© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   06/98  30. Januar 1998

 
 
Konsequenzen der Einwanderung
von Kenneth Lewan

Die starke Zuwanderung, die wir seit Jahren in Deutschland erleben, ist längst nicht zu Ende. Es kommen Staatsangehörige anderer EU-Länder, Asylbewerber, Menschen, die den Anspruch auf Familienzusammenführung wahrnehmen, Kriegsflüchtlinge, schließlich verstärkt illegal Einreisende.

Die Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten müssen bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllen:

Sie müssen entweder in ihren Herkunftsländern politisch verfolgt sein. Oder müssen mit Menschen verwandt sein, die ein Bleiberecht in Deutschland haben. Oder sie müssen aus Ländern kommen, wo sie in kriegerischen Auseinandersetungen gefährdet wären. Oder sie sind deutsche Volkszugehörige. Nach dem Grundgesetz sind das Menschen, die sich in ihrer jeweiligen Heimat zum deutschen Volkstum bekennen. Oder sie sind Juden aus einem Land der früheren Sowjetunion.

Es gibt Stimmen in Deutschland, die diese Voraussetzungen für Einwanderung, etwa aus wirtschaftlichen Gründen, ergänzen wollen. Unter den bekanntesten Befürwortern sind Heiner Geißler von der CDU, die SPD, die FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Führungskräfte der beiden großen Kirchen. Was sind die Begründungen der Befürworter? Man liest oft die allgemeine Behauptung, daß Deutschland Einwanderer braucht oder brauchen wird. Oft liest man, daß die deutsche Bevölkerung überaltert und auf Zuwanderung angewiesen sei. Drei Hauptargumente geben die Befürworter.

1. Es geht um die Renten: Da die Geburtenrate in Deutschland niedrig ist (1,3 Kinder pro Frau) und allem Anschein nach niedrig bleiben wird, während das Durchschnittsalter immer höher wird, wird es immer weniger Erwerbstätige geben, die immer mehr Rentner unterstützen müssen. Wahrscheinlich werden die Erwerbstätigen wesentlich höhere Beiträge zahlen müssen als heute, ohne daß ihr Realeinkommen steigt. Das kann zu großen Spannungen führen. Diese Sorgen sind zweifellos ernstzunehmen. Der Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid weist darauf hin, daß im Jahre 2030 geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen werden, während geburtenschwache Jahrgänge für sie aufkommen müssen. Aufgrund solcher Überlegungen meint Geißler, daß "ein gewisses Maß an Einwanderern" ab 2000 notwendig sein wird, danach würden weitaus mehr gebraucht. Dagegen gibt es aber Einwände:

Zur Zeit leben schätzungsweise zwischen 4,5 und 5,5 Millionen Arbeitslose in Deutschland, und diese Lage wird lange andauern. Die Volkswirtschaftler halten sich mit Voraussagen über ein Ende der Arbeitslosigkeit zurück. Die Auslagerung von Betrieben in Billiglohnländer und der technische Fortschritt sind wesentliche Ursachen für die Arbeitslosigkeit, und sie werden noch lange gegen Neueinstellungen wirken. In der Zwischenzeit werden Ausländer kaum Arbeit in Deutschland finden. Sie würden auch keine Beiträge zur Entlastung der Rentenkassen zahlen, sondern durch die Beanspruchung von Sozialhilfe eher die Steuerkassen belasten. Sollten einige Arbeit finden, verdrängen sie Einheimische vom Arbeitsmarkt. Einwanderer würden die schon bestehenden Schwierigkeiten verschlimmern.

Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird die Arbeitslosigkeit trotz der Auslagerung von Betrieben und technischem Fortschritt langfristig überwunden. Dafür spricht die starke Schrumpfung der deutschen Bevölkerung. Die Enquête-Kommission des Bundestages, die sich 1996 mit dem Wandel der deutschen Bevölkerung befaßte, stellte fest, daß die deutsche Bevölkerung (ohne Ausländer und deren Kinder), die 1995 72,5 Millionen ausmachte, im Jahre 2030 59 Millionen und im Jahr 2050 48 Millionen betragen wird. Man kann daraus schließen, daß die Arbeitslosen im Laufe dieser Schrumpfung der Bevölkerungszahl von der Straße verschwinden werden. Zwar mag eine schrumpfende Bevölkerung eine geringere Inlandsnachfrage und damit Arbeitslosigkeit nach sich ziehen, aber das könnte durch eine verstärkte Auslandsnachfrage wettgemacht werden.

Wenn dies zutrifft, könnten Ausländer hier arbeiten und helfen, das Mißverhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern zu verringern, vorausgesetzt, daß sie die erforderlichen Fähigkeiten haben. Es ist aber gar nicht ausgeschlossen, daß Deutsche den Bedarf aus eigener Kraft decken können. Sie könnten länger arbeiten als jetzt, also früher ins Arbeitsleben einsteigen und in höherem Lebensalter aufhören.

Bevor Gastarbeiter in den sechziger Jahren nach Deutschland geholt wurden, schlug Ludwig Erhard vor, daß die Deutschen länger arbeiten sollten, statt Ausländer ins Land zu holen. Die Gewerkschaften und die Arbeiter lehnten den Vorschlag ab, vermutlich, weil die Arbeit damals allgemein noch sehr schwer war. Sie haben aber inzwischen die Schattenseite des Einzugs zahlreicher Ausländer kennengelernt: den Mangel an preiswerten Wohnungen, Schwierigkeiten mit einer großen Anzahl ausländischer Schüler in Grund- und Hauptschulen, eine Zunahme von Verbrechen in ihren Wohnvierteln und die allgemeine Überfremdung.

Ein Versuch, die Rentenfrage durch Einwanderung zu lösen, hätte schwerwiegende Folgen für die Bevölkerungszusammensetzung in Deutschland. Nehmen wir an, daß die Gesamtzahl der Bevölkerung auf dem jetzigen Stand gehalten werden soll, bei etwa 80 Millionen. Die schon erwähnte Enquête-Kommission ging davon aus. Wegen der Schrumpfung der ethnisch deutschen Bevölkerung würde man eine große Zahl von Ausländern hereinlassen müssen. Die Ausländer und ihre Kinder würden im Jahr 2030 27 Prozent und im Jahr 2050 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. In den größeren Städten wären die Ausländer bald in der Mehrheit, die deutsche Bevölkerung wäre auf dem Weg, eine Minderheit zu werden. Wenn das geschieht, würden die Ausländer sich kaum assimilieren und Deutsche werden wollen. Sie würden sich eher abgrenzen und selbstbezogene ethnische Gruppen bilden. Manche Leute hierzulande würden eine solche Entwicklung begrüßen. Die Folgen aber wären unabsehbar.

2.: Man rechtfertigt die Einwanderung von ausländischen Arbeitskräften auch damit, daß sie für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft notwendig sei: Die Wirtschaft brauche junge, leistungsfähige Leute. Junge Deutsche werden fehlen, also sollte man die besten ausländischen Arbeitskräfte auswählen. Wäre es aber nicht möglich, wirtschaftliche Erfolge ohne zusätzliche ausländische Arbeitnehmer zu erzielen? Für dieses Ziel müßte allgemein ein höherer Arbeitseinsatz von den deutschen Arbeitnehmern erbracht werden. Die Älteren müßten weiter fortgebildet werden, damit sie sich den neuen Techniken anpassen können. Es dürfte keinen Mangel an Ausbildungsstätten für junge Menschen geben. An Ausgaben für Bildung und Ausbildung dürfte nicht gespart werden. Das Wirtschaftsministerium vertritt die Meinung, daß eine erfolgreiche Wirtschaft mit schrumpfender Bevölkerungszahl machbar sei: "Die wichtigste Voraussetzung hierfür ist, daß die Rate des technischen Fortschritts die Schrumpfungsrate der Erwerbsbevölkerung übersteigt. Eine Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens und damit des Lebensstandards ist langfristig auch bei schrumpfender Bevölkerung möglich, solange überhaupt technischer Fortschritt realisiert wird."

Sich auf Arbeitskräfte aus dem Ausland zu verlassen, hätte gewiß noch andere Nachteile. Es besteht kein Zweifel, daß Ausländer für die einheimische Wirtschaft, und nicht nur für sie, eine Bereicherung darstellen können. Man denke an den glücklichen Verlauf der Hugenotteneinwanderung nach Brandenburg. Künftige Arbeitskräfte kämen aber mit aller Wahrscheinlichkeit aus der Dritten Welt und müßten hier erst ausgebildet werden. Ob genug von ihnen den Ansprüchen einer Industrienation gewachsen wären, bliebe fraglich. Und wenn die Industrieländer die Fähigsten aus den Entwicklungsländern herausholten, täten sie den Entwicklungsländern keinen Gefallen damit.

3. Einwanderer, glaubt man, seien nötig, um die gegenwärtige Gesamtbevölkerungszahl aufrechtzuerhalten. Aber kann Deutschland nicht mit einer wesentlich kleineren Bevölkerung auskommen, und wäre das nicht sogar besser? Für die Bevölkerungsdichte und die Umwelt wäre eine Schrumpfung der Bevölkerung eine erfreuliche Entwicklung.

Ob das Bruttosozialprodukt (BSP) auf dem gleichen Niveau bleiben könnte wie jetzt, weiß niemand. Wie weit der technische Fortschritt noch voranschreitet, wie viel eine wesentlich kleinere Bevölkerung zu leisten imstande wäre, wissen wir nicht. Wenn das BSP auf dem jetzigen Stand bleibt, braucht die Frage nach ausländischen Arbeitskräften nicht gestellt zu werden. Wenn das Gesamteinkommen mit der Bevölkerung gemeinsam kleiner wird, wird der Staat nicht im gleichen Umfang wie bisher als Zahlmeister auftreten können. Das bedeutet auch weniger Macht in den Händen der Politiker. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, daß es möglich ist, den gegenwärtigen Wohlstand pro Kopf beizubehalten, ohne mehr Arbeitskräfte hereinzuholen.


 
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