© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/98  23. Januar 1998

 
 
Sozialbericht: Folgen der Zuwanderung werden heruntergespielt
Das Schweigen der Ämter
von Werner Olles

Unter dem alarmierenden Titel "Risiken für die soziale Stadt" erschien Ende 1997 der "Erste Frankfurter Sozialbericht". Ursprünglich war geplant, ihn "Armutsbericht" zu nennen, aber dies schien den Verantwortlichen um den amtierenden Sozialdezernenten Joachim Vandreike (SPD), der seit der Kooperation von CDU und SPD im Frankfurter Allparteien-Magistrat – die Republikaner sind im Gegensatz zur FDP darin nicht vertreten – zum Bürgermeister gewählt wurde, dann wohl doch zu gewagt.

Der Sozialbericht – eine Auftragsarbeit des städtischen Sozialdezernats –, für den speziell ein Projektbüro und ein Projektbeirat gegründet wurden, stellt Frankfurt am Main als eine der "sozial fortschrittlichsten Städte in der Bundesrepublik Deutschland" vor. Solche Attribute haben für gewöhnlich Folgen, und dies ist auch hier nicht anders. Geht man im Bundesdurchschnitt von etwa elf Prozent in Armut oder in Armutsnähe – dieser Begriff wird allerdings nirgendwo näher definiert – aus, so sprechen allein die Frankfurter Zahlen für sich. Hier ist von 14 bis 20 Prozent aller Wohnberechtigten die Rede, wobei sich der angegebene Zeitraum von 1995/96 auf den Projektzeitraum bezieht, von Aktualität der Daten also keine Rede sein kann. In der Tat war das letzte Berichtsjahr, für das vollständige Daten vorlagen, 1994.

Fälle von Sozialbetrug blieben unberücksichtigt

Die "zutiefst sozialstaatlich" geprägte Metropole Frankfurt am Main begann als die erste in Deutschland, kontinuierlich eine Armuts- und Sozialberichterstattung zu erstellen. Derzeit folgen weitere Städte und Kreise der Region wie Wiesbaden, Offenbach, Darmstadt, Groß-Gerau und der Main-Taunus-Kreis. Erst wenn auch hier Ergebnisse vorliegen, ist eine methodische Vergleichbarkeit überhaupt gegeben. Gleichzeitig beschreiben auch statistische Schwächen das Dilemma des sozialen Szenarios. Der deutlichste Nachteil des Sozialberichts ist jedoch die prononcierte Positionierung des politischen Standortes seiner Verfasser.

Ausgeklammert wurde zum Beispiel die Überlegung, ob die Kriminalität mit ihren sozialen Standorten überhaupt Erwähnung finden sollte. Sozialbetrugsfälle und Mißbrauch von Sozialhilfeleistungen waren für die Verfasser ebenfalls kein Thema, statt dessen sahen sie in der "Nichtinanspruchnahme der Sozialhilfe ein ungleich größeres Problem … als der mißbräuchliche Sozialhilfebezug". Ein Vier-Personen-Haushalt wird von den Verfassern als "arm" eingestuft, wenn ihm maximal 3.484 DM monatlich zur Verfügung stehen. Zweifel sind weiterhin angebracht bei der Nennung von 45.611 fehlenden Wohnungen bei nur 11.153 Wohnungssuchenden.

Die Frankfurter Sozialberichterstattung krankt vor allem an den von ihr selbst aufgestellten Tabus. So findet sich nirgendwo eine Bemerkung zu der unkontrollierten Zuwanderung mittelloser Menschen, deren sofortiger Anspruch auf die Wohltaten des sozialen Netzes die Finanzierungsnöte einer Kommune naturgemäß astronomisch anwachsen läßt. Hierzu sowie zu den Folgen massenhafter Zuwanderung schweigt der Bericht beharrlich; das macht ihn nicht unbedingt glaubwürdiger.

140.000 Personen rutschen laut Sozialbericht in Frankfurt unter das ermittelte "soziokulturelle Existenzminimum" von 1.400 DM monatlich. Dies sind Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, alte Menschen, kinderreiche Familien, alleinerziehende Mütter und vor allem Ausländer. Betreut werden sie unter anderem von den Sozialrathäusern im Rahmen des Stadtteilmanagements, von den zuständigen Sozialämtern und einer speziell für Frankfurt am Main zugeschnittenen Philosophie des Sozialmanagements, deren Grundlage laut Sozialbericht auf einer als "Verteilungsproblem" definierten Entwicklung der sozialrechtlichen Stellung dieses Personenkreises basiert.

Die strikte Ablehnung von Sozialmißbrauchskontrollen, die Beschönigung einer ungebremsten Zuwanderung und das Sozialhilferisiko der Migranten werden in dem Bericht an keiner Stelle thematisiert und problematisiert. Zusammenhänge zwischen dem hohen Sozialhilfe-Risiko von Jugendlichen bis 21 Jahren und der Häufigkeit von Jungendgerichtsverfahren spart der Bericht ebenfalls aus. Strikt abgelehnt wird auch die Kürzung von Hilfen für Personen mit nur vorübergehendem Aufenthalt in Deutschland, das sind in der Regel nicht anerkannte Asylbewerber.

Generell sehen die Autoren des Sozialberichts "Krisenerscheinungen (…) nicht als Folge der Zuwanderung, zumal die von Frankfurt angezogenen Menschen nicht weniger integrationsbereit oder leistungsfähig sind, sondern allein, weil die wirtschaftliche Integrationskraft der Stadt abgenommen hat und die sozialrechtliche Stellung der Migranten prekärer wurde". Und weiter: "In diesem Sinne ist die Finanzierung der sozialen Stadt ein Verteilungsproblem. Wirtschaftliche Sozialhilfe repräsentiert auch Kaufkraft und ist als solche eine wichtige Größe für die lokale Ökonomie!"

Anteil der Ausländer in Sozialsiedlungen steigt

Da der Anteil Nicht-Deutscher an Sozialhilfeempfängern in Frankfurt 44 Prozent beträgt – dies ist der höchste Prozentsatz aller deutschen Großstädte – und auch die Jahresausgaben je Person in Deutschland unübertroffen sind, richten sich solche Aussagen der Sozialbericht-Autoren eigentlich von selbst. Wie falsch die Frankfurter Sozialmanager mit ihrer blauäugigen Politik liegen, ist jedoch am deutlichsten in der Vergabe-Politik öffentlich geförderter Wohnungen abzulesen, wo die "sozialverträgliche Belegung" mit maximal 30 Prozent Ausländern, 10 Prozent Aussiedlern und 15 Prozent Sozialhilfeempfängern inzwischen kläglich gescheitert ist. Während die Zahl von Sozialwohnungen, die mit öffentlichen Geldern subventioniert werden, in Frankfurt am Main weiter sinkt – die Stadt verfügt inzwischen nur noch über gut 40.000 solcher Wohnungen, das sind 20.000 weniger als Ende 1993 –, bekommen die Ämter immer größere Probleme, den Restbestand einigermaßen sozialverträglich zu belegen. Nicht mehr realisieren läßt sich heute die Vorgabe, den Ausländeranteil in Sozialsiedlungen unter der 30-Prozent-Quote zu halten.

Laut Wohnungsvermittlungsstelle liegt der Ausländeranteil in den Hochhaussiedlungen Niederrad und Eckenhein zur Zeit bei etwa 58 Prozent. Aber auch in den übrigen Siedlungen wächst der Anteil ständig und läßt sich voraussichtlich nicht mehr unter die von den Frankfurter Stadtverordneten festgesetzte Grenze von 30 Prozent drücken. Dabei werden binationale Familien und Ausländer, die länger als fünfzehn Jahre in Deutschland leben – auch wenn sie keinen deutschen Paß haben –, beim Wohnungsamt längst als Deutsche geführt. Gerade wegen dieser äußerst problematischen Bewohnerstruktur lehnen deutsche Mitbewerber Quartiere mit Hochhäusern oft ab, hinzu kommt die Anonymität und Kriminalitätsrate in den Wohntürmen, die älteren Menschen vielfach Angst einjagen. Lag der Ausländeranteil in diesen Sozialsiedlungen 1981 noch bei knapp 30 Prozent, waren dies 1992 schon 45 Prozent. 1996 stieg der Anteil auf 58 Prozent, wobei die abermals gestiegenen Zahlen für 1997 noch gar nicht vorliegen.

Dagegen protestiert jetzt die Städtische Wohnungsholding. Sie beruft sich dabei auf einen Vertrag mit dem Wohnungsamt, der den gesamten Ausländeranteil in ihren Sozialwohnungen auf 30 Prozent begrenzt. Auf die Frage, wie der viel zu hohe Ausländeranteil an den Sozialwohnungen gesenkt werden könne, weiß auch die Wohnungsholding keine befriedigende Antwort, denn ob es gelingt, mehr Ausländer in dem bindungsfreien Altbestand der Holding unterzubringen, ist mehr als fraglich. So weiß auch die Geschäftsführung, daß dort, wo bereits ein massiver Zuzug von Ausländern stattgefunden hat, naturgemäß immer mehr hinzukommen.

Auch eine zweite Quote ist inzwischen nicht mehr kontrollierbar. So sollte nach dem Willen der Stadtverordneten auch der Anteil der Sozialhilfe-Empfänger in Großsiedlungen 15 Prozent nicht übersteigen. Tatsächlich ist dem Wohnungsamt aber unbekannt, wieviele der Bewohner vom Sozialamt "Hilfe zum Lebensunterhalt" bekommen, denn dies erfährt das Amt lediglich bei einer Erstbelegung von Neubauten.

Ein weiterer Zustrom von Flüchtlingen aus aller Welt kann diese ohnehin schwierige Situation nur noch verschlimmern. Heinz Kühn, ehemaliger Ausländerbeauftragter der sozialliberalen Bundesregierung Schmidt/Genscher und früherer SPD-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, hatte seinerzeit einmal bemerkt, daß ein Ausländeranteil von über zehn Prozent jedes Volk rebellisch werden ließe.

Daß es in den Frankfurter Großsiedlungen noch nicht zu derartigen Exzessen gekommen ist, sagt mehr aus über die Toleranz und den Langmut der deutschen Bewohner als über den Realitätssinn heutiger Politiker.


 
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