© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/98  01. Mai 1998

 
 
Forschung: Zahlreiche Institute in Deutschland experimentieren mit Primaten
Geopfert für die Wissenschaft
von Gerhard Quast

Dian Fossey ("Gorillas im Nebel"), Birute M. Galdikas ("Meine Orang Utans") und Jane Goodall ("Ein Herz für Schimpansen") sind die populärsten unter den Primatenforschern. Mit ihren sachkundigen Abhandlungen über die Gefühlswelt der verschiedenen Gattungen von Menschenaffen haben sie das Bild über unsere nächsten Verwandten entscheidend mitgeprägt.

Weit weniger bekannt sind Primatenforscher wie Sabine Dannenberg, Andreas Kreiter, Stephen Norley oder Wilfried Werner. Deren wissenschaftliches Arbeiten findet weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Sie bevorzugen für ihre Forschungsvorhaben die Anonymität universitärer oder privater Institute. Denn populär sind ihre Forschungsmethoden ganz und gar nicht, wie die Auseinandersetzung um den Primatenforscher Andreas Kreiter in Bremen deutlich machte.

Kreiter ist Professor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt/M. und wurde von der Uni Bremen in die Hansestadt berufen, um dort ein "Kognitionszentrum" auszubauen. Er ist Vertreter einer Forscherzunft, die in der künstlichen Welt der Labore sogenannte Grundlagenforschung betreibt: Er lehrt seine Makaken und Rhesusaffen durch vorausgegangene Bestrafung (Durst durch Flüssigkeitsentzug), die gestellten Aufgaben zu lösen, er pflanzt seinen Versuchstieren Elektroden in ihre Gehirne, um von einzelnen Zellen Reaktionen ablesen zu können, er läßt nach Beendigung der Forschungsreihen die Versuchstiere töten, um zu guter Letzt auch noch das Gehirn des Affen zu untersuchen.

Gegen die Berufung Kreiters regte sich in der Bremer Bürgerschaft massiver Widerstand: insgesamt 30.000 Unterschriften sammelten die Tierversuchsgegner, mehr als 100 der insgesamt 350 Professoren protestierten gegen die Einführung von Versuchen mit Primaten. Doch Andreas Kreiter ist keineswegs ein Einzelfall.

Deutschland ist neben Großbritannien und Frankreich eines der Hauptländer in der EU, die Tierversuche mit Affen betreiben. Rund 1.500 Primaten werden nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums in Deutschland Jahr für Jahr für Tierversuche verwendet. Die jährliche Versuchstierstatistik gibt aber nicht nur Auskunft über die Anzahl der Tiere, sondern auch über deren Verwendungszweck: Den mit Abstand größten Verbrauch an Affen hat mit 74 Prozent die Arzneimittelindustrie. In diesem Bereich wurden 991 Hunds- und Breitnasenaffen sowie 136 Halbaffen verwendet. In der Grundlagenforschung wurden 248 Affen "verbraucht". Im Forschungsbereich zur Entwicklung diagnostischer, prophylaktischer und therapeutischer Verfahren weitere 188 Hunds- und Breitnasenaffen sowie 16 Halbaffen. Versuchen zur Erkennung von Umweltgefährdungen fielen zwölf Affen zum Opfer. Insgesamt weist die Statistik für die vergangenen acht Jahre einen sehr unterschiedlichen Bedarf aus: am höchsten war der Verbrauch 1990 (2.307 Primaten), am niedrigsten 1992 (1.065). Im Jahr 1996 wurden insgesamt 1.519 Affen verwendet. Für 1997 liegen noch keine Zahlen vor.

Für den bis zum "Fall Kreiter" kaum beachteten Bereich der Grundlagenforschung gibt es mit dem von Irmela W. Ruhdel und Ursula G. Sauer erarbeiteten "Primatenbericht" erstmals eine detaillierte Untersuchung über die Verwendung von Primaten zu wissenschaftlichen Versuchszwecken in Deutschland und der EU.

Die Hauptverwendung von Primaten in der Grundlagenforschung findet demnach im Bereich der Gehirnforschung, Aids-Forschung sowie der Parkinson’schen Krankheit, Alzheimer-Krankheit und des BSE-Erregers statt. Dies ergab auch eine Analyse von 57 wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus dem Bereich der Grundlagenforschung, die kürzlich Christiane Cronjaeger im Auftrag des Bundesverbandes der Tierversuchsgegner erstellt hat. Anknüpfend an eine bereits vor einigen Monaten publizierte Dokumentation der Vereinigung "Ärzte gegen Tierversuche" über Experimente mit Affen an deutschen Universitäten sieht Cronjaeger ihre Hauptaufgabe darin, die Forschungseinrichtungen und ihre Forscher "aus der Verborgenheit zu holen" und zu zeigen, daß die Versuchslabore nicht irgendwo fernab in der Provinz angesiedelt sind. Die meisten Veröffentlichungen wurden ihren Angaben zufolge an Forschungseinrichtungen in Berlin (Freie Universität), Bochum (Ruhr-Universität), Freiburg (Universität), Göttingen (Primatenzentrum) und München (Universität) erstellt. Weitere Standorte der Primatenforschung seien Dortmund, Düsseldorf, Erlangen, Frankfurt/M., Hannover, Heidelberg, Homburg, Langen, Leipzig, Marburg, Münster, Stolberg, Tübingen, Ulm und Würzburg.

Aus den untersuchten Veröffentlichungen geht allerdings nur in Ausnahmefällen hervor, wo die Tierversuche durchgeführt wurden. Und selbstverständlich fehlt jeder Hinweis auf das Schicksal der Versuchstiere, überwiegend Rhesus- und Javaneraffen, aber auch Makaken, Braunrückentamarine, Totenkopfäffchen und Paviane.

Da die Verwendung von Wildfängen in Deutschland einer besonderen Genehmigung durch das Bundesamt für Naturschutz unterliegt, wird hauptsächlich auf Direktimporte aus Gefangenschaftszuchten in den Ursprungsländern oder auf Versuchstierhändler (Corning-Hazleton, Hartelust, Charles-River) zurückgegriffen. In den letzten Jahren werden außerdem verstärkt Eigenzüchtungen verwendet. Das European Primate Resources Network, dem auch das Göttinger Zentrum für Primatenforschung angeschlossen ist, strebt an, langfristig den Gesamtbedarf europäischer Tierversuche – rund 10.000 Affen – durch Eigenzüchtungen zu decken.

Cronjaegers Auflistung nennt jedoch nicht nur die Forschungsinstitute, sie hat sich auch die Mühe gemacht, ein Namensverzeichnis aller bekannten Primatenforscher mit dem jeweiligen Arbeitsgebiet aufzulisten, ergänzt um Erläuterungen darüber, wann, mit welchen Primaten und wo die Tierversuche durchgeführt wurden. Nach Erkenntnissen des Bundesverbandes der Tierversuchsgegner betrieben demnach in den vergangenen Jahren 134 Wissenschaftler Grundlagenforschung an Affen.

Wie daraus ersichtlich ist, haben viele Forscher bereits jetzt ihre Versuchsreihen ins Ausland verlegt, nach Pakistan (Islamabad), Dänemark (Aarhus), Großbritannien (Oxford) oder in die USA (Virginia). Die in diesen Versuchen "verbrauchten" Affen tauchen in den deutschen Statistiken erst gar nicht auf.

Hauptkritikpunkt der Tierversuchsgegner ist jedoch ein anderer: Selbst da, wo bereits einsatzfähige Alternativmethoden vorhanden seien, werden weiterhin ethisch nicht zu vertretende Experimente an Affen durchgeführt, deren "nachweisbarer Nutzen für den Menschen" ohnehin nicht erkennbar sei.

 

 

Irmela Ruhdel/Ursula Sauer: Primatenbericht, März 1998. Hg. Deutscher Tierschutzbund / Akademie für Tierschutz, Baumschulenallee 15, 53115 Bonn

Christiane Cronjaeger: Versuche an Affen in Deutschland, April 1998. Hg. Bundesverband der Tierversuchsgegner, Roermonder Str. 4a, 52072 Aachen

Experimente mit Affen an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Hg. Vereinigung "Ärzte gegen Tierversuche", Nußzeil 50, 60433 Frankfurt a.M.


 
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