© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/98 17. April 1998

 
 
JF-Report: Die Sexualität von Jugendlichen in den neunziger Jahren hat sich gewandelt
Ihre Liebe heißt Treue
von Philipp Kalk

Es war eine Pressemeldung, wie für Harald Schmidt gemacht. In den Niederlanden, gleich nach der Provence und der Toscana Lieblingsland rotbeschalter Oberstudienräte, sollen mehr Schwule in die Polizei. Mit diesem Vorhaben brachten sich die liberalen Holländer erneut in die Schlagzeilen. Die Begründung: Die Polizei habe die Gesellschaft angemessen zu repräsentieren. Da es lediglich eine Zeitfrage ist, bis solche Ideen via grüne Bundestagsfraktion importiert werden, ist ein frühzeitiges Beleuchten der sexuellen Ausgangslage in Deutschland angezeigt.

Tatsächlich gaben noch 1970 18 Prozent der befragten 16- bis 17jährigen Jungen an, schon einmal homosexuelle Kontakte gehabt zu haben, 1990 reklamierten jedoch nur noch ganze zwei Prozent diesen sexuellen Nonkonformismus für sich. Wie erklärt sich diese Entwicklung? Mit bürgerlicher Repression? Mitnichten, befindet die Wissenschaft, der Feind stehe diesmal links. Es sei die sexuelle Liberalisierung, die zu größerer Akzeptanz jugendlicher Sexualität geführt habe und – so der freilich unausgesprochene logische Schluß – die heimliche sexuelle Betätigung mit Gleichgeschlechtlichen wohl überflüssig mache. Denn war früher männliches Händchenhalten noch ein revolutionärer Schlag gegen die spießig-verkrustete Adenauer-Gesellschaft, verfügt heute jede Soap-Opera über ihre Quotenschwulen. Es scheint somit, als ob die von den 68ern propagierte Freie-Liebe-Ideologie nach dem Gesetz der negativen Rückkoppelung die Machtübernahme ihrer politischen Protagonisten via Dezimierung des potentiellen Wählerkreises gefährdet. Oder einfach gesagt: Die Revolution frißt ihre Kinder.

Überhaupt scheint die Dynamik der sexuellen Revolution nachzulassen: 1970 gaben 37 Prozent der 16- bis 17jährigen Jungen und etwa ein Drittel der gleichaltrigen Mädchen an, schon einmal Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, 1990 taten dies 40 beziehungsweise 34 Prozent. Im Gegensatz zu der rapiden Steigerung in den 60er Jahren kann diese marginale Zunahme durchaus als Trendwende interpretiert werden. Außerdem scheint es überholt, die Sexualität des Nachwuchses als dessen Privatsache anzusehen: Wußten 1970 gerade mal 32 Prozent der Mütter und 16 Prozent der Väter vom Koitus ihrer Tochter, waren es 1990 bereits 69 Prozent der Mütter und rund die Hälfte der Väter. Der Trend geht also eindeutig zur "Familiarisierung" des adoleszenten Sexuallebens.

Eine weitere Entwicklung scheint sich ebenfalls durchzusetzen: Liebe und Treue sind Basiswerte des Liebeslebens. So empfanden 1970 lediglich 40 Prozent der Jungen und 47 Prozent der Mädchen Liebe für ihren Partner, 1990 waren es bereits 71 bzw. 78 Prozent. Liebe wird auch prozentual häufiger als Grund für den ersten Koitus angegeben und dem Partner auch häufiger mitgeteilt. Eine geistig-moralische Wende trotz Helmut Kohl? Die Zahlen sprechen eindeutig dafür: Während 80 Prozent der männlichen Joschka-Fischer-Generation noch mit "starkem Verlangen" ihren ersten Geschlechtsverkehr begründeten, gilt dies nur noch für 59 Prozent der Jungen der 90er Jahre. Daß dieses Verhalten nicht etwa auf die Angst vor AIDS zurückzuführen ist, geht klar aus den Untersuchungen hervor.

Ein gewisses Befremden verursacht eher der Gesinnungseinschlag der Wissenschaft. Es erstaunt doch, wenn Tatsachen folgendermaßen interpretiert werden: "Jungen verarbeiten diese Konfrontation mit der Geschlechterfrage offenbar häufig reaktiv oder defensiv, indem sie sich sexuell als weniger triebhaft und gefährlich [sic!] erleben oder darstellen und ihre Sexualität durch Liebe und Partnerorientierung "bändigen". […] Mädchen verarbeiten die Konfrontation mit der Geschlechterrolle […] kontraeuphorisch mit geminderter Lust und Befriedigung, mit einem gehörigen Anteil an Skepsis gegenüber dem, was von der Sexualität, vor allem von der Sexualität mit Männern [sic!] zu erwarten ist, mit einem geschärften Blick für die Risiken [!] sexueller Beziehungen mit Männern."

Wohlgemerkt, hier handelt es sich weder um ein Pamphlet radikaler Feministinnen oder Lesben, sondern "völlig normale" Wissenschaftler warnen hier vor "gefährlichen" Männern, von denen man sich als Frau wohl besser fernhält! Welche Alternative frau dann noch hat, wird subtil dadurch angedeutet, daß man von "Gewalt in der Sexualität" spricht.

Fazit: Entgegen altkonservativen Vorurteilen befindet sich die Jugend trotz liberalem Umfeld auf wertkonservativem Kurs; Anlaß zur Besorgnis bietet vielmehr ihre Elterngeneration, die ihre ewiggestrige 68er- Ideologie mittlerweile als Wissenschaft verkauft.

 

Zahlen und Zitate aus: Zeitschrift für Sexualforschung, Jg. 5, Heft 3


 
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