© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/98  09. Januar 1998

 
 
Finanzmärkte: Globale Spielkasinos sind gefährlich
Erdbeben in Asien
von Alain de Benoist

Langsam aber sicher greift die asiatische Finanzkrise aus. Nach Thailand, Malaysia, den Philippinen, Indonesien und Südkorea sind nun Japan und der Börsenmarkt in Hongkong betroffen. Die von jetzt ab wahrscheinliche Rezession in Südostasien wird sich auf den Rest der Welt in Form eines verlangsamten Wachstums auswirken. Einige Beobachter wollen nunmehr auch die Möglichkeit eines größeren "systemischen Risikos" nicht mehr ausschließen: falls sich Japan, die zweite Wirtschaftsmacht der Welt und wichtigste Gläubigerin der Vereinigten Staaten, dessen Bankensystem bereits durch einige aufsehenerregende Zusammenbrüche erschüttert worden ist, dazu entscheiden würde, sich aus dem Obligationenmarkt von New York zurückzuziehen und seine dortigen Außenstände zwecks Unterstützung der japanischen Aktienmärkte zu "repatriieren", dann wäre der nächste Dominostein die USA. Das heißt die ganze Welt.

Es sind schon drei Jahre her, daß die mexikanische Finanzkrise gedroht hatte, seismische Ausschläge auf der ganzen Welt auszulösen. Der Internationale Währungsfonds hatte daraufhin 52 Milliarden Dollar aufgewandt, um einen drohenden Flächenbrand zu löschen. Aber heute? Noch vor einigen Wochen hat man, vorsichtig geschätzt, eine Summe von etwa 100 Milliarden Dollar vorgeschossen, um den Kahn wieder auf Kurs zu bringen. Nun stellt es sich aber heraus, daß selbst nach dem Geständnis des neuen Präsidenten Kim Dae-jung sich die südkoreanische Schulden auf etwa 200 Milliarden belaufen, das sind mehr als 4.000 Dollar Schulden pro Einwohner. Innerhalb einiger Wochen hat Südkorea, einer der wichtigsten Auslandsinvestoren der Welt, mehr als die Hälfte seines Bruttosozialprodukts verloren und fällt mit einem Schlag auf den Stand von vor zehn Jahren zurück. Die Kassen seiner Zentralbank sind leer, Währung und Wirtschaft sind zusammengebrochen und man spricht selbst vom Staatsbankrott mit Aussicht auf ein Moratorium. Im Augenblick allerdings wird die von der "internationalen Gemeinschaft" oktroyierte Soforthilfe dem Land erst einmal ermöglichen, der Gefahr ins Auge zu sehen. Doch wie soll es einem derart verschuldeten Land gelingen, die Hauptschuld zurückzuzahlen, wenn nicht durch Übereignung der Waren an die ausländischen Investoren, speziell an die Amerikaner?

Der asiatische Börsenkrach ist nicht mit der mexikanischen Krise identisch, aber die Grundbestandteile sind die selben. Regelmäßig von liberalen Kreisen als Beispiel genannt, haben die "ostasiatischen Drachen" seit zwanzig Jahren ein von Exporten getragenes und von privatem Spekulationskapital finanziertes Wachstum erlebt, das mithin hochgradig von den Zufällen des Marktes abhängig war. Diese kurzfristigen Ströme stimulierten zunächst die wirtschaftlichen Aktivitäten, haben aber auch zur Bildung spekulativer Seifenblasen geführt. Im Falle Südkorea, wo riesige Firmenkonglomerate (Chaebol) überdies eine geradezu kolossale Überschuldung vorweisen, hat ein überbewerteter Wechselkurs das Handelsbilanzdefizit noch vertieft und solange sich das nicht ändert, bleibt das Kapital verschwunden. Der Wert von Aktien- und Immobilien ist abgestürzt. Überfrachtet mit zweifelhaften Forderungen, sind die Banken bankrott, die deponierten Bankguthaben sind eingefroren, die Mittelklasse, die auf Kredit gelebt hatte, steht vor dem Ruin. Der Börsenkrach hat die reale Wirtschaft erreicht. In Europa gibt man sich ruhig. Die französische Regierung etwa hat darauf hingewiesen, daß die Exporte nach Asien nur 8,4 Prozent der Gesamtexporte ausmachten. Diese Erklärung hat durchaus etwas Pikantes. Denn im Klartext heißt das, daß die ostasiatische Finanzkatastrophe uns nur deshalb kaum betrifft, weil die Globalisierung, die die politische Klasse seit Jahren rühmt, noch nicht abgeschlossen ist.

Das Jahrzehnt, das sich nun dem Ende zuneigt, ist gekennzeichnet durch die Deregulierung, das heißt durch die weltweite Zerstörung der Kontrolle über alle Kapitalbewegungen. Diese Mobilität des Kapitals, die für die beste Rendite der Darlehnsgeber gehalten wird und die den Darlehnsnehmern die geringsten Kosten verspricht, ist von denjenigen Regierungen ermöglicht worden, die sich zu einem metaphysischen Glauben bekennen, dem der "natürlichen Regulierung" der Märkte. In Wirklichkeit haben sie lediglich die weitgehende Autonomisierung des Bereichs der Finanzmärkte erreicht. Dabei wäre eine Kontrolle der Finanzmärkte nötiger denn je. Die Lostrennung der Aktivitäten des Weltmarktes von der tatsächlich produktiven Wirtschaft ist gekennzeichnet durch eine beispiellose Aufblähung spekulativer Wertpapiere: 1.300 Milliarden Dollar werden heute täglich auf dem internationalen Devisenmarkt getauscht, gegen gerade 18 Milliarden am Anfang der 70er Jahre und von diesen 1.300 Milliarden entsprechen nur zwei Prozent den tatsächlich ausgetauschten Waren und Dienstleistungen. Und die Regierungen geben weiterhin ihre Verantwortung zugunsten eines globalen Spielkasinos ab. Es ist nicht schwer, zu begreifen, wie lokale Krisen zu Gefahren planetarischen Ausmaßes anwachsen können, wie jetzt in Ostasien zu beobachten. Was aber wird geschehen, wenn die Entwicklung der Globalisierung erst beendet sein wird?


 
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