© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/98  16. Januar 1998

 
 
Pankraz, Madame Roland und der Weg in den Mittismus

Viele Politbeobachter, von Feldmeyer bis Rohrmoser, bedauern noch heute, daß die von Helmut Kohl bei Regierungsantritt versprochene "geistig-moralische Wende" ausgeblieben sei: sie sehen darin das Generalübel der gegenwärtigen Politik. Josef Schüßlburner hat jetzt in einer seiner hochoriginellen, wenn auch nicht leicht zu lesenden Analysen (Etappe XIII ) die Gegenthese aufgestellt: Die "geistig-moralische Wende" (GMW), räsonniert er, habe sehr wohl stattgefunden, die CDU/CSU habe sich seit 1982 nachgerade bis zur Nichtwiedererkennbarkeit gewendet. Und damit habe sie auch das Land gewendet, und zwar gründlich.

Aus den einstigen Verteidigern des christlichen Abendlands, schreibt Schüßlburner, seien "Euro-Leftisten" geworden, und unter deren Regime habe sich die Demokratie einerseits in eine nur noch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten operierende "Ventrokratie" (Herrschaft des Bauches), andererseits in eine völlig illiberale "Dämonokratie" (indirekte Herrschaft der Dämonen) verwandelt, in der alles, was sich rechts von Kohl und Waigel artikulieren wolle, im Stile der linken Antifa verketzert, tabuisiert, kriminalisiert, dämonisiert und "unter Beobachtung" gestellt werde. Wenn das keine GMW sei! Ein scheußlicher Leviathan sei entstanden, eine Spottgeburt aus Absahnerei und Gesinnungsschnüffelei, für die die junge Generation nur noch grellen Hohn (Skins) oder finstere, ohnmächtige Verachtung (Studenten) übrig habe.

Schüßlburner fragt sich, was im Geistig-Moralischen eigentlich noch schlechter werden könne, falls im Herbst die Rotgrünen die Macht übernähmen. Er sieht Steigerungsmöglichkeiten im Quantitativen. "Verfassungswidriger Mißbrauch des Verfassungsschutzes und der Volksverhetzungskeule zur Ausschaltung genuiner Rechtsopposition würde bei einer PDS-gestützten SPD-Bundesregierung wohl wirklich oppressive Ausmaße annehmen."

 

Das hieße beispielsweise, daß die bereits jetzt zu beobachtende schonende Behandlung sogenannter "autonomer" Terroristen seitens diverser rotgrüner Landesregierungen sich zu einer regelrechten offiziellen Förderung SA-ähnlicher "antifaschistischer" Schutztruppen auswachsen würde, deren politische Morde dann überhaupt nicht mehr aufgeklärt, sondern schlankweg den Ermordeten in die Schuhe geschoben würden (wie es ja hier und da bereits vorgekommen ist). Auch Schutzhaft für Vergangenheitsbewältigungs-Verweigerer und massenhafte Aberkennung der Bürgerrechte für gewisse auffällige Bevölkerungskategorien sind vorstellbar.

Mit Sicherheit käme es zu einem nochmaligen Schub behördlicher Sprachregelungen im Sinne der PC und zu weiteren Verketzerungen der deutschen Geschichte in den Schulen. Das Andenken der eigenen Kriegsgefallenen und der zwölf Millionen nach 1945 völkerrechtswidrig aus ihrer Heimat Vertriebenen würde endgültig ausgelöscht; man dürfte höchstens noch im Stile Richard von Weizsäckers von "unfreiwilliger Wanderschaft" sprechen, und eventuell noch vorhandene kleine Krieger-Denkmäler würden entfernt.

Karfreitag und andere christliche Feiertage würden Zug um Zug "zum holocaustbezogenen Neo-Golgatha umgewidmet" (Schüßlburner). Die Antifa wüchse sich zu einer Art neuer Zivilreligion aus, und man darf sich fragen, ob die dann in die parlamentarische Minderheit geratene CDU/CSU die Courage bewahrte, das hohe "C" in ihrem Parteinamen zu halten, oder ob sie sich nicht doch lieber in vorauseilendem Gehorsam entschlösse, sich in "Antifaschistisch-Demokratische Union Deutschlands" umzubenennen. Viele Metamorphosen sind im Zeichen der von Kohl betriebenen GMW möglich, und nur wenige davon sind unwahrscheinlich.

Im Widerspruch zu Schüßlburner sieht Pankraz keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem, was im September kommen könnte, und dem, was jetzt bereits da oder angeleiert ist. Schüßlburner sagt es ja selbst: Der Anspruch der CDU/CSU, im Gegensatz zur SPD und zu den Grünen eine Formation der "Mitte" zu sein, ist vorgespiegelt.

Wer rechts von sich keine Konkurrenz duldet, ja, sie regelrecht in Abrede stellt, zur Rechten lediglich kriminellen Extremismus wahrzunehmen vorgibt, der kann sich logischerweise nicht als Mitte definieren. Seine Differenz zu Links besteht nicht in den Positionen, sondern in den Methoden, in jenem sumpfigen, schleimigen "Mittismus" nämlich, für den sich die offene Linke immer zu gut war und den schon während der französischen Revolution die Girondisten dem Abbé Sieyès vorgeworfen haben.

Der "mittistische Sumpf", so damals Madame Roland gegen Sieyès, sei an sich das Schlimmste, was es politisch geben könne: eine Hilfestellung für jakobinische Kopfjäger, damit diese sich auf Filzpantoffeln zur absoluten Macht schleichen und arglosen Zeitgenossen Sand in die Augen sreuen können. Ältere Demokratien wie England kennen den mittistischen Sumpf denn auch gar nicht. Ihr Parlament gliedert sich schon von der Sitzordnung her in Rechts und Links, weil nur so halbwegs klare Politik, klares Sprechen und Zuweisung von Verantwortung möglich sind.

Hier zeigt sich nun der wahre Karat der geistig-moralischen Wende, die seit 1982 vollzogen worden ist: Die Leute an den Schalthebeln haben es geschafft, die Dinge so zu drehen, daß sie nicht mehr verantwortlich gemacht werden können für das, was sie anrichten, von den Medien jedenfalls nicht mehr dafür verantwortlich gemacht werden. Alle möglichen anderen sind schuld an den jeweiligen Miseren: das Volk, auswärtige Kräfte, irgendwelche objektiven, globalen Konstellationen, nur die Politiker nicht.

Die GMW bestand darin, die Politiker gewissermaßen aus der Moral herauszusetzen, sie zu entmoralisieren. Im Grunde eine große Leistung, rein geistig und moralfrei betrachtet.


 
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