© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/98 13. Februar 1998

 
 
"Tigerstaat" Indonesien: Djakartas Probleme sind die des Globalisierungs-Zeitalters
Auf dem Sprung in die Dritte Welt
von Michael Wiesberg

Der Prozeß der "Globalisierung" bringt derzeit die größten gesellschaftlichen Umwälzungen mit sich, die dieser Planet je gesehen hat. Insbesondere in Asien haben sich in den letzten Jahren Wandlungen vollzogen, die das Gesicht dieser Staaten entscheidend verändert haben. Es sei daran erinnert, daß noch vor kurzem die Mehrheit der Menschen auf dem "Gelben Kontinent", wo zwei Drittel der Erdbevölkerung leben, Bauern waren.

Typisch für die dramatischen Veränderungsprozesse in Asien ist Indonesien. In diesem bevölkerungsreichsten moslemischen Staat herrschen seit dem Jahre 1966 die Armee und die Clique um den derzeitigen Staatspräsidenten Suharto. Die Opposition nahm der ehemalige General fest an die Kandare, Kritiker des Personenkults landen nur zu oft hinter Gittern. Doch die goldenen Zeiten der Ära Suharto scheinen endgültig vorbei. Ausgerechnet der kränkelnde Präsident selbst hat mit seinen ernüchternden Äußerungen zu Haushalt und Wachstum das Vertrauen der internationalen Geldgeber, Investoren und auch der eigenen Bevölkerung nachhaltig verspielt. Die bisher als sicher geltende Wiederwahl am 11. März ist deshalb ernsthaft in Frage gestellt.

Die Wirtschafts- und Währungskrise, die nun so vehement über das Inselreich hereingebrochen ist, bedeutet einen tiefen Einschnitt: Die Opposition ist wieder mutiger geworden, und selbst in der herrschenden Oligarchie machen sich Zweifel breit, ob nicht rechtzeitig ein Nachfolger für den 76jährigen präsentiert werden sollte, um eine weitere Destabilisierung zu vermeiden.

Dabei hatte der Entwicklungsschub Indonesien seit dem Ende der 80er Jahre scheinbar in die erste Reihe der Industriestaaten katapultiert. Inzwischen wissen wir, daß dieser Aufstieg auf tönernen Füßen vor sich ging. Die sogenannten "Tigerstaaten" Südostasiens drohen – sollten die umstrittenen Maßnahmen des IWF nicht greifen – wirtschaftlich abzustürzen.

Trotz des vorübergehenden Aufschwungs ist die Einkommensverteilung in Indonesien extrem ungleich geblieben. Dem Reichtum der Suharto-Clique steht eine oft extreme Armut der Mehrheit gegenüber. Die Bauern wirtschaften auf Parzellen, die vielfach kleiner als ein Hektar sind; die Bevölkerung wächst rasant und hat sich seit 1960 mehr als verdoppelt. Es gibt eine kontinuierliche Landflucht, vor allem nach Java. Die indonesischen Städte weisen die typische Struktur der urbanen Ballungsräume in der "Dritten Welt" auf. Seit 1980 hat sich die Zahl der Einwohner in den Städten mindestens verdoppelt. Die Stadtverwaltungen sind hoffnungslos überfordert. 40 Prozent der Menschen in der Hauptstadt Djakarta verfügen beispielsweise über keine Trinkwasserversorgung. Überhaupt scheint der Staat immer mehr die direkte Kontrolle zu verlieren. Einige Beobachter schätzen, daß mindestens ein Drittel der gesamten Wirtschaftstätigkeit auf allen Ebenen im "informellen Sektor" stattfindet.

Indonesien ist auch ein wichtiges Beispiel für anthropogen bedingte Umweltveränderungen, deren Auswirkungen globale Bedeutung zukommt. Das Land hatte 1995 nach der Volksrepublik China, Indien und den USA weltweit die viertgrößte Bevölkerung (195 Millionen Menschen) und nach Brasilien den zweitgrößten Bestand an tropischen Regenwäldern. Fast zwei Drittel der Bevölkerung leben auf der Insel Java mit ihren 115 Millionen Einwohnern. Wegen seiner hohen Siedlungsdichte (870 Einwohner pro qkm) ist Java das wichtigste Herkunftsgebiet der Transmigrationsströme in die tropischen Waldgebiete auf Sumatra, Kalimantan (Borneo), Sulawesi (Celebes) und Irian Jaya (West-Neuguinea), was zu einer extremen Vernichtung der Waldgebiete geführt hat. Es kann aber auch beobachtet werden, daß je günstiger sich die Hauptinsel Java ökonomisch entwickelt, die Wanderungsströme in die Waldgebiete bzw. die bevölkerungsbedingte Zerstörung der Baumregionen um so geringer ausfällt.

Aber um Java wirtschaftlich weiter entwickeln zu können, benötigt Indonesien zur Finanzierung der entsprechenden Investitionen Devisen, die nicht mehr vorhanden sind. Die jetzt zu befürchtende Nutzung der Rohstoffe in den Waldgebieten wird auf eine forcierte ökologische Vernichtungspolitik hinauslaufen, deren Folgen noch gar nicht absehbar sind.

Schließlich kann am Beispiel Indonesiens studiert werden, was "wirtschaftlicher Wettbewerb der Nationen" heißt. Auf Billigstarbeit spezialisierte Firmen wie der Sportschuhhersteller "Nike" verlagern immer hektischer ihre Produktion auf immer billigere Arbeitsmärkte. War in den 80er Jahren Südkorea besonders beliebt, so sind es momentan die Volksrepublik China und Indonesien; jedoch fertigt "Nike" bereits heute zunehmend in Vietnam, und zwar in direkter Reaktion auf indonesische Lohnkämpfe. Aber auch in Vietnam gibt es Streiks bei "Nike". So prophezeite Le Monde am 24.Juni vergangenen Jahres, daß Afrika die nächste Station der Standort-Rallye sein könnte.

In Indonesien heißt Globalisierung "Globalisasi". Auch hier argumentiert die Regierung mit der gestiegenen Konkurrenz auf Weltebene. Die Menschen verbinden mit "Globalisasi" allerdings etwas ganz anderes. Für sie ist sie die Zusammenfassung ihrer Bedürfnisse, Wünsche, Hoffnungen und beinhaltet das Versprechen, das vom Kapitalismus sehr eindrucksvoll verkündet wird: nämlich einen Weg aus dem sozialen, kulturellen und politischen Elend zu eröffnen. Es ist das Versprechen von fließend Wasser und Kühlschrank, Videorekorder und Internet und, irgendwie, "Freiheit" oder besser: Befreiung aus den alten halbfeudalen Fesseln. – Alle diese Hoffnungen werden sich nach Lage der Dinge bis auf weiteres nicht erfüllen. Es muß abgewartet werden, wie die indonesische Bevölkerung auf die verdüsterten Perspektiven reagiert.


 
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