© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   06/98  30. Januar 1998

 
 
Kolumne
1848
von Andreas Mölzer

Die bürgerliche Revolution um deutsche Freiheit und deutsche Einheit brach am 13. März 1848 in Wien aus. Berlin kam erst danach, und bis zum Oktober des Jahres wehte vom Wiener Stephansdom die schwarz-rot-goldene Fahne. Vom Zentrum des Metternichschen Unterdrückungs- und Zensursystems nahm die Revolte also ihren Ausgang, um jenes System der Unfreiheit und der Despotenherrschaft wegzufegen, das Österreich, ganz Deutschland und in Form des europäischen Bündnisses der Heiligen Allianz den ganzen Kontinent umfaßte.

Wir wissen: Die Revolution von 1848 ist letztendlich gescheitert und wurde in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts ein Mythos: zuerst für die Liberalen, die letztlich den Verfassungs- und Rechtsstaat im Deutschen Reich aber auch in der Habsburger Monarchie durchsetzten, dann für die Sozialisten, die den Mythos der deutschen Revolution, in deren Verlauf ja auch das Kommunistische Manifest erlassen wurde, zumindest bis zu NS-Zeit pflegten. Und heute wieder – zumindestens in Österreich – für nationalliberale Kräfte, die auf ihre demokatische Legitimation hinweisen wollen.

Nun war man in den vergangenen Jahren bei historischen Gedenkanlässen nicht gerade zimperlich. Das Jahr 1933, das Jahr 1945, sie wurden mit angemessener "Betroffenheit" gewürdigt. Heuer scheint das politische und mediale Establishment wenig Lust am historisch-politischen Gedenken aufkommen lassen zu wollen.

Dies hat auch seinen guten Grund. Im elektronischen Biedermeier unserer Tage, in dem über den Tugendterror der politischen Korrektness und die Faschismuskeule nonkonforme Meinungen stigmatisiert werden, sind die Parallelen zum Biedermeier, zum Vormärz, zur metternichschen Zensur und dem Polizeispitzelsystem allzu augenfällig.

Nun ist es möglicherweise ein frommer Wunsch, daß heute ähnlich wie im Jahre 1848 ein revolutionärer Märzsturm diese neue Intoleranz mit ihren inquisitorischen Tendenzen hinwegfegte. Dennoch: Wenn man etwa des Frankfurter Paulskirchenparlaments gedenkt, des einzigen freigewählten wirklich gesamtdeutschen, nämlich das gesamte deutsche Volk umfassenden, Parlaments, darf man wohl auch an Jakob Grimms Ausspruch erinnern, den er dort selbst tat: "Deutscher Boden duldet keine Knechtschaft…". Auch keine geistige Knechtschaft, also weder Denkverbote, noch Schweigespirale oder Medienmanipulation, müßte man hinzufügen.


 
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