© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   15/98 03. April 1998

 
 
Leipziger Buchmesse: Ein Glaspalast auf der grünen Wiese hat Freunde gewonnen
Hier die Kultur, dort der Kommerz
Klaus J. Gründer / Hans Peter Rissmann

Immer noch lautet der erstaunte Kommentar zur Leipziger Buchmesse von manchem Westdeutschen: „Gibt’s die noch?" – Ja, es gibt sie noch, und sie findet weiter starkes Interesse: Über 1.800 Aussteller aus 34 Ländern – zehn Prozent mehr als 1997; 600 Schriftsteller aus dem In- und Ausland; „Schwerpunkt" Rumänien mit 190 Ausstellern, darunter 140 Verlage, mit dabei 40 Schriftsteller auf 70 Veranstaltungen; 69 Antiquare auf der 4. Antiquariatsmesse. Und aus aller Welt tausend Journalisten. Bücher gab’s auch, sogar zu kaufen, in der riesigen Glashalle hatte man erstmals eine „Messebuchhandlung" eingerichtet, in der vor allem die Bücher angeboten wurden, die „Leipzig liest". Es wurde von den Leipzigern honoriert, daß nicht nur der Fachbesucher, sondern sichtlich auch der Endverbraucher angesprochen wurde.

Die optimistische Zahlenflut hat vor allem das Ziel, das neue Messegelände anzupreisen, und das ist auch nötig. Die gigantische neue Ausstellungspracht, die die Stadt Leipzig immer noch jährlich 25 Millionen Zuschuß kostet, ist von den Ausstellern noch nicht hinreichend angenommen worden – wenn es auch schon mehr waren als im vorigen Jahr.

Gründe für die Zurückhaltung der Aussteller gibt es viele. Da ist das alte Messegelände im Süden, neben dem Völkerschlachtsdenkmal, das für viele eben mehr Atmosphäre hatte. Da sind die gestiegenen Kosten in den neuen Hallen, und die Kojen sind nicht größer als im Messehaus und Messehof am Markt. Das Personal besteht meist aus Aushilfskräften, die nicht geschult sind. An Hannover und Frankfurt am Main haben sich die Aussteller über Jahrzehnte gewöhnt, und ob das neue Messekonzept richtig ist, muß sich erst
zeigen.

Nun soll die Buchmesse mit ihren Besucherströmen den Durchbruch bringen. Ging man seit 1994 vom Sommer ins Frühjahr, weit von Frankfurt weg (die Leipziger Herbst-Messe ist schon vor Jahrzehnten gestrichen worden), so zog man in diesem Lenz weit in den Nordosten der Leipziger Umgebung, auf den alten Flugplatz Leipzig-Mockau, mit Sack und Pack, das CCL (Congress Center Leipzig) gleich mit. Aber die imposanten Gebäude sind künstlich ins Umland gesetzt, abgeschottet, nicht integriert. Das neue Messegelände hätte man mit den Ortschaften ringsum verbinden können, wo ja viele Messebesucher auch übernachten. Wenn in den Hallen um 18 Uhr das Licht ausgeht, dann sieht’s hier aus wie in Stuttgart nach Ladenschluß. Im alten Messehaus am Markt fuhr man noch mit wackeligen alten Fahrstühlen in die Höhe, die Gefährte wurden von gemütlichen Leipzigerinnen bedient, die wacker den ganzen Tag hoch und runter gondelten. Es herrschte dazumal ein schweißtreibendes Geschiebe und Gedränge, durch schlauchartige Gänge schob man sich an den Ständen der Verlage vorbei. Nun atmet man durch, wenn man die an den Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen gemahnende Glashalle betritt. Man erwartet regelrecht, daß eine freundliche Mikrophonstimme zum Einchecken auffordert. Es sei eingestanden: Das Messegelände ist die Zukunft, die vor Leipzig liegt. Sie wird ergänzt durch eine in stetig wachsendem Glanz erstrahlende historische Innenstadt, die sich mittlerweile sehen lassen kann. Die Messebauten überzeugen, man fühlt sich nach wenigen Minuten wohl. Weitgereiste Fachleute versichern, hier sei das schönste Messegelände der Welt entstanden – den freundlichen Sachsen ist es zu gönnen.

Das Hauptproblem wird dennoch die räumliche Trennung bleiben, bis die Stadt ans Messegelände herangewachsen ist, und das kann dauern (eingemeindet hat man es vorsorglich schon). „Leipzig liest", eine Erfindung des Hauses Bertelsmann, soll die Klammer sein, die die beiden Örtlichkeiten verbindet: die Hälfte der kulturellen Veranstaltungen findet bis 18 Uhr in den Messehallen statt, die anderen folgen dann in der Innenstadt, und damit diese Klammer auch stark genug ist, hat man ihre Zahl von Jahr zu Jahr gesteigert. Waren es zu Beginn, 1992, 160 Veranstaltungen, so sind es heuer über 700.

Der Umzug überlagerte als Thema die Buchmesse an sich. Auch weiterhin bestimmen inhaltlich die Abwicklung der DDR und die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit die Vorträge; jedes Jahr wird schulfrei gegeben, damit das Gewimmel größer wird. Klar: In Frankfurt herrscht der Profit, hier das Publikum, dort der Kommerz, hier die Kultur. Wurden im vorigen Jahr nur 40.000 Besucher gezählt, so diesmal (elektronisch) 47.000. Aber die Frage ist doch: Kommen sie wieder? Wenn ihr euch da mal nur nicht irrt. Immerhin, sogar die Verleger waren mit dem Geschäft zufrieden, sagten sie.


 
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