© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/98 24. April 1998

 
 
Freie Universität Berlin: Berühmte Bibliothek zur Konservativen Revolution wird abgegeben
Schwierigkeiten mit der Forschung
von Sven Eckstädt

Das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten macht sich in der Bundeshauptstadt besonders bemerkbar. Eine Infrastruktur, die ursprünglich auf zwei unabhängig voneinander planende Staaten ausgerichtet war, soll auf die Bedürfnisse einer wiedervereinigten Stadt hingeführt werden. Theater, Orchester und viele andere Kultureinrichtungen haben das schmerzlich zu spüren bekommen. Auch die drei Berliner Universitäten, Humboldt-Universität, Technische Universität und Freie Universität (FU) sind von solchen Entwicklungen nicht verschont worden. Einzelbibliotheken werden geschlossen, zusammengelegt und an andere Universitäten oder Hochschulen übergeben. Oder schlicht aufgelöst und verramscht.

Dieses Schicksal soll laut Berliner Zeitung einer kostbaren Forschungsbibliothek zur Demokratie- und Diktaturforschung mit einem Bestand von etwa 230.000 Bänden bevorstehen. Denn Ende 1997 wurde das Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität (FU) und somit auch dessen Bibliothek aufgelöst. Das Institut in Berlin-Lankwitz, kurz ZI 6 genannt, gilt unter Fachleuten als einmalig.

Das ZI 6 wurde 1950 auf Initiative jüdischer Emigranten gegründet. Die US-Militärverwaltung hatte zu diesem Zweck umfangreiche Geld- und Bücherspenden zur Verfügung gestellt. Zu seinen Aufgaben gehörte die Erforschung des Nationalsozialismus und des Faschismus. Das Forschungsgebiet wurde später auf alle Formen totalitärer politischer Systeme wie etwa die Erforschung des politischen Systems der DDR ausgedehnt. Ideengeschichtliche Nachbargebiete während der Weimarer Republik, insbesondere die Konservative Revolution (KR), gehören zu den Spezialgebieten, die diese Bibliothek für die Forschung besonders wertvoll werden lassen.

Doch entsprechende Berichte der Berliner Zeitung werden aus dem Umkreis der FU zumindest für den Forschungsbereich Konservative Revolution zurückgewiesen. Diese etwa 30.000 Bände umfassende Sonderbibliothek ist bereits vor einigen Tagen in die Gedenkstätte Deutscher Widerstand verbracht worden. Die im historischen Bendlerblock des ehemaligen Oberkommandos des Heeres untergebrachte Gedenkstätte will die Bibliothek demnächst der Forschung und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen.

Ein weiterer Teil der umfangreichen ehemaligen ZI 6-Bibliothek, die Spezialsammlung für Parteien, Verbände und Gewerkschaften, soll dem Otto-Suhr-Institut der FU (OSI) zugeschlagen werden. Über das Schicksal des dritten Teils der Bibliothek, der DDR-Forschung, ist noch nichts Genaues bekannt. Im Gespräch ist, daß Mittel der deutschen Klassenlotterie beantragt werden, um eine Unterbringung in den Kellerräumen des OSI zu ermöglichen.

Bernd Rabehl, Alt-68er-Kämpe und Mitarbeiter des ZI 6, beschuldigt unterdessen die Universitätsleitung, den Teil, der die KR betrifft, an die Gedenkstätte Deutscher Widerstand "verschachert" zu haben. Peter Steinbach, in Personalunion Leiter der Gedenkstätte und Professor für Politikwissenschaft am OSI, an dem weiland bereits Rudi Dutschke studierte, verbittet sich solche Vorwürfe.

Immerhin: wenn die Abteilung "Konservative Revolution", abgetrennt von den anderen Abteilungen zwar, aber doch bestehen bleibt, dann ist dies immer noch besser, als wenn sie, wie vor einiger Zeit bei einer anderen berühmten KR-Bibliothek geschehen, ins Ausland gegangen und so der deutschen Forschung für immer entzogen geblieben wäre.


 
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