© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/98 27. Februar 1998

 
 
Olympia: Das Medaillen-Wunder von Nagano
Freude an der Kraft
von Jutta Winckler

Der Olympische Friede blieb auch während der zurückliegenden 14 Tage (für TV-Zeugen der sportlichen Geschehnisse zeitverschiebungsbedingt 14 Nächte) gewahrt; die winterleistungssporttreibende "Jugend der Welt" (Pierre de Coubertin) traf sich zu den XVIII. Olympischen Winterspielen neuer Zeitrechnung in einer bislang unbekannten Stadt in den "japanischen Alpen": Nagano

Vor vier Jahren fand im norwegischen Lillehammer die – nach übereinstimmender Expertenmeinung – bislang gelungenste Winterolympiade statt. Die wintersportverrückte Nation Norwegen wußte sich mächtig ins Zeug zu legen: optimale Wetterverhältnisse, kurze Wege zu den Sportstätten, in Massen herbeiströmendes, begeistert mitfieberndes, gleichwohl faires Publikum, gute Stimmung, exzellente Leistungen, erträglicher Kommerz – der sprichwörtliche "olympische Geist" lag damals über den Spielen.

Wenig davon in Nagano. Die Spiele kamen im rastlos schachernden Nippon, unweit der "Asienkrise" unserer Tage, über den Rang eines bloß regionalen, ephemeren Ereignisses nicht hinaus. Die Sony- & Honda-Japaner, Kinder und Enkel der Besiegten von 1945, sie haben als ihre Hauptsportart das nordamerikanische Baseball adoptiert. Neuerdings versuchen mächtige Kapitalinteressen, auch dem europäischen Fußballspiel profitable Massenakzeptanz zu verschaffen. Wintersport rangiert da unter "ferner liefen", wenngleich zum Beispiel die Skispringer Japans zur Weltspitze zählen.

Unbehelligt von welchen Welthändeln auch immer war eine harmonisch integrierte, mediales Ost/West-Spaltungsgefasel schlicht ignorierende, gesamtdeutsche Normalität darstellende Olympia-Equipe nch Asien gereist. Auch ohne Hunnenrede wurde dort Grandioses vollbracht: Der Truppe gelang es, 80 Prozent ihrer Starter unter den ersten Zehn zu plazieren; der bislang größte Edelmetallregen ging auf die Wintersportler der vormals beiden Deutschländer nieder.

Fast zehn Jahre nach Fall der Mauer steht unsere Wintersportfrau- bzw. -mannschaft auf Platz 1 der Welt. Das war so nicht erwartbar. Zigtausende, an Nationalallergie erkrankte graumelierte Alt-Achtundsechzigern ärgern sich in ihren Redaktionstuben, Amtsgerichten und Parteibüros gelbgrün. Auch von der Liquidierung der Leistungssportstrukturen der ehemaligen DDR hatte sich so manches rot-grüne Blinklicht die Bestätigung seiner Ressentiments versprochen; Ziel: sportpolitische Selbstverzwergung der leistungsstarken Sportnation nach dem "Vorbild" der Kohlschen Alt-BRD.

Dort hatte man nach dem Aufstieg der DDR zum Sparta im märkischen Sand resigniert und versucht, sich dem für Westdeutschland zunehmend blamabler ausfallenden Vergleich durch die "Doping"-Inquisition zu entziehen. Die Sportbünde der Alt-BRD nahmen nach 1990 Rache für viele Demütigungen auf internationalem Parkett. Mittlerweile aber hat die Doping-Rufmord-Kampagne gegen DDR-Siegertypen (exemplarisch das schäbige Komplott gegen das Erfolgsduo Krabbe/Springstein) und deren hochqualifizierte Trainer ihren Zenit überschritten; der nationalpolitische Stellenwert leistungssportlicher Triumphe dämmert auch den CDU-Rambos Kanther und Stoiber. Selbst der IOC-Funktionär Walter Tröger mahnt an, die "Überfremdung deutscher Mannschaften durch Ausländer" zu beenden. Das 10-Jahres-Controlling der Förderungs-/Leistungsbilanz stellt den Verbänden der Alt-BRD ein nicht selten kastastrophales Zeugnis aus. Nach wie vor zehrt man von Langzeitwirkungen, lebt von der sportpolitischen Subtanz der Ex-DDR. Der Kahlschlag der mitteldeutschen Förderlandschaft aber dürfte bald spürbar werden, schon Sydney 2000 könnte den (insbesondere leichtathletischen) Offenbarungseid bringen.

Daran, daß die westdeutsche Linke jeden Verlust, jede nachteilige Entwicklung, jede Niederlage des Eigenen frenetisch begrüßt, hat man sich mittlerweile wie an das In-die-Stube-Pinkeln von Welpen gewöhnt. Wir Bei-Trost-Gebliebenen aber, wir leistungssportlichen Realos, wir freuen uns über die triumphalen Siege der jungen Frauen und Männer, die aus unserer Mitte kommen: aus den schneereichen Regionen Bayerns, Sachsens und Thürigens ebenso wie aus den Großstädten Berlin oder München, wo die Techniker und Materialexperten sitzen.

Der Triumph von Nagano zeigt, daß Vereinigung auch Selbststeigerung bedeuten kann. Nagano sollte zum Symbol dafür werden, daß die deutsche Nation nach wie vor "zu Großem in der Lage" (Bild) ist. Gerade olympische Siege sind immer auch Triumphe des Willens zur Selbstüberwindung: wer könnte zum Weltrekord gezwungen werden?

Ein enormer, gleichsam zivilheroischer Idealismus steht am Anfang aller Sport-Karrieren; sollten Medaillen sich später in barer Münze auszahlen, sei dies den Athletinnen und Athleten gegönnt. Ursprünglich aber ist stets die Freude an der eigenen Kraft, der Wille zum Sieg, Fairness und der Respekt vor der Leistung des Gegners.

Dem Deutschland der Hypochonder und Schlaffis aber ist zu wünschen, es möchte sich vom exzellenten Abschneiden und tadellosen Erscheinungsbild seiner Nagano-Expedition anstecken lassen. In Japan präsentierte sich Germania von der allerbestenSeite. Arrigato Nagano – Hello Salt Lake City 2002!


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen