© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/98 20. Februar 1998

 
 
Pankraz, Prinzessin Kawit und die Ängste der elften Dynastie

Unter den vielen "runden" Gedenktagen, die der feuilletonistische Erinnerungsbetrieb sich 1998 zu feiern vorgenommen hat, fehlt der rundeste und zeitumspannendste, nämlich die Morgentoilette der ägyptischen Prinzessin Kawit vor genau viertausend Jahren. Kein Kulturkalender erwähnt jene Prinzessin, obwohl deren aus dem Jahr 2002 v. Chr. datierter Sarkophag (elfte Dynastie) ein wahrhaft sensationelles Relief zeigt: Die Dame sitzt vor dem Bronzespiegel und wird von ihren Dienern frisiert. Es ist das erste Menschheitsdokument über eine genuine Modeprozedur, es ist tatsächlich "Die Geburt der Mode", zweifellos ein wichtigeres Datum als "Dreißig Jahre 68er" oder "Hundertfünfzig Jahre Barrikaden in Berlin".

Man sieht auf dem Relief genau: Hier rollt keine Kulthandlung ab, kein Priesterdienst und keine Staatszeremonie, sondern eine kleine Hofdame macht sich einfach "schön", und der Vorgang war ihr oder ihren Angehörigen so wichtig, daß sie ihn für das Totenreich verewigt haben. Ewig soll Kawit im Moment ihrer Verschönerung festgehalten werden, denn dafür, für die Verschönerung, lebte sie, darin ging sie auf.

Aber man sieht auch: Die Bosselei an ihrer Frisur macht Kawit gar nicht unbedingt schöner, beinahe möchte man ihr über viertausend Jahre hinweg warnend zurufen: "Mädchen, muß das unbedingt sein?" Doch es muß natürlich sein. Kawit fragt nicht danach, ob ihr irgendetwas "steht", sondern sie steht unter Zwang, sie erfüllt blindlings einen vorgegebenen Kanon, eben den Kanon der Mode. Sich dem zu entziehen, darf niemand wagen.

Als bei uns in 68er Zeiten extrem kurze Röcke modisch wurden, bequemten sich auch solche Damen zu dieser Mode, deren Beinform oder Beinumfang eher nahelegte, einen etwas längeren Rock zu wählen. Sie wählten dennoch den kurzen, trotz des Gekichers, das sie damit provozierten, trotz der sich vermindernden Attraktionschancen. "Lieber unelegant als ein Modemuffel", lautete die Devise, nicht anders, als es bereits bei Schön-Kawit in der elften Dynastie der Fall gewesen sein mag.

Wir haben es mit einer offenbar unvermeidlichen fatalen Dialektik zu tun: Mode beginnt immer als eine Art Ich-Steigerung, als Auftrumpfung und Individualisierung – und endet regelmäßig als Ich-Knebelung, als frenetisches Nachahmen, als Anpassung zum eigenen Nachteil, als öder Konformismus. Es geht ja nicht nur um Rocklängen, sondern es geht um Formen der Geselligkeit, der Wohnkultur, der sozialen Repräsentation, um Strömungen in der Kunst, in der Literatur, im Meinen und Urteilen überhaupt. In keinem dieser Lebensbereiche ist es möglich, sich ohne schweren Schaden für das eigene Ich gegen die Mode zu stellen. Die Mode ist der größte Diktator, den es gibt.

Was aber macht sie so mächtig, was verleiht ihr diese Kraft? Manche Kulturkritiker sagen: "Es ist die Industrie, die dahinter steht, das Profitprinzip. Die Abwechslung der Moden kitzelt Bedürfnisse auf, die dann von der Industrie befriedigt werden." Doch woher kommt dann diese Gier nach Abwechslung? Was überzeugt mich davon, daß ich meine Klamotten und meine Meinungen auswechseln muß?

Modemacher, sogenannte "Modezaren", versuchen uns einzureden, daß sie und ihre Branche dem Prinzip der Neuheit verschwistert seien, daß sie dem Fortschritt dienten, indem sie "neue Horizonte aufreißen". Nichts ist falscher. Ein einziger Blick in "neue" Kreationen genügt, um zu erkennen, daß da lediglich immer wieder alte Hüte neu aufgedampft werden. Es ist nichts weiter als ein ewiges Zitieren und Wiederaufwärmen, ein "Déjà vu" und "Das hatten wir doch schon mal".

Wirkliche Neuerungen werden gerade von der Modebranche mit Penetranz ignoriert und links liegen gelassen. Nur mit Widerwillen nähert sie sich solchen Neuerungen, erst wenn es sich gar nicht mehr umgehen läßt. Und dann versucht sie regelmäßig, die Neuerung zu kaschieren, ihr irgendeinen "Look" zu verpassen, der beim Publikum den Déjà-vu-Effekt auslöst. Autos wurden von ihr lange Zeit als Pferdekutschen ohne Pferde gestylt, neue Stoffe so lange appretiert, bis sie "wie Seide" glänzten oder sich "wie Naturwolle" anfühlten. Die Mode ist ein durch und durch reaktionäres Medium.

Man kann das u. a. daran erkennen, daß die Moden immer dann am schnellsten wechseln, sich die einzelnen "Trends" immer dann buchstäblich auf die Füße treten, wenn ein gesellschaftliches Klima besonders stickig geworden ist, wenn in Wirklichkeit "nichts mehr läuft" und die jeweils herrschenden Schichten wie unter Käseglocken vor sich hinmurmeln. Dann, wie gesagt, kommt die Stunde der Modemacher. Ihre Faxen haben etwas Verzweifeltes. Sie bedienen nicht den kecken Übermut, sondern die Angst.

Das Sargrelief der kleinen Prinzessin Kawit liefert dafür den stärksten Beleg. Es ist – in all seiner modischen Verspieltheit – ein Todesmotiv, ein Relief der Angst, der Todesangst, des verzweifelten Wegsehenwollens angesichts des Unabwendbaren. Die Gesten der Mode sollen die Angst irgendwie überspielen, sie gleichsam durch Schminke und Tornüre unsichtbar machen, der hinfälligen Gegenwart Dauer verleihen.

Stärkere Gemüter haben stets viel gegen "bloße" Moden einzuwenden gehabt. So im 18. Jahrhundert (dem Jahrhundert der Supermoden, der Reifröcke und Chinoiserien) der liebe Friedrich Schiller, der die vielen Differenzierungen, Nuancierungen der damaligen Mode als Schein und als diktatorischen Zwang durchschaute und just das wiedervereinigen wollte, "was die Mode streng geteilt".

Er hat dann freilich nicht verhindern können, daß sein eigener zwangloser Habitus ("Schillerkragen") zeitweilig selber zur Mode wurde. Woraus man lernt, daß doch nicht alles an der Mode nur Angst ist, daß sie sich mitunter sogar auf die Schippe nimmt, sich über sich selbst lustig machen kann. Solche "Antimoden" sind zweifellos die besten.


 
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