© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/98 24. April 1998

 
 
Kein Verständnis: Staatsrechtler Quaritsch über Mahler und die 68er
"Lehrstück für Massenpsychose"
von Martin Otto

 

Herr Professor Quaritsch, Sie standen vor 30 Jahren Horst Mahler vor Gericht gegenüber. Wie ist Ihnen diese Zeit in Erinnerung? Sehen Sie in der Studentenrevolte von 1968 eine geschichtliche Zäsur im politischen Leben der Bundesrepublik?

QUARITSCH: Eher ein Lehrstück zum Thema "jungakademische Massenpsychose". Die geschichtliche Zäsur fand bestenfalls in den Köpfen der unmittelbar Beteiligten statt.

In der letzten Ausgabe der JF schrieb Horst Mahler, der zur "ersten Generation" der "Rote-Armee- Fraktion" gehörte, er erlebe die Resultate der "Kulturrevolution von 1968" als "Hölle" und als "zweite Steinzeit". Verstehen Sie diese Diagnose?

QUARITSCH: Für Angehörige der Kriegsgeneration war das fanatisierte Gebrüll der Dutschke & Co. weder Hölle noch Kulturrevolution. So Mahler die Resultate als "Hölle" empfindet: Niemand hatte ihn gezwungen, den Justitiar der vielen kleinen Teufelchen zu spielen und schließlich bei einer Räuberbande mitzumachen, die durch einen Banküberfall in Berlin ihre Kriegskasse auffüllte (daher seine hohe Freiheitsstrafe!).

Können Sie die intellektuelle Entwicklung Mahlers nachvollziehen?

QUARITSCH: "Nachvollziehen" kann ich diese Entwickelung nicht, sie hat nämlich nichts mit "Intellekt" zu tun.

Die 68er feiern saturiert den 30. Jahrestag ihrer "Bewegung" – und die RAF löst sich auf. Ist die "Bewegung" erstarrt, hat sich die Linke zu Tode gesiegt?

QUARITSCH: Wenn die 68er den 30. Jahrestag ihrer "Bewegung" feiern, so ist das ein normales, aber immer etwas komisch wirkendes Verhalten älterer Leute, die sich daran erinnern, was für tolle Kerle sie einst waren. Ob sich "die Linke zu Tode gesiegt" hat, kann ich nicht beurteilen.

Waren die Folgen von 1968 ein Beitrag zur "Entstaatlichung" der Bundesrepublik? Wie hat sich das Verhältnis von Staat und Freiheit seitdem verändert?

QUARITSCH: Seit jener Zeit beobachte ich nicht so sehr eine "Entstaatlichung" der Bundesrepublik, vielmehr eine Ausbreitung des individuellen und gruppenbezogenen Egoismus auf Kosten anderer. Ob die 68er Unruhen an den Universitäten dafür verantwortlich sind, weiß ich nicht.

Hat der RAF-Terrorismus als "allgemeine Bedrohung" nicht letztlich stabilisierend auf die Bundesrepublik gewirkt und zu einer stärkeren Identifikation mit dem Staat angesichts der terroristischen Gefahr geführt?

QUARITSCH: Der RAF-Terrorismus stieß von vornherein und allgemein auf Ablehnung bis Abscheu. Eine "stärkere Identifikation" mochte in einer größeren Sympathie für die Polizei gesehen werden.

In welchem Maße hat die 68er Bewegung das geistige und politische Klima in Deutschland verändert?

QUARITSCH: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Durch die mehr als großzügige Amnestie für die vielen kleinen Übeltäter war es den einstigen Aktivisten nicht schwer, in den akademischen Berufen Fuß zu fassen. Anscheinend gelang es den verbal Begabtesten, in der Medienwelt ein mehr oder minder einflußreiches Plätzchen zu ergattern. Die dort vielfach übliche positive Bewertung der "68er Bewegung" kann ich mir nur so erklären.

Prof. Dr. Helmut Quaritsch

wurde 1930 in Hamburg geboren. Nach Jurastudium mit Promotion folgte1965 die Habilitation im Öffentlichen Recht bei Herbert Krüger in Hamburg. Als junger Ordinarius an der FU Berlin wurde er von Studenten angegriffen; Horst Mahler verteidigt einen dieser Gewalttäter. Seit 1972 lehrt Quaritsch Staatsrecht und -lehre an der Hochschule Speyer. Veröffentlichungen zu Staat, Souveränität und zu Carl Schmitt.


 
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