© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/98 27. März 1998

 
 
Julius Evola: Cavalcare la Tigre / Den Tiger reiten - erstmals in deutscher Übersetzung
Die Beweinung der Moderne
von Gerhard Petak

Julius Evola, der 1974 in Rom starb, war ein traditioneller Denker, der sich jahrzehntelang mit Alchimie, Magie, Mystik, Philosophie beschäftigte. Wie sein Leitbild Iulian Apostata träumte er von der Wiedereinführung einer harten Währung namens Tradition, unter der er eine transzendente, sonnenhafte, hierarchische Kultur verstand, die weltliche und geistliche Herrschaft verschmolz. Seine Liebe zu dieser Tradition aber war alles andere als ewiggestrig, rückwärtsgewandt – sie war letztlich eine utopische, überzeitliche Vision. So machte ihn sein Anti-Modernismus unfreiwillig zu einem modernen Denker – nur einer der zahlreichen Widersprüche im vordergründig doch so eindeutigen Werk dieses Philosophen, den der politisch korrekte Zeitgeist so gern als "faschistisch" brandmarkt.

Er lehnte die Moderne ab und stand ihr durch seine Teilnahme am italienischen Dadaismus und anderen Strömungen der Avantgarde doch näher als viele andere. Vielleicht war Julius Evola tatsächlich nicht nur ein bedeutender Denker und Erforscher der heiligen Wissenschaften, sondern auch ein "sizilianischer Dandy", wie es in einer Fußnote der Übersetzung heißt – eine merkwürdige und doch aufschlußreiche Einschätzung, die manchen Anhängern Evolas als Frevel erscheinen mag. Möglicherweise aber kommt sie – wie viele Frevel – der Wahrheit recht nahe, da sich so bisher schier unüberbrückbare Gegensätze im Werk Evolas, der bis ins hohe Alter dadaistische Gemälde schuf und seine Asche im Gletscher des Monte Rosa beisetzen ließ, plötzlich in Einklang bringen lassen.

Der Tiger in diesem zuerst 1953 erschienenen Werk ist die Moderne, "die Welt, in der Gott tot ist". In der chinesischen Mythologie erscheint der Tiger als Sinntier des weichen, weiblichen, mondhaften Yin-Prinzips, das in einem schroffen Gegensatz steht zu Evolas Yan-Ethik mit ihrer Beweihräucherung des Harten, Männlichen, Sonnenhaften. Den Ritt auf dem Tiger übersteht nur der unverletzt, der selbstlos und wunschlos denkt und handelt, unbeeindruckt bleibt von Erfolg und Mißerfolg, Glück und Unglück, Lust und Schmerz – eine Forderung aus der altindischen Bhagavadgita, die auch Friedrich Nietzsche beeindruckt hat.

In "Cavalcare la Tigre" schrieb Evola über Martin Heidegger, Aldous Huxley, Ernst Jünger u. a., über den Existenzialismus, die Beat-Generation, über Dadaismus und Surrealismus, über Drogen, Musik und Sexualität. Auch wenn Evola eine traditionale Weltverbesserung für ausgeschlossen hielt, so war er doch kein Kulturpessimist: "Die Zersetzung kann wirklich Wesentliches nur selten in Mitleidenschaft ziehen. Viel von dem, was sie trifft, verdient weder Verteidigung und Trauer noch Beweinung." (175)

Die Moderne mit ihren Schattenseiten betrachtete er als mögliche Negation der Negation. Von Emile Cioran stammt der Satz: "Die Formen des Niedergangs sind dazu da, um mir Halt zu verleihen": So sollte der Ritt auf dem Tiger ein Handbuch für junge Menschen sein, um in diesen Formen den Weizen von der Spreu trennen zu können, um herauszufinden, was unter den künstlerischen und philosophischen Strömungen der Gegenwart harte Währung war und was Falschgeld, was als Gift wirksam war, was Gegengift oder gar Heilmittel sein konnte.

Im Kapitel zur Musik der Moderne geht er auf Igor Strawinsky und den Jazz seiner Zeit ein. Strawinskys Le Sacre du Printemps ist für ihn reine Musik, reiner Rhythmus, die Überwindung der Musik des bürgerlichen neunzehnten Jahrhunderts. Am Jazz schätzt er vor allem die afrikanischen und kubanischen Wurzeln mit ihren "Elementen des Mechanischen, der Zersetzung und einer primitiven Ekstase" (179) – er beschreibt ihn als archaische Ekstasetechnik im Sinne Mircea Eliades, als körperliche, voodoohafte, elementare Musik, die der gefühlsbetonten romantischen Musik der Vergangenheit ein Ende setzt: "Ekstatische Möglichkeiten bestehen im Jazz fort." (181) Eine Beschreibung, die recht gut auf den heutigen Techno zutrifft, in dem Trance und Ekstase eine bedeutende Rolle spielen. Den Jazz sieht er als Weg, "um jene besondere Form der heiteren und hellen Trunkenheit zu erreichen, die allein in einer Epoche der Auflösung Quelle der Kraft sein kann" (182).

Zur vordergründigen, sich vor allem dem Stoffwechsel widmenden Techno-Jugend der neunziger Jahre paßt auch Evolas lakonische, bitter und schwermütig klingende Aussage: "Es gibt heute überhaupt keine Ideen, Gegenstände oder Ziele mehr, die den Einsatz des wahren Seins lohnten" (189). Zu seiner Deutung der Moderne als Negation der Negation stehen diese Äußerungen allerdings im Widerspruch.

Manches in seiner Haltung gegenüber Rauschmitteln, deren Gebrauch in den alteuropäischen Mysterienkulturen ihn faszinierte, läßt an Ernst Jüngers Essays "Annäherungen. Drogen und Rausch" denken. Er hebt gerade im Zusammenhang mit Drogen die Bedeutung einer geistigen Ganzheit und Ausgeglichenheit hervor. Selbst ein nicht übermäßiger Drogengenuß führt zu einer gewissen seelischen Verwirrtheit (186).

In diesem Buch tritt deutlicher als in anderen Werken Evolas zutage, daß der Typus, den er am meisten schätzt, den eisernen Helden in Ernst Jüngers kriegerischen "Stahlgewittern" gleicht: "Die Voraussetzungen für die Belebung eines höheren Lebenssinns sind eher den Männern der Revolte im chaotischen Leben der Großstädte gegeben, den Männern, die durch die Stahl- und Feuergewitter, durch die Zerstörungen der neueren Kriege gegangen sind" (124). Auf Ernst Jünger und sein Werk "Der Arbeiter", über das er ein ganzes, bisher unübersetztes Buch schrieb, bezieht sich Evola mehrmals. Manche Aussagen erinnern auch an Jüngers anarchisch-aristokratische Werke "Der Waldgang" und "Eumeswil" – den konservativen Anarchismus haben beide gemeinsam.

In die Freude aber, daß dieses Buch endlich in deutscher Übersetzung vorliegt, mischt sich auch Bitterkeit: In der Sprache, im Ausdruck einer Evola-Übersetzung wünscht man sich das Maß, die Klarheit, Form und Disziplin des Autors, der stets ein großer Anhänger einer Neuen Sachlichkeit und dorischen Strenge in der Philosophie und Spiritualität war. Offenbar entstand die Übersetzung unter dem Zeitdruck, der die Moderne stärker als alles andere kennzeichnet. Eine oft schwerfällige Übersetzung überschattet das Verständnis der ohnehin nicht einfachen Gedankengänge Evolas.

Haarsträubende Schöpfungen wie "Lebensstiel", "Geblüht", "Wiederstandslinie" und zahllose Beistrichfehler erwecken den Eindruck, als wolle man schon jetzt sämtliche Rechtschreibreformen des nächsten Jahrhunderts vorwegnehmen. Daß "Nietzsche" falsch geschrieben wird, mag man Zeitungen aus dem katholischen Blätterwald verzeihen, nicht aber einem Verlagshaus, das sich als konservative Avantgarde betrachtet: Eine Verdichtung und gründliche Revision der Übersetzung hätte dem Buch nicht geschadet.

So erscheint die Übersetzung als modernes Werk, das unfreiwillig die Zerrissenheit der Moderne verkörpert. Sie läßt an die unruhige, ungeduldige

Mutter im traditionellen Gleichnis "Meister Leonhard" von Gustav Meyrink denken, den Julius Evola sehr schätzte, die sich für nichts Zeit nimmt, die alles gleichzeitig machen will und deshalb nichts zu Ende bringt. Eine solche Arbeit aber verlangt die Geduld, die Ruhe und Sammlung, die Sicherheit des Vaters, der die Klarheit und Strenge einer Vision und Tradition symbolisiert, wie sie Julius Evola vor Augen hatte. Gerhard Petak

 

Julius Evola: Cavalcare la Tigre / Den Tiger reiten, Arun Verlag, Engerda/Thüringen 1997, 237 Seiten, brosch., 29,80 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen