© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Euro:Hans Lechner, Mitunterzeichner des Professoren-Appells zur Verschiebung der Währungsunion
"Widerspruch schon seit langem"
von Dieter Stein

Herr Professor Lechner, die "Berliner Zeitung" schreibt von "wissenschaftlichen Wichtigtuern", die "Frankfurter Rundschau" redet von "professoralen Spätzündern aus dem Elfenbeinturm". Haben Sie mit solchen Reaktionen auf Ihren Aufruf "Der Euro kommt zu früh" gerechnet?

LECHNER: Der Elfenbeinturm kommt im Zweifel immer dann, wenn den Praktikern die Argumente ausgehen. Bereits 1992 haben Wirtschaftswissenschaftler ein Manifest verfaßt, daß die Verschiebung des Euro keine Katastrophe wäre.

Warum haben Sie sich nicht früher eingemischt?

LECHNER: Ich kritisiere die Fristen des Maastricht-Vertrages, seit er unterschrieben wurde. Ich habe daraus nie einen Hehl gemacht.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Diskussion um den Euro erst 1997 so richtig heißgelaufen. Wo blieb da Ihre Stimme und die Ihrer Kollegen?

LECHNER: Die Kollegen, die ich kenne und die ein bißchen etwas davon verstehen, haben schon damals den Vertrag kritisiert.

Nun versuchen Politiker als Reaktion darauf die Wissenschaftler als politikfern hinzustellen, nach dem Motto, sie haben nicht ganz mitgekriegt, was hier passiert.

LECHNER: Die Politiker merken nicht, daß Politik nicht allein ihre Angelegenheit ist. Es gibt schon so etwas wie politikferne Ökonomie oder überhaupt politikferne Wissenschaft. Aber das trifft auf die Unterzeichner dieses Appells nicht zu. Den Vorwurf kann man auch umdrehen: Die Politiker leben oft fern von der Wirklichkeit, sie leben da in ihrem Raumschiff Bonn und bekommen oft nicht mit, was sich draußen abspielt. Der Bundeskanzler hat versprochen, die Bundesbank zu kastrieren, das hat er auch durchgeführt, damit sind die Kritiker zufriedengestellt. Warum der Sachverständigenrat sich so zurückhaltend zum Euro geäußert hat, weiß ich nicht.

Euro-Befürworter behaupten, daß die Vorbereitungen zur Einführung der Einheitswährung bereits so weit fortgeschritten seien, daß eine Umkehr gar nicht mehr möglich sei.

LECHNER: Das ist ein Totschlagargument. Sehen Sie sich doch an, wie krampfhaft die Regierungen bemüht sind, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Man kann nicht erwarten, daß diese krampfartigen Bemühungen in Zukunft anhalten. Es können sich Mehrheiten in der Europäischen Zentralbank unter dem Druck der Politik bilden, die die Stabilitätspolitik ändern werden. Es wird mehrheitlich entschieden, ob man die Kriterien einhält oder nicht. Wie kann die Politik allen Ernstes erwarten, daß man so etwas widerspruchslos hinnimmt? Aber noch einmal: Der Widerspruch kommt von uns nicht erst seit gestern, sondern der kommt seit Anfang des Jahrzehntes, als der Maastricht-Vertrag den Zeitablauf festgeschrieben hat.

Aber warum wurde eigentlich die Diskussion bisher recht seelenruhig geführt...

LECHNER: …weil keiner darüber besonders aufregend berichtet hat!

In der Politik wird die Diskussion um den Euro alles andere als ergebnisoffen geführt. Wie kann so etwas passieren?

LECHNER: Wer traut sich denn im Parlament noch den Mund aufzumachen und gegen die Währungsunion zu sprechen? Die SPD hat ja auch ihre großen Schwierigkeiten gehabt und hat gedacht, das könnte ein Thema gegen Kohl für die nächste Wahl sein. Aber daraus wurde nichts. Wer ist von den Bonner Parlamentariern fachlich in der Lage mitzureden? Fragen Sie einmal, wie viele Bundestagsabgeordneten das letzte Sachverständigenrat-Gutachten gelesen haben.

"Das Ziel des Euro ist, die Bundesbank als geldpolitische Leitfigur abzuschaffen"

Kritiker werfen Ihnen vor, daß eine Verschiebung die generelle Aufgabe einer gemeinsamen Währung bedeutet.

LECHNER: Eine Verschiebung bedeutet, daß wir uns weniger krampfhaft mit den Kriterien auseinandersetzen können. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, dann werden auf uns Transferzahlungen innerhalb Europas in unbekannter Höhe zukommen. Deswegen ist eine Verschiebung keine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Es heißt im Gegenteil, daß man mit einem krampfhaft herbeigeführten Euro nicht den finanziellen Zusammenbruch programmiert. Und derzeit wäre nach meiner Ansicht der politische Zwist unter den Teilnehmern vorbestimmt.

Wäre es denn überhaupt so ein Drama, wenn der Euro erst einmal baden geht?

LECHNER: Ja, das wäre es. Denn eine einheitliche Währung und eine einheitliche Geldpolitik sind eine außerordentliche Entlastung für alle am internationalen Wirtschaftsverkehr Beteiligten. Es wäre in der Tat besser, wir hätten eine einheitliche Währung. Noch lieber wäre mir, wir hätten Weltgeld, weil wir dann ein noch größeres Währungsgebiet hätten, das mit einer Währung verbunden wäre.

Aber ist eine gemeinsame Währung realistisch, egal zu welchem Zeitpunkt, so lange es keine politische Union innerhalb Europas gibt?

LECHNER: Wenn man weiß, wie die Staatsfinanzen zu führen sind und die Notenbank unabhängig ist, sehe ich darin kein Problem.

Wäre es denkbar, daß man in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik verschiedene Interessen vertreten kann und trotzdem eine gemeinsame Währung hat?

LECHNER: Aber sicher, sobald die Zentrale Notenbank eine Aufgabe hat: für die Stabilität der Währung zu sorgen. Dann muß sich die Politik in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik darauf einstellen. Das hat ja in Deutschland im Fall der unterschiedlichen Wirtschaftspolitik der Länder hervorragend geklappt.

Haben die unterschiedlichen Sozialstandards innerhalb Europas bei einer gemeinsamen Währung Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in den einzelnen Nationalstaaten? Sind diese Wirkungen nicht ungleich verheerender als bei getrennten Währungen?

LECHNER: Das kommt darauf an. Wenn Sie eine Kombination der italienischen Sozialpolitik und der französische Notenpresse erwarten – Ja. Aber wir haben in dieser Hinsicht in Europa Fortschritte gemacht.

Aber Sie selbst sagen in Ihrer Erklärung, daß der Euro keineswegs dazu beiträgt, die Beschäftigungsmisere in Deutschland zu beheben, sondern, ganz im Gegenteil, sie zu verschärfen.

LECHNER: Ja, da ist ein Unterschied zwischen Sozialstaatsystem und der Beschäftigungslage im allgemeinen. Die Sozialpolitik ist ja nicht Beschäftigungspolitik. Da müssen wir unterscheiden. Die Politiker wollen uns aber partout weismachen, daß wir mit dem Euro eine Lösung des Beschäftigungsproblems zu erwarten haben. Das ist in keiner Weise zu begreifen. Wir werden im Gegenteil damit rechnen müssen, daß wir wegen des Wegfalls der Wechselkurspolitik gewissermaßen Zonenrandgebiete auf europäischer Ebene bekommen werden. In Deutschland haben wir die Geldpolitik Gott sei Dank nie als Instrument der Beschäftigungspolitik eingesetzt. Das hat der Bundesbank ja immer den Vorwurf eingetragen, daß sie reaktionär wäre und ihre Restriktionspolitik an der Arbeitslosigkeit schuld sei. Wenn wir über Beschäftigung reden, müssen wir mit den Gewerkschaften reden…

Können Sie sich erklären, warum die Gewerkschaften bei der Euro-Diskussion nicht kritisch Stellung genommen haben?

LECHNER: Die Gewerkschaften in Deutschland werden zur Parteimeinung der SPD kaum oppositionelle Standpunkte vertreten. Das einzige europäische Problem, von dem bei ihnen zur Zeit die Rede ist, ist die Verhinderung von Wettbewerb durch die Arbeitnehmer in ärmeren Ländern mit niedrigeren Löhnen, ein Europa, das sich auf die sozialpolitischen Standards von Westdeutschland einigt. Das halte ich für illusionär!

Müßten die Gewerkschaften in Deutschland nicht gegen den Euro Sturm laufen?

LECHNER: Zweifellos wird die europäische Einheitswährung die Macht nationaler Gewerkschaften ebenso beschneiden wie die Macht nationaler Regierungen. Vielleicht ist das den Gewerkschaftsführern noch nicht ganz klar geworden.

Wie sieht Ihr Szenario aus, wenn der Euro jetzt, wie geplant, eingeführt wird?

LECHNER: Wir müssen damit rechnen, daß recht bald eine Diskussion beginnt über Einzelfragen der einzuschlagenden Politik der Europäischen Zentralbank, wie hoch die Zinsen gesetzt werden sollen oder wieviel Liquidität man dem Bankensystem zuteilen soll. Aber dann kriegen wir die Auseinandersetzung mit der Politik der Europäischen Zentralbank. Wir dürfen nicht vergessen: Der Bundeskanzler hat diese Europäische Währungsunion vorangetrieben, weil er vor der Kritik an der Politik der Deutschen Bundesbank eingeknickt ist und sie als geldpolitische Leitfigur abschaffen will. Man kann darauf wetten, daß die Europäische Zentralbank durch Mehrheitsentscheidung im Zentralbankrat eine leichtere Geldpolitik betreiben wird als die Bundesbank in der Vergangenheit. Wenn die Europäische Zentralbank die gleiche Politik betreiben würde wie die Bundesbank, dann hätte man auf dieses Projekt Euro überhaupt verzichten können.


 
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