© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/98  23. Januar 1998

 
 
Zukunfts-Report: Die Bundeswehr nach Krise und Reform / Sympathie-Offensive der Hardthöhe
Abhängen bei Volkers Truppe
von Markus B. Wehr

"Hier, bitte schön. Oh, den Kragen müssen Sie noch etwas knicken, ja, das paßt. Richtig schneidig!" Florian steht wie all die anderen vor der Stammbekleidungskammer und wartet auf die Aushändigung seiner Ausrüstung. Der nette Stabsunteroffizier, wahrscheinlich sein Ausbilder, kümmert sich rührend um die Neuankömmlinge. Ja, fast herrscht hier die Betriebsamkeit eines Club-Med-Hotels zum Saisonbeginn.

Die Vorgesetzten, alle sichtlich bemüht, ein freundliches Wort an "die Neuen" zu richten, geben sich wie die Portiers am Empfang.

Florian wirft schwungvoll seine Rastalocken zurück und überlegt lächelnd, wie damals alles begann. Wie war er noch mal zur Bundeswehr gekommen?

Es muß im Sommer ’98 gewesen sein – also schon drei Jahre her. Als er in seiner Kreuzberger WG, wie seit Jahren jeden Morgen, seine taz aus dem Briefkasten holte und sich von der türkischen Kindergang mal wieder wegen seiner rosa Weste als "Schwule Sau" bezeichnen ließ. Florian war ja nie aggressiv, deshalb kam er auch so super mit den Jungs klar. Florian liebt halt Kinder und sie ihn.

In der hellen Wohnung angekommen, wo er mit Lars, Imke, Kevin und Jutta zusammenwohnte, nahm er sein normales Frühstück zu sich, einen Apfel, einen Magermilchjoghurt und eine lauwarme Tasse Hibiskustee (wegen der Magenschleimhaut) und las nebenbei seine Zeitung. "Ja", schmunzelte er in sich hinein, "total bürgerlich ist sie geworden, die taz". Die Anzeigen der Bundeswehr fielen ihm eigentlich schon gar nicht mehr auf, seit Rühe vor einigen Monaten seinen Propagandafeldzug in den sogenannten "linken Medien" startete. Naja, seitdem sogar der Verfassungsschutz NRW mit doppelseitigen Großanzeigen in der linksradikalen Wochenzeitung Jungle World um Mitarbeiter warb, wunderte Florian und seine Freunde sowieso nichts mehr.

Sein Vater war eigentlich derjenige, der ihn davon überzeugte, den Antwortcoupon ausgefüllt nach Bonn zu schicken. Der war nämlich der Meinung, es hätte sich in den letzten Monaten vieles geändert, "beim Barras", wie Florians Vater immer dazu sagte. Nein, er wußte das nicht etwa aus Monitor oder aus der Zeit, sondern von seinem Bruder, Oberstabsarzt der Reserve. Der hatte Florian vor ungefähr zehn Jahren auch erklärt, wie man Untauglichkeit simulieren kann. Denn zum Bund wollte Florian nun wirklich nicht. Aus Überzeugung, wie er sagte. Aber Zivildienst sei auch sehr anstrengend, hörte er von Freunden.

Nicht, daß sein Vater autoritär gewesen wäre – der schlimmste Vorwurf, den man dem diplomierten Soziologen überhaupt machen konnte –, aber der gute Mann wollte für seinen jetzt gut dreißigjährigen Sprößling nicht mehr allein den Lebensunterhalt zahlen. Klar, daß Florian, der wie seine Freunde gern in der Welt herumgondelt, und "sich nicht festlegen" will, das alles ganz schön scheiße fand. Ausgerechnet Bundeswehr! "Bei der kriegstreiberischen Regierung und den imperialistischen Waffenmonopolisten, da kann man nur verweigern!", tönte er oft. Denn: "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!"

Nun: die Regierung änderte sich im September ’98, und nach einem kurzen schwarzroten Intermezzo durften die Grünen mitmachen. Rühes Amtsnachfolger, Antimilitarismusminister Jürgen Trittin, mußte eigentlich gar nichts mehr machen, sein Vorgänger hatte schon alle Weichen gestellt. Der "rüde Umgangston" wurde bei Androhung härtester Disziplinarstrafen verboten, eine Haarlänge von mindestens 19,47cm bei allen Dienstgraden zur Pflicht und das Uniformverbot außerhalb des Kasernengeländes endgütig durchgesetzt. Auch der Gebrauch der Schußwaffe wurde immer mehr eingeschränkt und durch das zweimonatige Seminar "Konfliktbewältigung durch sozialintegrative Diskussionstechniken" ersetzt.

Da brauchte Florian natürlich kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, und ein Jahr später bewarb er sich beim Heer. Nach Musterung und einem Test, der ihm seine emotionale Kompetenz bestätigte, stand seiner Soldatenlaufbahn nichts mehr im Wege.

Tja… und so steht er jetzt da mit seinem Seesack. Auch die Uniform hat sich ein bißchen geändert. Splitterschutz und Helm sind endlich als lästige und schwere Uniformteile erkannt worden. Statt dessen gibt’s mehr Badehosen, bunte Hemden und, als Bonbon, einen faustgroßen, bunten Miniventilator mit integriertem Handy. Ein vorbeikommender Offizier hilft ihm seinen Seesack zu tragen. Ja, auch die Dienstgrade wurden immer zuvorkommender, denn jeder wußte: Eine Beschwerde beim Wehrdienstbeauftragten Friedrich Küppersbusch hat schon so manchen die Karriere gekostet. So schreiten die beiden lächelnd und zufrieden über die schönen Gärten der "Lea-Rosh-Kaserne", wahrlich eine Pracht, wie der unter der Last des Seesacks ächzende Offizier immer wieder betont. "Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl bei uns." Mit einem beiläufigen "Jaja" schnippt Florian einen Euro durch die noch offene Tür. "Kauf Dir’n Eis davon, Boß!" "Oh! Vielen Dank, Herr Schütze!", schallt es dumpf durch die geschlossene Tür zurück.

Auf der Stube, einem Einzelzimmer mit Balkon und Blick nach Süden, läßt sich Florian erst mal ein heißes Bad einlaufen. "Mmmmhhh… genau, wie ich es gebucht habe", raunt er sich selbst zu und zündet sich die Tüte an, auf die er sich schon den ganzen Nachmittag gefreut hat. Ein Blick auf den Stundenplan läßt ihn kritisch schauen. "Das kann doch nicht sein… um halb zehn schon aufstehen?"

Florian nimmt sich den am frisch gemachten Bett liegenden Beschwerdeblock zur Hand. "Pünktlich um halb zehn! Haben die Kriegshetzer denn gar nichts aus der Geschichte gelernt?", grummelt er kopfschüttelnd. Nach dem Hin und Her am nächsten Morgen gelingt es Florians Vater doch noch, seinen Sohn aus den Fängen des deutschen Militarismus zu befreien. "Siehst du!", sagt der, als beide in den neuen silbergrauen BMW einsteigen, "das ist alles auch nur alter Wein aus neuen Schläuchen." Ja, Florian hat etwas daraus gelernt. "Aber es war immerhin ein Stück weit eine neue Erfahrung!" Die beiden diskutieren bei dem altvertrauten lauwarmem Hibiskustee noch bis tief in die Nacht.


 
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