© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/98 06. März 1998

 
 
Gisela Graichen: Das Kultplatz Buch- Ausflüge an die Stätten deutscher Frühgeschichte
An den Gräbern unserer Ahnen
von Thomas Illmaier

Was galt unseren Vorfahren als heilig? Zunächst die Natur. Landschaftlich imponierende Plätze wird es in Europa, das von dichten Eichenwäldern bewaldet war, die Fülle gegeben haben. Die Eiche, bis zu 1000 Jahre alt, galt den Germanen als heiligster Baum, die Kelten pflanzten sie in ihre "Viereckschanzen", die Priesterinnen und Priester hörten im Rauschen des Eichenlaubs das Raunen der Götter: Vom Raunen schreiben sich die Runen her, ursprünglich magische Göttersprüche verkündend, der Schriftmagie des heute noch vielfach in China verwendeten I-Ging vergleichbar.

Für Naturschönheit ist jeder Mensch empfänglich. Eine Lichtung, ein freier Platz, ein hochaufragender Felsen, skurriler Baumwuchs, heilige Quellen waren bevorzugte Aufenthaltsorte der Götter und galten unseren Vorfahren als heilig. Sie brachten ihre Opfer dar, die nie ganz selbstlos waren, sondern immer mit Bitte und Dank versehen, die Götter günstig zu stimmen
für Fruchtbarkeit und reichen Flur-
segen.

Gisela Graichen gibt in ihrem "Kultplatzbuch" eine hervorragende, wissenschaftlich fundierte Übersicht über Kultplätze in Deutschland, die noch heute existieren und besichtigt werden können. Der Kontakt mit den Göttern unserer Ahnen wurde von Priesterschamanen hergestellt, die ihren Stamm zu heiligen Höhlen, vollmondbeleuchteten Plätzen führten und hier Opfer, Gebet und Beschwörung im uralten Ritus vollzogen, wobei sie sich auch des Rausches und der Ekstase bedienten: Trommel, Gesang und heilige Pflanzen an mythischer Stelle vor einer Grotte und bei gespenstischer Beleuchtung tief im Erdinnern. Hier wurden die Götter und Ahnen zum kultischen Mahl gebeten, besänftigt und für die gefahrvollen Wechselfälle des Jahres um Beistand gebeten.

Die Pflanzen, die Visionen schenken und den Geist bewegen, indem sie Kontakt mit den Göttern an heiliger Stelle stiften und verstärken, waren unseren Vorfahren bekannt: vor allem das Bilsenkraut und der Hanf, der als elementarste Technik der Ekstase galt. Seine Verwendung ist aus Grabbeigaben bekannt, bis hin zu den südrussischen Reitervölkern, die ihn wie die Skythen zu Räucherzwecken in ihren Schwitzhütten verwendeten. Das Bilsenkraut hat in fast allen indogermanischen Sprachen den gleichen Namen: Bil bedeutet Kraft, magische Kraft, Wunderkraft, worauf möglicherweise Namen wie "Bilsteinhöhle" noch anspielen. Der Genuß des Bilsenkrautes bewirkt Ekstase, in höheren Dosierungen visionäre Zustände bis hin zum Dilirium. Der Fliegenpilz, Flugswamp (in den skandinavischen Sprachen), wird als uraltes Soma bereits in den indoarischen Texten des Rigveda (den ältesten heiligen Schriften Indiens) erwähnt. Die Wikinger benutzten seine kraftspendende und visionenschenkende Potenz für ihre Berserkergänge und Flugträume, die sie wirkliches Land wie Amerika entdecken ließen. Die kulturstiftende, kultische Rolle dieser Pflanzen einschließlich der Pilze im Leben unserer Vorfahren ist gar nicht hoch genug anzusetzen.

Welche Bedeutung die magischen Pflanzen und Pilze, die nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa wachsen, für unsere Vorfahren hatten, darauf wies Anfang der 70er Jahre bereits Hanscarl Leuner in seinem denkwürdigen Vortrag "Über die historische Rolle magischer Pflanzen und ihrer Wirkstoffe" hin. Der Göttinger Mediziner lenkte die Aufmerksamkeit versammelter Archäologen auf diesen Punkt, der bis dahin zwar als interessant für die Maya- und Aztekenforschung gelten konnte, für unsere eigenen Breiten jedoch kaum Berücksichtigung fand.

Wenn günstiges Wetter und Fruchtbarkeit ausblieben, mußten die Götter durch Tier- und Menschenopfer versöhnt werden. Für die Opfertiere galt: Sie mußten schnell getötet werden, sie sollten nicht leiden; es durften nicht zu viele Tiere getötet werden; die Tiere waren ehrfürchtig zu behandeln.

Karl der Große, der Sachsenbekehrer und grausame Frankenherrscher, der weder lesen noch schreiben konnte, aber ganz Mitteleuropa dem Christentum unterwarf, verbot noch 782 n. Chr. in seiner "Capitulatio de partibus Saxoniae" den sächsischen Stämmen das "nach heidnischen Vorstellungen verzehrte Hexenfleisch" bei Todesstrafe und Gottesgericht (die sächsischen Heiden ließ er zu Tausenden hinrichten). Die Sachsen unterlagen nach erbittertem Widerstand. Ihre Kulte gingen unter oder wurden von Missionaren christlich verbrämt und umfunktioniert. An manch heiliger Stätte unserer Ahnen steht heute eine Wallfahrtskapelle, die mit Vorliebe Peter- oder Michaelskapelle heißt (sie standen für Mission und Unterwerfung.).

Die Friesen wehrten sich ähnlich zäh und kompromißlos. Sie erschlugen die christlichen Missionare wie Bonifacius, der die berühmte Donareiche bei Hofgeismar (Nähe Kassel) fällte, und entzogen sich der Taufe , wo sie nur konnten. Von ihrem König Radbot (679–719) wird berichtet, daß er seine eigene Einstellung zum neuen Glauben der Christen hatte: "Als er bereits seine Füße in das Taufwasser gesetzt hatte und der Bischof ihm die Freuden des Himmels ausmalte, fragte er, wo seine verstorbenen Vorfahren seien. Als ungetaufte Heiden, so antwortete der Bischof, wären sie nicht im Himmel. Worauf Radbod seine Füße aus dem Taufwasser zog und entgegnete, dann wolle er auch nicht in den Himmel, er wolle lieber mit tapferen Helden, wie seine Vorfahren es gewesen seien, nach Walhall kommen, als mit Leuten, wie die christlichen Missionare es seien, in den Himmel."

Daß die christlichen Priester auch heute noch Frauenkleider (Röcke, Meßgewänder etc.) tragen, ist indessen nicht zum Lachen. Denn ursprünglich wurden nur androgyne Wesen als göttlich verehrt. Die ältesten Darstellungen personifizierter Gottheiten zeigen stilisierte Vulva und Penis.

Die Priester der Kelten und anderer Stämme der indogermanischen Vorfahren trugen ebenfalls Frauenkleider, eben weil das höchste Wesen (der Fruchtbarkeit) mann-weiblich war. Diese in älteste Vorzeit reichende Tradition hat sich im Christentum tatsächlich noch erhalten.

Viele alte Kultplätze kann man in Deutschland heute noch besichtigen. Zwar haben die Nazis die Kultstätten, die sie verehrten, kräftig in Verruf gebracht, womit die heutige Vor- und Frühgeschichte noch immer zu kämpfen hat. Heinrich Himmler, Reichführer SS, war der Präsident der Stiftung Deutsches Ahnenerbe. Er vergab die Forschungsgelder für die wissenschaftliche Spurensuche des Lebens unserer Ahnen. Den Nazis war nun jeder Findling heilig. Heute sieht die Wissenschaft vieles nüchterner, aber eben auch aus Angst, in
die braune Ecke gedrängt zu
werden.

Kultplätze können wirken "wie Drogen", so das Urteil der Kultplatzspezialistin Gisela Graichen: "Heilige Plätze verstärken Fähigkeiten, entwickeln die eigenen Sensibilitäten; aber jeder Platz wirkt anders, äußert seine Kraft unterschiedlich."

Man spürt hier die Verdichtung von Erdenergie, die unsere Vorfahren ebenfalls spürten, weshalb ihnen diese Plätze ja heilig waren. Auch heute kommen wieder Menschen zu den alten Kult- und Opferplätzen zu den Sonnenwendfeiern, den Voll- und Neumonden. Sie kommen nicht aus touristischer Neugier, sondern weil sie sich den rechten Sinn und das Empfinden für die alten Plätze, die unseren Vorfahren in Wald und Flur heilig waren, bewahrt haben.

Gisela Graichen: Das Kultplatzbuch, Bechtermünz Verlag, Augsburg 1997, 386 Seiten, Hardcover, durchgehend illustriert, 16,80 Mark


 
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