracht werden, der Rest ist staatliche Förderung. Pro angeblichem Mitglied läge der Jahresbeitrag somit bei einigen Pfennigen.

Erika Steinbach kündigte an, den Bund der Vertriebenen künftig finanziell stärker auf eigene Beine stellen zu wollen. Wie das gelingen soll, steht indes in den Sternen. Und die Zeit läuft den Vertriebenen nicht nur mittelfristig davon. Schon Ende des Jahres könnte eine neue Bundesregierung dem BdV die finanzielle Basis nehmen.

Für die von unübersehbar ehrlichem Idealismus angetriebenen Mitarbeiter eine bittere Aussicht. Für den Verband aber, für die Vertriebenenarbeit insgesamt, könnte das Desaster auch einen positiven Effekt auslösen. Die abermals ausgeklammerte grundsätzliche Perspektivdebatte wäre dann nicht mehr aufzuschieben. Auch die Abhängigkeit von der Union könnte sich lösen, vor allem die staatlichen Zuwendungen machen schließlich auch erpreßbar.

Die markigen Worte, die die neue BdV-Präsidentin etwa gegen die deutsch-tschechische Erklärung fand, muten da an wie der Teil eines Spiels mit verteilten Rollen. Die Vertriebenen sollen brav unterm Dach der CDU/CSU bleiben, weil die Steinbachs, Wittmanns usw. wacker für ihre Interessen streiten. Die Regierung Kohl aber unterzeichnet gleichzeitig Dinge wie die umstrittene Erklärung mit Prag. Schuld ist dann im Zweifel die kleine FDP, als hätte Klaus Kinkel die Richtlinienkompetenz in Bonn und nicht der Kanzler. Alle Zweifler werden letztlich mit dem Argument zur Strecke gebracht, daß die Bonner Union ja das Geld besorge.

So verkommt der BdV zunehmend zu einem gewaltigen Placebo, das verabreicht wird, damit die Vertriebenen nicht etwa ernstmachen mit der Vertretung ihrer Interessen. Und da gäbe es einiges zu tun, angefangen mit der Korrektur einer immer abenteuerlicheren historiographischen Verfälschung der größten Vertreibungsaktion der Geschichte, oder aber dem skandalösen Umgang mit den Rußlanddeutschen, den Enteigneten, den deutschen Opfern fremder Gewalt überhaupt und ihrem Recht, in ihre Heimat zurückzukehren.

Schon wegen der Tragik ihres Schicksals sind sich die Vertriebenen vor allem eines schuldig: Ehrlichkeit – nicht allein hinsichtlich ihrer leidgeprüften Vergangenheit, sondern auch hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen und politischen Situation heute.

Sonst könnten sie ihren Gegnern und falschen Freunden doch noch den Gefallen tun, sich wie die Luftschlösser, in denen es sich offenkundig eine Reihe von Funktionären gemütlich gemacht hat, geräuschlos in nichts aufzulösen.


 
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