© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/98  06. Februar 1998

 
 
Schwerfälliges US-Heer: Alarmstreitkräfte des V.Korps brauchen 180 Tage für Einsatzbereitschaft
Es gibt keinen Marsch auf Bagdad
von Alexander Beermann

Die aktuelle Krise in der Golfregion wird nicht ein zweites Mal – nämlich wie 1991 – durch einen Großeinsatz von Bodentruppen entschieden werden. Dies ist jedenfalls die Meinung der meisten Militärexperten, darunter auch des pensionierten Colonels David Hackworth, seines Zeichens höchstdekorierter Soldat in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Hackworth meinte auf die Frage, ob die US-amerikanischen Streitkräfte ihrem Auftrag gewachsen seien: "Die Armee ist in einem schlechten Zustand, mit Absturzrekorden, Panzern, die wie LKWs aus dem Jahre 1930 auseinanderfallen, und mehr Obersten als MG-Schützen."

Aus dem Pentagon wurde inzwischen offiziell zugegeben, daß der Befehlshaber des 41.000 Mann starken, schwer mechanisierten V. Corps, Generalleutnant Hendrix, seine Truppe erst in 180 Tagen einsatzbereit melden könne (in etwa der gleichen Zeit, wie sie für die schwerfällige Nationalgarde angesetzt ist). Das V. Corps setzt sich aus den besten Einheiten der US-Armee zusammen, darunter die 1. Panzerdivision, und fällt eigentlich unter die sogenannten "Rapid Deployment Forces", jene Alarmstreitkräfte also, die – theoretisch – weltweit kurzfristig für Einsätze auf Krisenschauplätzen bereitstehen sollen.

Doch die US-Armee ist in vielerlei Hinsicht schon längst nicht mehr voll handlungsfähig. Nur ein Beispiel: In Bosnien sind fünf Prozent der Truppe schwanger, und in der Marine fallen aus dem gleichen Grund jährlich knapp 500 der insgesamt rund 8.000 weiblichen Matrosen aus. Die Grundausbildung wird erst seit kurzem wieder nach Geschlechtern getrennt durchgeführt, nachdem das Ausbildungsniveau in den Jahren zuvor rapide gefallen war. Als 45 Prozent aller weiblichen Rekruten auf dem Übungsplatz auf Parris Island ihre Handgranaten nicht weit genug zu werfen vermochten, um sich im Ernstfall nicht selbst zu töten, entschieden sich die für die Truppe Verantwortlichen dafür, wieder etwas mehr Vernunft einkehren zu lassen. Doch die Unruhe in der Armee ist nach wie vor groß. Wirkliche oder vermeintliche sexuelle Nötigungen sind zum heiß diskutierten Dauerthema geworden und verursachen eine objektiv feststellbare Schwächung des Zusammenhalts innerhalb der Armee. Aus Protest gegen die auch im US-Militär allgegenwärtigen Erscheinungen der politischen Korrektheit und die Negativfolgen sozialer Experimente müssen die Streitkräfte mit einem starken Abgang erfahrener Soldaten fertigwerden, und es wird immer schwieriger, geeigneten Nachwuchs zu werben. Männer, die über die geistigen und körperlichen Eigenschaften verfügen, die im Ernstfall auch heute noch zu einem wesentlichen Teil über Sieg oder – blutige – Niederlage entscheiden, bleiben den "recruitment offices" fern. Umfragen zeigen, daß sie andere, "bessere" Karrieremöglichkeiten anstreben, weil die Streitkräfte nicht mehr jene Sicherheit ausstrahlen, die soldatische Typen spüren und erwarten. Selbst bei den Rangern und anderen Spezialeinheiten ist die personelle Fluktuation hoch, weil sich viele Soldaten gleich nach dem Auslaufen ihrer Verpflichtungszeit in andere Berufsfelder absetzen.

Auch in der Bevölkerung fehlt, trotz aller Äußerungen amerikanischen Patriotismus, die innere Bereitschaft für einen zwangsläufig verlustreichen "Marsch auf Bagdad". Seit das Fernsehen Kriege in die Wohnzimmer der westlichen Gesellschaft gebracht hat, haben die Schreckensbilder auf der Mattscheibe die Vereinigten Staaten schon zweimal einen militärischen Sieg gekostet: Im Vietnamkrieg standen am Ende weniger als 30 Prozent der amerikanischen Bevölkerung hinter den politischen Zielen der Regierung in Washington, und im Golfkrieg von 1991 bremste US-Präsident Bush die Streitkräfte, nachdem CNN stundenlang Bilder von Leichen und von Autowracks übersäten Autobahnen gezeigt hatte. Der Präsident fürchtete damals zu Recht die Reaktionen der amerikanischen Wähler für den Fall, daß sich das Chaos noch steigern würde und den Irakern eine ähnliche Opferrolle zufiele wie einst dem Vietcong. Obwohl der militärische Befehlshaber, General Norman Schwarzkopf, auf den Weitermarsch drängte, gab der Herr des Weißen Hauses den Haltebefehl. Bagdad befand sich 1991 nicht außerhalb der Reichweite der Panzer, aber außerhalb der mentalen Durchhaltebereitschaft westlicher Staaten, hier der USA. Gesiegt hatte eine – kurzsichtige – Gefühlsduselei, die heute noch genauso wie vor sieben Jahren selbst das Handeln der letzten verbliebenen Supermacht prägt, und das aus amerikanischer Sicht fatale Kalkül, den Irak als "Ordnungsmacht" in der Region nicht ganz auszuschalten.

Was sich seit damals geändert hat, ist die politische Großwetterlage im Nahen Osten. Die einseitige Unterstützung Israels, der wachsende Einfluß des islamischen Fundamentalismus in der arabischen Staatenwelt, chinesische Skepsis und Rußlands ebenso wie Frankreichs Suche nach außenpolitischen Profilierungsmöglichkeiten haben unter den einstigen Verbündeten eine deutliche Zurückhaltung in bezug auf einen Militäreinsatz im Irak erzeugt. Sogar der alte arabische Musterknabe Saudi-Arabien wiegelt ab und will sein Territorium nicht als Operationsbasis für US-Truppen bereitstellen.

Von den acht Mitgliedsländern der Arabischen Liga, die 1991 zugleich als regionale Bannerträger US-amerikanischer Weltmachtpolitik fungierten, gibt sich 1998 nur noch das winzige Öl-Scheichtum Kuwit kampfbereit. So ist im Hinblick auf militärische Szenarien alles andere schwer vorstellbar als der Versuch der Amerikaner, den Irak mit TV-zuschauerfreudlichen, "klinisch" sauberen (das heißt – für die eigene Seite – möglichst verlustfreien) Bomben- und Raketenangriffen gefügig zu machen. Saddam Hussein ist sich der beschränkten Möglichkeiten eines solches High-Tech-Einsatzes natürlich bewußt und kalkuliert bislang ein derartiges Risiko ganz offensichtlich ein. Er weiß, daß ein Angriff von dieser Art seine Herrschaft nicht wirklich gefährden kann. Während die USA in diesem Konflikt militärisch auf ganzer Linie – sprich: einschließlich der Besetzung der Hauptstadt Bagdad und der Absetzung Husseins – gewinnen müßten, um politisch nicht zu verlieren, muß der irakische Präsident nur verhindern, daß er verliert, um politisch zu gewinnen.


 
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