© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Pankraz, A. Etzioni und der Export des deutschen Gewissens

Erschreckend einfältig klang kürzlich der Ratschlag, den Amitai Etzioni "deutschen Freunden" gegeben hat. Das wiedervereinigte Deutschland, so der prominente amerikanische Kommunitarist allen Ernstes, solle – angesichts der Sünden seiner Vergangenheit – in seiner Außenpolitik künftig auf eigene nationale Interessen gänzlich verzichten, solle stattdessen nur noch überall in der Welt "die Durchsetzung der Menschenrechte" betreiben. Will der Mann uns in Teufels Küche bringen?

Die sogenannten Menschenrechte sind doch ein völlig ungeklärter, von lauter historischen Zufälligkeiten geprägter Begriff! Sie kamen zum ersten Mal in der Frühzeit des europäischen Konstitutionalismus zum Zuge, also im England des siebzehnten Jahrhunderts vor und nach der "glorious revolution" von 1688. Gewisse Freiheiten der Individuen, so hieß es damals, ergäben sich nicht mehr, wie bisher, spontan aus der Praxis des stammesmäßigen oder bürgerlichen Zusammenlebens, und sie würden auch nicht mehr von einem Lehnsherrn oder einem Hohen Senat "gnädig gewährt" oder nach Verdienst und Stellung in der Stammes- oder Bürgerhierarchie zugeteilt, sondern sie stünden jedem einzelnen einfach zu, es seien keine Bürgerrechte mehr, sondern "Menschenrechte".

Wobei man von Anfang an größte Schwierigkeiten hatte, den Katalog dieser Menschen- oder "Grundrechte" (wie man auch bald sagte) stringent und überzeugend aus der "Menschennatur" abzuleiten. Es haftete (und haftet) diesem Katalog stets etwas Willkürliches, Beliebiges an; die deklarierten Rechte verdankten sich faktisch nie seriöser ethischer oder rechtsphilosophischer Reflexion, sondern entsprangen den jeweiligen Bedürfnissen der handelnden Akteure.

So war es schon mit dem ersten modernen Menschenrecht, das 1679 vom englischen Parlament gegen die noch herrschenden Stuarts in der sogenannten "Habeas corpus act" kodifiziert wurde: demSchutz vor willkürlicher Verhaftung. "Habeas corpus", auf deutsch: "Du mögest den Körper haben", war ursprünglich die Verhaftungsanweisung der Obrigkeit an den Sheriff gewesen; jetzt wurde diese Anweisung mit strengen Kautelen umgrenzt. Der Sheriff mußte seinen Verhafteten innerhalb kürzester Frist einem Richter zuführen, der den Haftgrund zu prüfen hatte.

Nach der Vertreibung der Stuarts erließ das Parlament (und akzeptierte der neue König aus dem Geschlecht der Oranier) die "Bill of rights", deren Menschenrechtskatalog uns heute eher kurios vorkommt. Es werden da als "Menschenrechte" beispielsweise fixiert: das exklusive Steuerbewillungsrecht des Parlaments, die Immunität der Parlamentsmitglieder, das Verbot eines stehenden Heeres in Friedenszeiten.

Etwas philosophischer ging es knapp hundert Jahre später bei der Verkündung der "Virginia Bill of Rights" des amerikanischen Kongresses und des "Amendment" zur Virginia Bill of Rights 1776 zu. Da wurde zwar nicht die im Lande üppig blühende Sklaverei abgeschafft, aber immerhin der "pursuit of happiness" als Menschenrecht verkündet, also daß jedem erlaubt sein müsse, nach dem "Glück" zu streben.

Und so ging es dann weiter: die Diskussion darüber, was denn nun zu den "unveräußerlichen" Menschenrechten gehöre, dauert noch heute an und wird wohl nie ein Ende finden. Allmählich herauskristallisiert hat sich ein harter Kern, der sich etwa mit der Trias "Freiheit-Gerechtigkeit-Eigentum" umreißen läßt. Es werden gewisse Freiheiten staatlich garantiert und einklagbar gemacht: Rede- und Lehrfreiheit, Freiheit der Religionswahl, freie Aus- und Einreise, ferner die Gleichheit vor dem Gesetz und daß einem nichts willkürlich weggenommen werden darf.

Dieser Kern ist während der letzten hundertfünfzig Jahre in den diversen Verfassungen oder durch juristische Kasuistik kontinuierlich ausgeweitet bzw. aufgefächert worden. Die Redefreiheit weitete sich (pro forma wenigstens) zur Presse- und Informationsfreiheit, zur Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, zur Freiheit für Pornographie und Gewaltdarstellung, die Gleichheit vor dem Gesetz zum Recht des einzelnen, jede Schule oder Universität besuchen zu dürfen, zum gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern usw. Mittlerweile fordern einflußreiche gesellschaftliche Kräfte ein Menschenrecht auf Arbeit, auf Wohnung, auf Wahrnehmung des Frauseins, auf Gesundheit, was immer das heißen mag.

Aber es gibt auch Gegenzüge, Einschränkungen der Menschenrechte, die manchmal bis an den Kern heranreichen und sogar in den Verfassungen ausdrücklich niedergelegt sind; oder es werden Sonder- und Spezialgesetze erlassen, Gesetze gegen den Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, Gesetze über die Verwirkung der Grundrechte und über ihre generelle Einschränkung in gesellschaftlichen Ausnahmefällen. Es entstehen dauernd Grauzonen zwischen Grundrechten und ihren Einschränkungen, man denke nur an die Mühsal bei der Entscheidung, ob ein bestimmter Asylbewerber wirklich asylrechtsfähig ist oder nicht.

Pankraz kann nur wiederholen: Wer den Deutschen angesichts dieses Tohuwabohus rät, unter Verzicht auf jegliches Eigeninteresse in der Außenpolitik sich zum Weltgewissen in Sachen Menschenrechte aufzuschwingen, sich bei anderen dauernd massiv einzumischen und unter Mißachtung konkreter Situationen den Oberlehrer zu spielen, der meint es nicht gut mit den Deutschen. Er bugsiert sie in eine Position der Lächerlichkeit und der permanenten Überforderung, die außerordentlich gefahrenhaltig ist.

Es ist ja schon schwer genug, im eigenen Land, wo man über Traditionen und Situationen noch einigermaßen Bescheid weiß, halbwegs freie und gerechte Zustände herzustellen und aufrechtzuerhalten. Gelingt einem das, wird man ganz automatisch zum Vorbild für die anderen. Gesinnungsexport ist überflüssig.


 
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