© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/98  01. Mai 1998

 
 
Ökologie und Ökonomie: Professor Binswanger erläutert die notwendige Steuerreform
"Entwicklung oder Wachstum"
von Gerhard Quast/Peter Krause

 

Herr Professor Binswanger, was war Ihre Grundmotivation, über das Verhältnis Ökonomie und Ökologie nachzudenken?

BINSWANGER: Auf die Ökologie bin ich Ende der 60er Jahre gekommen. Mir ist bei Studien zu Fragen des wirtschaftlichen Wachstums aufgefallen, daß das Sozialprodukt in den Industriestaaten Jahr für Jahr wächst, daß aber konstantes Wachstum gegen die Gesetze von Energie und Masse verstößt. Ich habe mir gesagt: Vielleicht wird zum Ausgleich in der Welt doch etwas weniger, vielleicht sind das die natürlichen Ressourcen. In meiner Antrittsvorlesung 1969 in St. Gallen habe ich über "Wirtschaftliches Wachstum – Fortschritt oder Raubbau?" gesprochen und dabei den Gedanken dargelegt: Es wird etwas mehr, was man ökonomisch zählt: das Volkseinkommen; und es wird etwas weniger, was ökonomisch nicht zählt, die Umweltressourcen.

 

Sind die Fragen um die Grenzen des Wachstums in das öffentliche Bewußtsein getreten?

BINSWANGER: Sicher haben die Umweltberichte in den frühen siebziger Jahren beigetragen, die Grenzen des Wachstums bewußt zu machen. Grundvorstellungen haben sich geändert. Die Welt ist nicht unendlich nutzbar. Ich sehe durchaus die Tendenz, Entwicklung ohne qualitatives Wachstum zu denken.

 

Wird das Problem des Wachstums noch wirklich in Frage gestellt?

BINSWANGER: So weit sind weder Politik noch Ökonomie. Dazu muß man aber sagen, daß die Arten ökologischer Begrenztheiten unterschiedlich sind. Ursprünglich war der Gedanke vorherrschend, vor allem die nicht erneuerbaren Ressourcen seien begrenzt. Die sind auch begrenzt, aber sie sind nicht so begrenzt, wie das vom Club of Rome dargestellt worden ist. Begrenzt sind auch die sogenannten erneuerbaren Ressourcen, vor allem der Boden.

 

Können Sie das erläutern?

BINSWANGER: Nehmen wir die Windenergie. Die Möglichkeit ihrer Nutzung wird weit überschätzt.Wind ist zwar eine erneuerbare Energie, aber man stößt dabei auf die Begrenztheit des Bodens, der Landschaft. Das ist eine viel aktuellere Begrenzung, als wenn man fossile Energieträger verbraucht. In bezug auf das Klima bringt die Windenergie nur wenig, in bezug auf den Bodenverbrauch ist die Windenergienutzung ökologisch nicht zu empfehlen. Ein anderes Beispiel: Es gibt bei den nicht-erneuerbaren Ressourcen – die durch Abbau der Lagerstätten in der Erde gewonnen werden – einen Unterschied zwischen Reserven und Ressourcen. Reserven sind das, was man festgestellt hat. Die Reserven von Erdöl betragen heute etwa das 40fache der Produktion. Aber das ist nicht die Größe der Ressource also: alle fossilen Energieträger zusammen, Erdöl, Erdgas, Kohle, sind ungefähr das 1000fache der heutigen Produktion.

 

Sie sind auch kein Freund der Sonnenenergie?

BINSWANGER: Das hängt davon ab! Die Sonnenenergie muß immer auf dem Boden aufgefangen werden. Die Sonne liefert im Welt-Durchschnitt pro Quadratmeter etwa das 1000fache an Energie von dem, was wir brauchen. Aber in einer Metropole wie New York beträgt der Anteil von Sonnenenergie, der pro Quadratmeter nutzbar auffällt, nur ein Zehntel von dem, was man benötigt. Das Verhältnis zwischen Sonnenenergie im Welt-Durchschnitt zur benötigten Sonnenenergie in New York ist also 1 : 10.000. Mit anderen Worten: Der Verbauch von Energie ist zentralisiert, die Umwandlung von Sonnenenergie aber ist dezentral. Man verbraucht viel Transportenergie, hat große Verluste, man braucht sehr viel Raum, um die Energie umzuwandeln, und man benötigt sehr viel Speicherkapazität, also wieder sehr viel Raum. Und Raum heißt hier Boden, und Boden ist knapp. Aber: es gibt die Möglichkeit der Doppelnutzung des Bodens, bei der Sonnenenergie etwa durch das Auffangen der Energie auf den Dächern der Häuser.

 

Wie stellen Sie sich die Energieversorgung vor?

BINSWANGER: In erster Linie müssen wir – kombiniert mit Sonnenergie bei Doppelnutzung des Bodens – Energie einsparen. Einsparung ist billig, oft sogar lukrativ. Wenn wir jedes Jahr ein Promille Energie im Verhältnis zum Vorjahr sparen, dann würden die Energievorräte nie versiegen.

 

Sie sprachen von den Problemen des Wachstums. Ist eine Gesellschaft, die sich wirtschaftlich und dabei primär über Wachstum definiert, dahingehend reformierbar, auf Wirtschaftswachstum zu verzichten?

BINSWANGER: Ich bin noch dabei, dies zu analysieren. So wie die Dinge jedoch gegenwärtig laufen, ist es nicht möglich, das Wachstum aufzugeben. Die Geld- und Kapitalwirtschaft ist auf Wachstum angelegt und forciert diese Ideologie. Die Alternative zu dieser Wachstumsgesellschaft würde zur Zeit lauten: Zusammenbruch oder mindestens Schrumpfung.

 

Sie werden wie kein anderer mit der Idee der ökologischen Steuerreform in Verbindung gebracht. Worin liegt die Grundidee?

BINSWANGER: Die Idee der ökologischen Steuerreform ist, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen. Man verteuert erstens den Energieverbrauch, um marktwirtschaftliche Anreize für einen schonenden Umgang mit Natur und Ressourcen zu schaffen. Man verringert zweitens die Kosten für Arbeit, indem man durch die Energiesteuer die Altersrenten mitfinanziert. Steuerreform heißt nicht einfache Steuererhöhung, sondern Steuerumlage. Wenn der Arbeitgeber weniger Beiträge zur Rentenversicherung bezahlen muß, wird Arbeit billiger, die Zahl der Beschäftigten kann erhöht werden.

 

Warum ist der Widerstand gegen eine solche Steuerreform so groß: von Gewerkschaften über Handwerk bis zu Teilen der Industrie?

BINSWANGER: Generell muß gesagt werden, daß die Wirtschaft nicht rational, sondern ideologisch geprägt ist. Und diese Wachstumsideologie ist gegen die ökologische Steuerreform, will ständig Arbeit durch Energie ersetzen. Aber die Energiesteuer wird trotzdem kommen.

Sie sehen keinen Gegensatz zwischen ökologischer Steuerreform und Marktwirtschaft?

BINSWANGER: Nein, im Gegenteil. Es geht um die Entzerrung verzerrter Besteuerung, nämlich der hohen Besteuerung von Arbeit und der viel zu niedrigen von Energie. Die verzerrten Preise zu regulieren, müßte eigentlich im Interesse der Wirtschaft liegen, zumindest der, die nicht energieintensiv arbeitet.

Wie bewerten Sie die Stellung des Staates in diesem Prozeß?

BINSWANGER: Der Staat hat mit seiner Fürsorge die Bedürfnisse verzerrt, indem er etwa die Verkehrsdienstleistungen oder die Abfallbeseitigung subventioniert. Aber mittlerweile wird einsichtig, daß man das, was man verbraucht, auch individuell bezahlen muß. Noch bezahlen die Leute lieber für Luxus wie Zigaretten statt für den Verbrauch der Natur.

 

Was halten Sie von dem Argument, die Erhöhung des Benzinpreises trifft alle gleich – also die Kleinen stärker?

BINSWANGER: Nicht viel, denn wenn man den Markt will, also die Regulierung der Wirtschaft über Preise, dann kann man dies nicht nur für Luxusgüter gelten lassen.

 

Ist das richtig verstanden, daß die Regulation letztlich dem Markt überlassen werden soll? Wo soll die Grenze des staatlichen Eingriffs sein?

BINSWANGER: Ganz ohne staatliche Rationierung und Steuerung kommen wir nicht aus. Im übrigen ist auch der Markt eine staatliche Veranstaltung. Der Staat setzt die Grundordnung, macht die Geldordnung und erhebt Steuern. Wie weit sollte er darüber hinausgehen? Unvollständig ist vor allem die Eigentumsordnung: die Natur gehört niemandem, also hat sie keinen eigenen Preis. So etwas kann der Markt allein nicht lösen. Hier muß der Staat regulierend eingreifen. Eine "Öko-Diktatur", eine Öko-Planwirtschaft ist freilich keine Lösung.

 

Wird der Standort Deutschland durch eine ökologische Steuerreform gefährdet?

BINSWANGER: Sicherlich wird es schwierig für Industrien, die viel Wärmeenergie verbrauchen. Alleingang ist für diese Industrien schwierig. Hier brauchen wir übergangsweise Sonderregelungen. Eine Selbstverpflichtung mit Kontrolle ist angezeigt. Grundsätzlich aber ist eine Verbilligung von Arbeit ein Standortvorteil. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Arbeitslosen- und Sozialkassen werden entlastet. Und je stärker man die Natur schützt, um so weniger Geld muß man ausgeben für Reparaturen. Von einem Alleingang würde Deutschland letztlich profitieren.

 

Was müßte eine ökologische Steuerreform konkret beinhalten – und was nicht?

BINSWANGER: Zuerst die Seite der Erhebung: Man sollte alle gekaufte Energie besteuern. Ich würde also auch die erneuerbaren Energien – also auch die Sonnenergie, die nicht auf einer Doppelnutzung des Bodens beruht – einbeziehen, denn auch die sind ökologisch problematisch. Nicht besteuern würde ich Sonnenenergie, die auf den Dächern der Häuser eingefangen wird, oder Energie, die im Nachbarschaftsverbund verbraucht wird. Stark besteuert werden muß alle für Transport eingesetzte Energie. Zweitens: Wie verwendet man die Einnahmen? Die Gelder empfehle ich einzusetzen, ausschließlich um Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zu senken, um Renten zu finanzieren, also Arbeit zu verbilligen.


 
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