© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
Die domestizierte Rechte
von Werner Olles

Es gibt im Grunde für die Rechte heute nur noch drei Möglichkeiten sich öffentlich zu äußern: konservativ, ironisch oder ethisch-religiös, wenn sie nicht in den trüben Gewässern der politischen Korrektheit untergehen will. Sie kann natürlich auch versuchen von der Neuen Linken zu lernen, deren Ausdifferenzierung in diverse Klein- und Kleinstparteien mit der Gründung der Grünen Ende der siebziger Jahre ihren krönenden Abschluß fand. Sollte der Neuen Rechten ähnliches vorschweben – wozu es allerdings gewisser Häutungen bedürfte – ist es durchaus ratsam, sich daran zu erinnern, daß es zweimal in unserem Jahrhundert – in den zwanziger und in den fünfziger Jahren – eine prachtvolle Rechte in Deutschland gab.

Die erstere wurde 1933 von der linksradikalen Bewegung des Nationalsozialismus (Hitler legte Wert auf die Feststellung, kein Rechter zu sein) gewaltsam zerschlagen bzw. zwangsintegriert. Ihre Rache für diese Schmach war der 20. Juli 1944 des Stefan George-Schülers Graf Stauffenberg, dessen letzte Worte vor der Hinrichtung: "Es lebe das heilige Deutschland!" dem Diktator in den Ohren geklungen haben müssen.

Die zweite konservative Gruppierung um die Deutsche Partei (DP), den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) und die Mende-FDP wurde in den sechziger Jahren von der CDU/CSU relativ umstandslos absorbiert. Mit ihrem Verschwinden hatte die deutsche Nachkriegs-Rechte für Jahrzehnte ausgespielt. Als gegen Ende der sechziger Jahre im Windschatten der "großen" studentischen Protestbewegung der APO auch eine kleine Neue Rechte auf den Plan trat – Günter Bartsch hat darüber sehr anschaulich und umfassend berichtet – blieb zwar die propagierte "Kulturrevolution von rechts" aus, was auch nicht weiter verwunderlich war, denn zwei Revolutionen zur gleichen Zeit gab es in der Geschichte noch niemals, aber zum erstenmal seit fast zwei Jahrzehnten versuchte eine rechte Bewegung wieder ernsthaft, politischen Einfluß zu bekommen.

Zwar gelang es der damaligen Neuen Rechten noch nicht einmal ansatzweise, den politischen und kulturellen Einfluß zu erlangen, den die parlamentarische Fünfziger-Jahre-Rechte besaß – ganz zu schweigen vom intellektuellen Anspruch und Einfluß der Zwanziger-Jahre-Rechten –, aber immerhin war ein erster, wenn auch kleiner Schritt getan. Daß der Erfolg auch weiterhin ausblieb, mag die vielfältigsten Gründe haben. Der wichtigste ist wohl, daß in Deutschland nichts unbefangen betrachtet werden kann, daß alles aus der nachträglichen Sicht der Jahre zwischen 1933 und 1945 beleuchtet wird. In diesem Kontext mußte die Neue Rechte fast zwangsläufig zwischen alle Fronten geraten. Ihrer Ablehnung einer pauschalen Verurteilung der Zeit des National-Sozialismus ließ sie in den Augen ihrer mißtrauischen Gegner zu einer Art "Neofaschisten in neuem Gewand" avancieren. Ihr Versuch, die rechte Theoriefeindlichkeit zu überwinden, indem sie sich den Protagonisten der Konservativen Revolution – übrigens ein Terminus, den Friedrich Engels zur Charakterisierung des Krakauer Aufstandes von 1830 erstmals benutzte – der sogenannten Zwischenkriegszeit, vor allem Spengler, Moeller van den Bruck, Niekisch, Ernst Jünger, Edgar Julius Jung u.a. intellektuell annäherte, wurde sogleich politisch wie philosophisch mißverstanden.

In der Tat war die Konservative Revolution in ihrer Unterschiedlichkeit und großen Bandbreite auch eine Quelle allerhand geschichtlichen Unheils. Der National-Sozialismus, der sich ihrer bediente, beharrlich Authentizität mit Aktion verwechselte und politische Macht mit Zwang und Gewalt, diskreditierte das Erbe der Konservativen Revolution (KR) so gründlich, daß es sorgfältigster und einfühlsamster Analysen, Forschungen und Untersuchungen bedarf, um die deutsche Rechte auf den Umgang mit der KR vorzubereiten. Dazu gehört aber auch, daß man in der Lage ist zu verstehen, daß die "Banalität des Bösen" nicht auf inversen Inszenierungen eines spezifisch deutschen Wertesystems beruht, sondern daß revolutionäre Exzesse und Kollektivismus – unabhängig welcher Ideologie sie sich bedienen – letztlich immer Gewalt und Grausamkeiten hervorbringen.

Es sind auch gegenüber dem politischen Gegner neue Deutungsmuster notwendig, wenn die Rechte nicht bleiben soll, was sie bislang vorwiegend war: ein Pflegeort für ungenutzte Möglichkeiten, ein Biotop allerlei Unvollkommenheiten, ein ständiges Oszillieren zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen und eine ewige Suche nach den verlorengegangenen konservativen Paradiesen einer besseren Zeit und Welt, in denen jedoch nur diejenigen glücklich sein können, die ihre Grenzen kennen und akzeptieren und sich innerhalb dieser selbstgesteckten Grenzen zurechtfinden. Neue rechte Deutungsmuster sollten sich – Carl Schmitt wird es ertragen – nicht in manichäischen Freund-Feind-Stereotypen erschöpfen. Auch die politische Linke besteht nicht nur aus Nationsallergikern wie Jürgen Trittin, Jutta Ditfurth oder Angela Marquardt; links gibt es auch Mitstreiter für die Neugewinnung einer nationalen Identität wie Rolf Stolz, Wolfgang Templin, Günther Nenning, Herbert Ammon oder Günter Platzdasch.

Die Rechte wird weiterhin lernen müssen, sich an eine wahre Hydra von Verleumdungen zu gewöhnen, die ihr Prinzipien wie Menschenrechte, Toleranz und politischen Pluralismus kurzerhand und ohne viel Federlesens absprechen werden. Aber genauso wie die vorschnelle Idealisierung der eigenen Denkstrukturen und Wertvorstellungen ist auch die Dämonisierung des Feindes zu vermeiden, denn frei nach Rivarol erfreut sich der Mensch nun einmal keiner absoluten Freiheit: "So kann er zwar entscheiden, ob er von dieser oder jener Platte essen will, nicht aber, ob er überhaupt will."

Der bedauernswerte Zustand, in dem sich Deutschland und die Deutschen seit geraumer Zeit befinden, ist sicher auch eine Folge der gewaltigen und schwerwiegenden Zäsuren, die in diesem Jahrhundert über Staat, Volk und Nation gekommen sind: Erster Weltkrieg, die unvollendete Revolution von 1918, die Bürgerkriege der zwanziger Jahre, die Ent-Staatlichung durch die linksradikale Bewegung des National-Sozialismus 1933, Zweiter Weltkrieg und die letztendliche Vollendung der Ent-Staatlichung durch die illegitimen Nürnberger Tribunale, die Spaltung der Nation, die Reeducation und die einseitige atlantische Westorientierung durch Konrad Adenauer, und das Hinwegfegen des letzten spätbürgerlichen Verfassungsstaates durch die Kulturrevolution von 1968.

In diesem Sinne kann eine Rechte einstweilen dem zentralistischen Weltbild des modernen Totalitarismus, der viel vollkommener ist als etwa im Kaiserreich – selbst zwischen 1933 und 1945 konnte man, gewiß zum Teil zwischen den Zeilen, sehr vieles schreiben, man denke nur an Ernst Jüngers "Auf den Marmorklippen", wo er Hitler abwechselnd als Oberförster und als Clown beschreibt – nur als Mahnpfahl und Produzent von Sinnbildern und Gefühlen agieren. Dazu kann sie aus Vorhandenem, Hinzugebrachtem und Gewesenem neue Kompositionen in einem neuen Rahmen schaffen. Zuvor müßte sie jedoch ihr aus Absicht und Programm entwickeltes Miniaturdenken ablegen, einer der Gründe für das Fiasko und das bisherige Scheitern der Rechten in Deutschland.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen