© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Wirtschaft: Vor über 150 Jahren gründete Werner Siemens Deutschlands größten Elektrokonzern
Der "Blaue Engel" für den Öko-PC
von Rüdiger Ruhnau

Vom Mikrochip bis zum schlüsselfertigen Kraftwerk reicht die Produkt-Palette des größten deutschen Technologiekonzerns. In den inländischen Fertigungsstätten werden 203.000 Mitarbeiter beschäftigt, weltweit sind es 380.000, die für Siemens einen Umsatz von rund 100 Millionen Mark erwirtschaften. Auch wenn schon vorher Maßnahmen zur Erhaltung der Umweltqualität üblich waren, setzte erst ab 1987 eine ständige, systematische Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Auflagen bezüglich Abfallbeseitigung und Immissionsschutz ein. Bei weltweit 400 Produktionsstätten benötigt ein Großunternehmen wie Siemens, das an die Tausende Produktfamilien anbietet, für den Umweltschutz professionelle Manager wie für andere unternehmerische Gebiete auch.

Nachdem die EU-Öko-Audit-Verordnung in Kraft trat, wurden bis 1997 insgesamt 32 inländische Standorte nach dem Öko-Audit der Europäischen Union überprüft, weitere 14 nach dem Umweltmanagementsystem ISO 14 001 zertifiziert. Allein in den deutschen Betrieben sorgen 180 Umweltschutzbeauftragte für die Erfüllung firmeninterner Leitlinien. Hinsichtlich des Öko-Audits ist damit die Siemens AG das Unternehmen mit den meisten registrierten Standorten.

Geht man davon aus, daß Siemens überwiegend im Investitionsgüterbereich und nicht im Konsumgüterbereich arbeitet, dann wird einigermaßen erklärlich, warum man bis heute noch keine Input-Output-Bilanz erstellt hat. Trotz der unbestreitbaren Diversifikation sollte aber die Auflistung aller umweltrelevanten Stoffe in Form einer Input-Output-Analyse nicht länger hinausgeschoben werden. Hier kann nur schwerpunktmäßig auf einige wenige der 17 meist selbständig am Markt operierenden Arbeitsbereichen, wie Kommunikation, Verkehr, Bauelemente, Industrie oder Energie, eingegangen werden.

Etwa acht Prozent des Umsatzes entfallen auf die Energieerzeugung: fossile Energieerzeugung, nukleare Energieerzeugung (Kernkraftwerke) und Wasserkraftwerke. Alle zur Zeit in Deutschland arbeitenden 19 Kernkraftwerke sind von Siemens/KWU erbaut worden. Die heute fehlende Akzeptanz für Kernenergie hat dazu geführt, daß in Deutschland keine Kernkraftwerke mehr gebaut werden können. Um das technische Wissen zu erhalten, entwickelt aber Siemens zusammen mit den Franzosen den Europäischen Druckwasserreaktor (EPR). Fossile und nukleare Kraftwerke arbeiten nach dem gleichen Prinzip, die erzeugte Wärme wird über gas- oder dampfgetriebene Turbinen und einen Generator in elektrische Energie umgewandelt. Gelingt es, mit der gleichen Primärenergie (Wärme) den Anteil der elektrischen Energie zu erhöhen, dann ist ein hoher Wirkungsgrad erreicht. Hohe Wirkungsgrade sind besonders umweltfreundlich, weil damit Ressourcen eingespart werden. Ein Weg zur Effizienzsteigerung ist das von Siemens entwickelte Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk (GUD). Bei diesem werden die 550 Grad Celsius heißen Abgase von einer Gasturbine dazu benutzt, in einem Abhitzekessel Dampf zu erzeugen, der wiederum eine Dampfturbine in Drehung versetzt und über den angekuppelten Generator Strom erzeugt. Mit Wirkungsgraden von 58 Prozent liegt Siemens auf dem GUD-Gebiet weltweit an der Spitze.

Der produktbezogene Umweltschutz berücksichtigt bereits in der Entwicklungsphase die Recyclingfähigkeit der Produkte durch geeignete Materialauswahl. Aufgrund gesetzlicher Regelungen ist der Hersteller eines Produkts für dessen gesamten Lebenszyklus bis hin zur Entsorgung verantwortlich. Der Bereich Siemens-Anlagentechnik bietet in einigen Produktsparten ein flächendeckendes Rücknahmesystem und die Wiederverwertung aller Anlagen und Geräte. In einer Berliner Pilotanlage werden spezielle Zerlegetechniken von Altgeräten erkundet, um mehr Erkenntnisse über optimale recyclinggerechte Konstruktionsweisen zu sammeln.

Jeder Einwohner produziert pro Jahr 250 Kilo Hausmüll

Da alleine in Deutschland mehr als 15 Millionen Personalcomputer im Einsatz sind und mit jährlich zweistelligen Zuwachsraten zu rechnen ist, gewinnt die Umweltverträglichkeit von PC’s an Bedeutung. Nur sortenreine, gekennzeichnete Kunststoffe, ohne bromhaltige Flammschutzmittel, erhalten als Kennzeichen den "Blauen Engel" für den Öko-PC.

Immer noch fallen in Deutschland, trotz aller Bemühungen, pro Jahr und Einwohner 250 Kilogramm Hausmüll an, die überwiegend auf Deponien abgelagert werden. Siemens hat ein Schwel-Brenn-Verfahren entwickelt, das vom ursprünglichen Müll weniger als drei Promille Reststoffe übrig läßt. Gleichzeitig werden 75 Prozent der im Müll enthaltenen Energie in Wärme und Strom verwandelt: In einem ersten Schritt wird der Müll bei 450 Grad Celsius unter Luftabschluß entgast. Dabei entstehen ein Prozeßgas und feste Reststoffe, die in eine Grobfraktion (Metalle, Steine, Glas) und in eine kohlenstoffhaltige Feinfraktion getrennt werden. Die Feinfraktion wird zusammen mit dem Prozeßgas in einer Brennkammer bei 1.300 Grad Celsius verbrannt. Diese hohe Temperatur stellt sicher, daß alle organischen Stoffe – auch mögliche Dioxine – zerstört werden. Nicht brennbare Reste bindet man in ein auslagebeständiges Schmelzgranulat ein. Da der verfügbare Deponieraum abnimmt, andererseits ab dem Jahr 2002 die Ablagerung unbehandelten Mülls verboten ist, bietet sich das Schwel-Brenn-Verfahren als akzeptable Lösung an, wobei gleichzeitig fossile Energieträger eingespart werden können.

Vor über 150 Jahren begann die Elektroindustrie von Berlin aus ihren Siegeszug in die Welt. Werner Siemens (1816–1892), ein Bahnbrecher der industriellen Revolution, verrichtete Dienst als Leutnant an der Königlichen Artilleriewerkstatt am Ufer der Spree. Sein Talent zur Lösung elektrotechnischer Aufgaben bewies er mit dem Aufbau der elektrischen Telegraphie. Der preußische Generalstab, an einer schnellen Nachrichtenübermittlung interessiert, berief Siemens in eine Telegraphie-Kommission, denn bis dahin kannte man nur die unzulängliche mechanisch-optische Signalübermittlung. Zusammen mit dem an der Berliner Universität hoch geschätzten Feinmechaniker J.G. Halske gründete er 1847 die "Telegraphen-Bauanstalt Siemens & Halske", welche die erste große unterirdische Telegraphenlinie Berlin-Frankfurt/M. baute. Staatsaufträge, um Städte wie Köln, Hamburg, Breslau und Stettin telegraphisch mit Berlin zu verbinden, folgten. Werner Siemens wurde vom Militärdienst freigestellt und erhielt einen ehrenvollen Abschied von der Truppe.

Mit dem Bau der ersten Dynamomaschine 1866 hatte Siemens ein neues Kapitel in der Starkstromtechnik aufgeschlagen, jetzt konnte elektrische Energie in großen Mengen für Beleuchtungszwecke oder für elektromotorische Kraftanwendungen wirtschaftlich erzeugt werden. Mit Hilfe seiner Brüder Wilhelm und Karl gelang ihm die Gründung von Zweiggeschäften in St. Petersburg und London. Werner von Siemens (geadelt 1888) verband wissenschaftliche Begabung mit erfinderischem Genie und geschäftlichem Weitblick. Auf sozialem Gebiet schuf er soziale Einrichtungen, so die bis dahin nicht gekannte Pensions-, Witwen- und Waisenkasse; die tägliche Arbeitszeit reduzierte er auf neun Stunden, während 10 bis 14 Stunden die Regel waren. Auch heute ist das Großunternehmen bemüht, die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu stärken. Vorstandschef Heinrich v. Pierer sagte, daß Siemens nur dann nachhaltig erfolgreich sein wird, wenn jedes Geschäftsgebiet für sich im globalen Wettbewerb bestehen kann.


 
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