© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/98 10. April 1998

 
 
Gralshüter der Mark
von Martin Otto

Deutschland nach der Bundestagswahl 1998. Der neue Kanzler heißt Gerhard Schröder. Seinen Wahlkampf hat er ganz gegen den Euro geführt, gegen den europavernarrten Kanzler Kohl, den er der währungspolitischen "Schönfärberei" bezichtigte. Das kam bei den um ihre D-Mark besorgten Wählern an, und Schröder war in dieser Hinsicht glaubwürdig, hatte er doch bereits im Mai 1998 im Bundesrat gegen die Einführung des Euro und die eigene Parteilinie gestimmt. Damals noch vergebens. Jetzt, nach der siegreichen Wahl, folgen Nägel mit Köpfen: Deutschland steigt im Alleingang aus dem Euro aus, das Währungsprojekt bricht in sich selbst zusammen. Deutschland ist zwar europapolitisch für einige Zeit der große Buhmann, doch die bald einsetzende haushaltspolitische Konsolidierung verschafft Deutschland und seinem Kanzler Schröder wieder wirtschaftliche Prosperität und europaweite Anerkennung. Der Euro existiert bald nur noch in der schattenhaften Erinnerung einiger Zeitzeugen der Ära Kohl.

Eine Vision, die demnächst Realität werden könnte? Zur Zeit sucht sich Schröder ja tatsächlich als Kritiker an einer, wie er sagt, "überhasteten Einführung" des Euro zu profilieren und kritisiert den Bundeskanzler Kohl, der nur noch ein weiteres Kapitel im Geschichtsbuch schreiben wolle und sich aus ähnlichen Motiven schon einmal, mit der Währungsunion 1990, finanziell übernommen habe. Und, der aufmerksame Wähler erinnert sich, auch damals hat ja Schröder zur Bedächtigkeit gemahnt – und damit die Niedersachsenwahl gewonnen. Schröder der Realpolitiker, ein Gralshüter der stabilen DM und der billigen Benzinpreise? Es wäre zu schön, um wahr zu sein, den Bundestagswahlsieg natürlich vorausgestzt. Doch schon ein Blick auf die Schröder-Partei, die SPD nämlich, bietet wenig Anlaß zur Hoffnung. Ob Parteichef Lafontaine oder Fraktionschef Scharping: In Sachen Euro sind die Differenzen zu Helmut Kohl nur marginal – und darauf legen sie auch großen Wert.

Auch Schröder ist kein Gegner des Euro und sagt selbst, daß er ihn nicht rückgängig machen könne und wolle. Mit einer frisch gewonnenen Landtagswahl im Rücken hat er als designierter Kanzlerkandidat einen größeren Spielraum an Narrenfreiheit, oppositionelle Bedenken zu äußern – und zusätzlich ein Gespür für vorhandene Vorbehalte im Wählervolk gegen den Euro. Sein Signal ist klar zu verstehen: Euroskeptiker, ich bin auch für euch bereit. Wozu er denn bereit ist, das weiß allerdings keiner so recht. Mit bloßen Mahnungen zur Bedächtigkeit allein ist es nicht getan. Und nach der Wahl sieht ohnehin alles ganz anders aus.


 
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