© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/98 10. April 1998

 
 
Nikotin: Die Mehrheit der Deutschen befürwortet ein Rauchverbot am Arbeitsplatz
In den USA drohen Strafgelder
von André Freudenberg

Kaum ein Thema wird so emotional diskutiert wie das Rauchen. Wo Interessengegensätze derart aufeinanderprallen, können Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen natürlich nicht ausbleiben. So hat denn auch eine Mehrheit von 336 Abgeordneten des Deutschen Bundestages Anfang Februar einen von Koalition und Opposition gemeinsam eingebrachten Antrag für ein Nichtraucher-Schutzgesetz abgelehnt. Dieses sollte ein Rauchverbot am Arbeitsplatz, in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln beinhalten. Rupert Scholz (CDU), Ex-Verteidigungsminister und Verfassungsrechtler, begründete seine Ablehnung damit, daß ein solches Gesetz den "mitmenschlichen Umgang reglementiert und Verstöße gegen Höflichkeit" bestrafen würde.

Die Befürworter, eine Minderheit von 256 Abgeordneten, begründeten ihr Votum damit, daß Nichtraucher in einem rechtsfreien Raum lebten, obwohl es längst ein Jugendschutz-Gesetz und eine Arbeitsstättenverordnung gebe.

In der Tat verzichtet Deutschland, ansonsten Weltmeister im Erfinden neuer Gesetze und Verordnungen, weitgehend auf einen gesetzlichen Schutz für Nichtraucher. Und das, obwohl laut einer Forsa-Umfrage 69 Prozent der Deutschen für ein Rauchverbot in öffentlichen Räumen sind, selbst 49 Prozent der rund 30 Prozent Raucher in der Bevölkerung bejahen eine solche Regelung. "Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten hat gegen die Mehrheit des Volkes entschieden", schlußfolgert der Geschäftsführer der Nichtraucher-Initiative Deutschland e.V. (NID), Ernst-Günther Krause. Seinen Angaben zufolge habe der Verband der Cigarettenindustrie (VdC) persönliche Gespräche mit mehr als der Hälfte der Abgeordneten geführt und sie auf diese Weise unter Druck gesetzt.

Die Diskussion entzündet sich in den letzten Jahren nicht mehr an der Frage, ob und inwieweit Rauchen die Gesundheit gefährdet, sondern wer die Kosten trägt. Das Verursacherprinzip, wenn auch bei der Mehrheit der Politiker nicht sonderlich populär, wird unter anderem von der Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) favorisiert: Nach ihren Vorstellungen soll ein 30prozentiger Anteil der Tabaksteuern an die gesetzliche Krankenversicherung abgetreten werden. Damit könnte, so folgert der DAK-Hauptverband in Hamburg, wenigstens ein Teil der Kosten für die Behandlung abgedeckt werden.

Diese gewiß gutgemeinten Ideen mögen gröbste Ungerechtigkeiten vermindern, nehmen sich aber im Vergleich zu den Diskussionen in den Vereinigten Staaten eher bescheiden aus.

Dort wird das Verursacherprinzip ziemlich rücksichtslos durchgesetzt. Eine Gesetzesvorlage des Kongresses, über die in der vergangenen Woche abgestimmt wurde, sieht vor, daß die Tabakindustrie in den kommenden 25 Jahren umgerechnet rund 910 Milliarden Mark für Krankenkassen, Anti-Raucher-Kampagnen und medizinische Forschung bereitstellen muß. Tabakwerbung ist in den Vereinigten Staaten zwar noch nicht verboten. Ein jährliches Limit für die Entschädigungszahlung wird jedoch an die Bedingung geknüpft, durch Begrenzung der Zigarettenwerbung den Nikotingenuß von Jugendlichen zu verringern. Das bedeutet konkret, daß es in zehn Jahren in den USA anstatt der bisherigen 4,5 Millionen nur noch 1,8 Millionen junge Raucher geben darf. Ansonsten drohen weitere Millionen an "Strafgeldern".

Die Produzenten, die ihr Geld lieber wie bisher für die Finanzierung der Lobbyarbeit gegen ein Tabakgesetz verwenden würden, sehen ihre "finanzielle Lebensfähigkeit" in Gefahr und drohen mit "astronomischen Preiserhöhungen für die Verbraucher". Dies kann, wie bisherige Erfahrungen in anderen Branchen lehren, dazu führen, daß in fünf Jahren umgerechnet zehn Mark für eine Schachtel Zigaretten hingelegt werden müssen.

Allerdings kann die US-amerikanische Regelung aufgrund einer völlig anderen Rechtslage hierzulande nicht auf Deutschland übertragen werden: Während in Deutschland die Krankenkassen die Kosten für Raucherkrankheiten tragen, werden diese Behandlungskosten in den USA von den Bundesstaaten übernommen.

Eine völlige Befreiung der deutschen Krankenkassen von den Kosten für die Finanzierung der Raucherbehandlungen ist nach Auffassung des NID-Geschäftsführers nicht möglich, denn es könne nie eindeutig ermittelt werden, ob das Krankheitsbild tatsächlich vom Zigarettenkonsum herrührt.

Die Zahl der jährlichen Toten durch Passivrauchen ist stark umstritten: Während der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, von mehr als 400 ausgeht, schätzt der NID, daß jährlich 10.000 Nichtraucher an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenkrebs als Folge von Passivrauchen sterben. Hinzu kommen noch die wirtschaftlichen Schäden: Raucher verursachen jährlich einen Verlust von 90 Milliarden Mark am Bruttosozialprodukt. Die Politik ist jetzt gefordert, eine Lösung zu finden, die die Kosten dieser gefährlichen Sucht nicht länger zu einem Großteil auf die Allgemeinheit abwälzt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen