© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/98  06. Februar 1998

 
 
Wirtschaftskriminalität: Illegale Beschäftigung nimmt zu
Arbeit ohne Nebenkosten
von Georg Bensch

Auf dem deutschen Arbeitsmarkt herrscht tiefer Pessimismus. Für 1998 erwarten Finanz- und Wirtschaftsexperten in fast allen Branchen einen weiteren Verlust von Arbeitsplätzen. Ein Trend, der bisher nicht gestoppt werden konnte. Dennoch sind in Deutschland ausreichend Arbeitsplätze vorhanden. Doch sie versickern im Sumpf einer korrupten Schattenwirtschaft – Folge der Verteuerung des Faktors Arbeit.

In Deutschland boomt keine Branche derzeit so wie die Schattenwirtschaft. Die illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit haben sich zum größten Wirtschaftszweig entwickelt. Allein im vergangenen Jahr erwirtschafteten Schwarzarbeiter die gigantische Summe von nahezu 550 Milliarden Mark. Das entspricht 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dies bedeutet einen Verlust für den Staat und die Kassen der Sozialversicherungen in dreistelliger Milliardenhöhe und zugleich die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen zugunsten illegaler Beschäftigungsverhältnisse. Nach Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit liegen die Einbußen der öffentlichen Hand pro Schwarzarbeitsplatz bei 28.000 Mark im Jahr.

In welchen Branchen zunehmend "schwarz" gearbeitet wird, erhellt eine Arbeitsmarktstudie, die jetzt bekannt wurde. Danach entfällt fast die Hälfte der Schwarzarbeit in Deutschland (44,6 Prozent) auf den Bereich Bauen, Renovieren und Reparieren. Es folgen die Bereiche Handwerks- und Kfz-Dienste (10,1 Prozent) und Land- und Gartenwirtschaft (7,4 Prozent). Eingebunden in der Deliktgruppe Schwarzarbeit sind auch das Gastronomie-Gewerbe (7,3 Prozent) sowie die Vertreter- und Versicherungsbranche (6,4 Prozent). Und nicht zuletzt verrichten 24,2 Prozent aller Schwarzarbeiter bezahlte Tätigkeiten in sonstigen Arbeitsbereichen.

Schwarzarbeiter und illegal Beschäftigte werden in der Regel bis zu 50 Prozent unter Tarif bezahlt, wobei Lohnnebenkosten vom Arbeitgeber nicht abgeführt werden. Durch diesen Beitragsbetrug werden Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung um Milliardenbeträge im Jahr geprellt.

Ursache für die zunehmende Schwarzarbeit sind in erster Linie die hohen Lohnnebenkosten der Arbeitgeber und die überzogenen Pflichtabgaben der Arbeitnehmer. Und weil in Auswirkung dieser Tatsache immer mehr Arbeitnehmer immer weniger Geld in ihrer Lohntüte finden, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger ihren Lebensunterhalt kaum noch finanzieren können, hält der Zulauf zu illegalen Beschäftigungsverhältnissen unvermindert an. Für immer mehr Menschen in Deutschland wird der Nebenverdienst zu einer Notwendigkeit, um den Lebensunterhalt zu sichern. Arbeitsmarkt-Experten schätzen, daß schon heute fast vier Millionen Deutsche einem bezahlten Zweitjob nachgehen und daß von den derzeit offiziell knapp fünf Millionen offiziell ausgewiesenen Arbeitslosen mindestens 2,5 Millionen nicht gemeldete Tätigkeiten verrichten, für die sie Schwarzgeld kassieren. Und es dürfte als nicht übertrieben gelten, daß bereits jeder elfte Sozialhilfeempfänger die Solidargemeinschaft durch Ausübung von Schwarzarbeit schädigt.

Es ist verständlich und nachvollziehbar, wenn in Deutschland immer mehr Menschen bemüht sind, durch einen Zweitjob ihren Besitzstand zu halten. Und so werden bezahlte Nebentätigkeiten zunehmend beliebter, obwohl sie in der Regel schlecht entlohnt werden. Besonders gefragt sind die sozialversicherungsfreien "620-Mark-Jobs", die als zusätzliche Einnahmequelle vor allem von Hausfrauen, Rentnern und Studenten genutzt werden. Aber auch diese Beschäftigungsverhältnisse drohen zum Bestandteil einer kaum noch kontrollierbaren Schattenwirtschaft zu werden. Denn da, wo Unternehmen die kostensparenden "620-Mark-Jobs" anbieten, wurden meistens zuvor Vollzeitarbeitsplätze abgebaut und Teilzeitstellen eingerichtet; bereits mehr als zwei Millionen Menschen sind teilzeitbeschäftigt – Tendenz steigend.

Nicht nur Deutsche bessern ihre Lebenslage durch Schwarzarbeit und Nebenverdienste auf. Es sind zunehmend auch Ausländer, die illegal in Deutschland arbeiten. Insbesondere im Baugewerbe werden immer öfter solche Ausländer als Billiglöhner beschäftigt. Nach vorsichtigen Schätzungen arbeiten nahezu 900.000 Ausländer auf deutschen Baustellen. Arbeitsmarkt-Experten gehen davon aus, daß von diesen ausländischen Bauarbeitern mindestens 500.000 ohne Arbeitspapiere schuften. Viele dieser illegal Beschäftigten werden über sogenannte Vermittler nach Deutschland gelockt und reisen mit einem oft gefälschten Saisonarbeiter-Visum ein.

Andere werden von Schlepperbanden eingeschleust und von profitgierigen Subunternehmern für niedrige Stundenlöhne auf Baustellen eingesetzt. Die Fahndungsdienststellen der deutschen Arbeitsämter, meist unterbesetzt und überlastet, sind fast hilflos. Dennoch ergreifen die mobilen Einsatzkommandos immer wieder illegal Beschäftigte. So auch in Berlin, wo im ersten Halbjahr 1997 auf Großbaustellen 818 illegal beschäftigte Ausländer festgenommen werden konnten.

Nach Informationen der zuständigen Behörden haben in den vergangenen Jahren die Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung stark zugenommen. Nicht zuletzt auch darum, weil diese Art der Schattenwirtschaft immer intensiver von einer gut organisierten Mafia betrieben wird. Die vielen Subunternehmen, die nicht selten illegal eingeschleuste Ausländer beschäftigen, werden zunehmend zum Bestandteil krimineller Strukturen. Sicherheitsexperten schätzen, daß es derzeit in Deutschland mindestens 2.500 sogenannte Subunternehmen gibt, die von mafiosen Banden gesteuert werden und aus unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung ihren Profit ziehen.

Seit Jahren bekämpfen die Arbeitsämter in Deutschland den Mißbrauch von Sozialleistungen und die Schwarzarbeit. Dabei decken die Fahnder immer wieder Fälle illegaler Beschäftigung auf. Doch mit ihren Aktionen haben sie immer weniger Glück. Denn auch die Unternehmer, die Schwarzarbeiter beschäftigen, sind auf der Hut.

Neben der mangelnden personellen Ausstattung leidet die Suche nach Schwarzarbeitern in Deutschland auch unter einem beispiellosen Kompetenzwirrwarr. Mindestens fünf Behörden reden ein Wörtchen mit – neben dem Zoll, der Polizei und dem Arbeitsamt auch die Ausländerbehörde und das Gewerbeaufsichtsamt. Reibungsverluste und Verzögerungen der Eingreifaktionen sind die Folge und begünstigen die Aktivitäten skrupelloser Unternehmen.

Die sich ausweitende Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung in Deutschland ist in hohem Maße die Folge von Verzerrungen des Arbeitsmarktes durch den Staat und das Tarifkartell. Ein noch so feinmaschiges Kontrollsystem wird diese Art der Schattenwirtschaft nicht wesentlich eindämmen können. Lediglich eine deutliche Verringerung der Steuern- und Abgabenlast sowie ein unbürokratisch härteres Durchgreifen gegen illegal Beschäftigte könnten eine einschneidende Änderung bringen.


 
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