© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/98  23. Januar 1998

 
 
Pankraz, Così fan tutte und der Ruhm des Bertold Brecht

Das "Brechtjahr" 1998 hat genauso begonnen, wie es nach Lage der Dinge zu erwarten war: Während nach vorn hinaus, nämlich im "Kulturkanal" 3sat, gefeiert wird, ein Brechtstück nach dem anderen abrollt, streiten sich im Hinterzimmer die Brechtphilologen, daß die Fetzen fliegen. Und der Streit hinten ist bedeutend kurzweiliger und ergiebiger als die Feiern vorn.

Von Brecht, so wird nun endgültig geklärt, stammt höchstens ein Viertel jener Stücketexte, die 3sat so ehrerbietig darreicht. Der Mann ließ ein Leben lang andere für sich arbeiten, vor allem Frauen, prellte sie um ihre Tantiemen, machte sie zu Wasserträgern, beutete sie aus. Und die Frauen ließen sich nur allzu gern ausbeuten, lagen dem Ausbeuter zu Füßen, gingen in ihm auf. Ein tolles Stück Zeitgeschichte, ein tolles Stück Geschlechterpsychologie!

Brecht selbst schneidet dabei blendend ab. Er war weniger langweilig und begriffsstutzig, als man nach Ansehen "seiner" Stücke denken müßte. Die penetrante Zeigestock-Pädagogik in diesen Stücken, die ewige Anhimmelei des Kommunismus und seiner allwissenden Partei, die lachhaft volkstümelnde Kleine-Leute-Rhetorik – all das stammt, hurra, nicht von Brecht, sondern von Elisabeth Hauptmann, Margarete Steffin, Emil Burri, anderen eingeschriebenen Genossinnen und Genossen. Brecht hat allenfalls mal einen frechen Song, ein bodenloses Bonmot beigesteuert. Im übrigen hat er redigiert, arrangiert, abgesegnet, seinen Namen über das jeweilige Ganze gesetzt. Er hat sich amüsiert, während die Hauptmann & Co. ihr Herzblut vergossen. So hat’s die Postmoderne gern.

Auch was seinen Umgang mit Frauen betrifft, steht der große Nichtstückeschreiber als unerreichbares Vorbild für alle Machos und Möchtegern-Machos da. Was noch Nietzsche als Minimalausstattung für männliche Verführer auflistete (Geduld mit den Mädchen haben, ihnen Geschenke machen, sich in ihrer Gesellschaft ausdrücklich wohlfühlen, vor allem: sie reden lassen, reden lassen, reden lassen), das schnurrte bei Brecht zu einer einzigen Devise zusammen: "Nimm von ihnen und gib ihnen wenig!" Er war äußerlich mickrig, ungepflegt, jähzornig. Er schlaffte schnell ab. Und dennoch waren sie ihm alle mit Leib und Seele zugetan, gaben ihr Leben für ihn hin. Ehrfürchtig senken die Männer vor diesem ihrem Geschlechtsgenossen den Degen. Er hatte es, das Geheimnis. Und er wußte damit umzugehen.

Wie aber konnte dieser Hallodri und Zauberer zu einem der am meisten bekakelten Schriftsteller der Gegenwart aufsteigen? Wieso feiert die BRD-Gesellschaft wie verrückt Brechts hundertsten Geburtstag, obwohl er doch in allen seinen geistigen Ambitionen und Prognosen vollständig und schneidend gescheitert ist, obwohl er zu Mord und Stasispitzelei ("Die Partei hat tausend Augen") aufgerufen hat und nie für die Demokratie, immer nur (und stets ganz offen) für die Diktatur eingetreten ist?

An alles überragender literarischer Bedeutsamkeit kann es schwerlich liegen. Gewiß, er hatte als junger Newcomer einen lyrischen "Sound", der noch nie dagewesen war und die Sprache in unerwarteten Aspekten funkeln ließ. Er war ungebärdiger, schnoddriger Sänger in einer Zeit gestelzter Rezitatoren, er war eminent musikalisch und fand die richtigen Komponisten, die seinen Versen zum angemessenen Ton verhalfen. Er verschwisterte sich poetisch mit dem heraufziehenden Beton-Zeitalter, beschrieb dessen Riesenstädte als Dickicht, als wuchernde Fülle und unheimliche Fremde zugleich. So etwas machte Eindruck.

Was aber den Kohl erst fett machte, war ein Weiteres: Brecht war der erste (und bis heute vielleicht sogar der einzige), der die moderne politische Funktionärssprache literaturfähig zu machen verstand – indem er ihr zu einem merkwürdig neuromantischen Widerhall und Echoton verhalf, zu einer kosmischen Rotverschiebung gewissermaßen, die sie als Notwendigkeit und unabwendbares Schicksal erscheinen ließ. Hans Sahl hat das schon in den dreißiger Jahren gespürt, als er schrieb, daß Brecht "die Sprache der Moskauer Prozesse" in die Poesie eingeführt habe.

Natürlich war es die Sprache Stalins, die Brecht poetisierte. Er pries "die Erziehung der Hirse", die "des Sowjetvolkes großer Ernteleiter" vorgenommen habe, und wenn er dichtete, daß der einzelne zwar vernichtet werden könne, "aber die Partei kann nicht vernichtet werden, denn sie ist der Vortrupp der Massen", so meinte er damit die Partei Stalins, die "Partei neuen Typs". Indes, was einst dem Stalin recht war, das mag einem Kohl heute billig sein, will sagen: Die Brechtsche Parteienfeier schmeckt im Grunde jeder modernen Partei, kitzelt ihre Träume von der Allzuständigkeit und läßt sie zuletzt, wenn der Song nur lang genug anhält, wie einen satten Kater schnurren.

Man sollte sich klarmachen, daß der wirklich große Ruhm Brechts ein Nachruhm ist, daß sein Stern erst richtig aufging, nachdem die 68er die westliche Welt durch und durch politisiert hatten, nachdem sie alle anderen Sprachspiele außer dem politischen verhöhnt und erfolgreich niedergemacht hatten. Das Werk Brechts paßte danach wie der Hintern auf den Nachttopf. Man konnte gänzlich von seinen kommunistischen Inhalten absehen; bereits seine spezifische Sprachstruktur, diese mit Zynismus, Resignation und Oberlehrerei leicht veredelte eherne Politstruktur, sicherte ihm Aktualität und Beifall von sämtlichen arrivierten Seiten.

Der Streit der Philologen, die Offenbarung, daß der Herr "nur" eine Art industrieller Manager des Werkes namens "Brecht" gewesen ist, der die Muster und Ausarbeitungen seiner Mitarbeiter in die Reihe brachte und in erster Linie für die Vermarktung und propagandistische Aufwertung zuständig war, kann den zeitgenössischen Ruhm nur erhöhen. Denn so machen’s ja inzwischen alle, così fan tutte. Und daß er den Löwenanteil des anfallenden Profits einstrich, ist bekanntlich ebenfalls così fan tutte.


 
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