© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/98  09. Januar 1998

 
 
Dokumentation (II): Bundeswehr – Historiker Franz W. Seidel über Verbrechen an der Wehrmacht
Fälschungen und Verdrehungen
von Hans-Peter Rissmann

Die Kampagne gegen die Bundeswehr hält auch nach dem Jahreswechsel an. Die vom linksradikalen "Hamburger Institut für Sozialforschung" in Gang gesetzte Wanderausstellung "Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht" ist dabei der scheinwissenschaftliche Treibsatz, der die Medienkampagne befeuert. Wir setzen die Dokumentation von Auszügen aus der jetzt im Pour-le-Mérite-Verlag erschienenen wissenschaftlichen Studie unter dem Titel "Verbrechen an der Wehrmacht" fort, die wir in der vorigen Ausgabe begonnen haben. Autor der Studie ist der Militärhistoriker Franz W. Seidler, der an der Bundeswehr-Universität München lehrt.

Sowjetische Verbrechen den Deutschen untergejubelt

»Die Aussteller können zwar eine Menge von Fotos über Erschießungen und Erhängungen beibringen und Texte – mit vielen Auslassungen und Fettdrucken – anbieten, aber versuchen nicht einmal zu klären, ob es sich bei den Hinrichtungen um völkerrechtskonforme Aktionen handelte, vielleicht sogar aufgrund eines gerichtlichen Verfahrens. Sie können keine Beweise anbieten, daß deutsche Soldaten ihre Opfer gefoltert oder verstümmelt hätten. Sie fanden auch keine Befehle oder Appelle deutscher Dienststellen, die zu Mord und Totschlag aufforderten.

Aussagen von Angeklagten und Zeugen vor sowjetischen Gerichten sind erfahrungsgemäß von der Wahrheit weit entfernt. Es gibt genügend Berichte darüber, wie sie zustande kamen. Etwa zur gleichen Zeit, als der Schauprozeß in Minsk stattfand, gaben 16 deutsche Soldaten zu, an der Ermordung von 15.000 polnischen Offizieren und Soldaten in Katyn beteiligt gewesen zu sein. Sieben von ihnen wurden gehenkt, Grundlage war ein Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19.4.1943, dessen Formulierung bereits das Urteil mitschwingen ließ: "Über die Maßnahmen zur Bestrafung der deutschfaschistischen Übeltäter, die sich des Mordes und der Mißhandlung an der sowjetischen Zivilbevölkerung und gefangener Rotarmisten schuldig gemacht haben, sowie der Spione und Vaterlandsverräter unter den sowjetischen Bürgern und ihrer Helfershelfer". Die Todesstrafen sollten öffentlich vollzogen werden und die Leichen zur Mahnung einige Tage am Galgen hängen bleiben. Inzwischen ist aufgedeckt, daß die Katyn-Morde von den Sowjets begangen wurden. Wieviele weitere deutsche Soldaten aufgrund dieses vor Propaganda triefenden Erlasses hingerichtet wurden, ist bisher unbekannt.

Wissenschaftliche Angaben müssen nachprüfbar sein. Überprüfbarkeit ist ein Grunderfordernis historischer Dokumentation. Aussagen, die nicht überprüft und nachvollzogen werden können, sind subjektive Behauptungen.

Von den Fotos dieser Ausstellung haben 90% keinen Quellennachweis. Sehr viele stammen angeblich aus den Taschen getöteter oder gefangener deutscher Soldaten. Dort fanden sich wohl auch Fotos der Angehörigen. Wurden sie beiseitegelegt, weil mit ihnen keine Politik gemacht werden konnte? Mit den Bildern von Ehefrauen, Kindern und Eltern, Erinnerungsstücken an Zuhause, hätte sich nur eine menschlich anrührende Ausstellung durchführen lassen.

Fotos ohne Quellenangabe haben keine Beweiskraft für irgendwelche Vorgänge, an denen die Fotografen möglicherweise beteiligt waren. Belege ohne Orts- und Zeitangaben sind wissenschaftlich wertlos. Von den 314 Fotos im Kleinformat tragen 208 die Bezeichnung "unbekannter Ort". 62 lassen keine Beteiligung von Wehrmachteinheiten erkennen. 19 stammen aus Polen vor 1941. 15 zeigen Kriegsgeschehen, z.B. brennende Häuser, ohne Bezug zum Thema und 10 betreffen nicht die Wehrmacht, sondern SS, SD oder RAD. Selbst die Zitate, die die Bilder kommentieren, sind nur schwer nachprüfbar. Viele Texte auf den Schautafeln sind verkürzt. Die Belegstellen verweisen gelegentlich auf Gerichtsakten ohne Angabe der Aktenzeichen. Durch Fettdruck werden die Ausstellungsbesucher auf angeblich wichtige Stellen hingewiesen. Es handelt sich ausschließlich um Passagen, die die Meinung der Aussteller stützen. Einschränkungen oder Widersprüche, die sich in den Schriftstücken finden, werden dem Betrachter als gepunktete Auslassungen entzogen.«

Seidler nennt die spektakulärsten Fälschungen oder offensichtlichen Verdrehungen der Ausstellungsmacher:

– Die Verbrechen von Tarnopol können z. B. nicht der 6. Armee zugeschrieben werden, weil keine Einheit dieses Verbandes den Ort je erreichte.

– Das bekannteste Bild der Ausstellung, die Hinrichtung von Zivilisten an der Friedhofsmauer von Pancevo im Banat, das auch als Titelblatt des Spiegel vom 10.3.1997 abgedruckt war, ist nicht nur mit kleineren Uniformretuschen, z.B. am Stahlhelm des Pistolenschützen, sondern auch mit einer falschen Legende versehen.

– Ein Foto von nackten Männern wurde als eindeutige Textfälschung entlarvt. Sein Titel in der Ausstellung lautet: "Juden werden exekutiert." In Wirklichkeit handelt es sich um den Ausschnitt einer Abbildung aus dem Buch "Deutsches Vorfeld im Osten", das Helmut Gauweiler 1941 in Krakau veröffentlichte und das eine jüdische Arbeitskolonne vor einem Bad in der Weichsel zeigt. Der Kommentar des Nachrichtenmagazins Focus zu dieser Entlarvung lautete: "Wer so wenig fundiert mit Quellen und mit Bilddokumenten umgeht, der hat keinen Anspruch auf Seriosität." Der Kommentar von Hannes Heer zu der Aufdeckung beschränkte sich auf den Satz: "Dann schreiben Sie halt, es ist eine Fälschung. Machen Sie, was Sie wollen."

Seidler weiter: »Welche Schlüsse kann man daraus ziehen, daß die Ausstellungsmacher keinen der als falsch erwiesenen Texte änderten und kein Foto entfernten? Wie ist es um die Glaubwürdigkeit derer bestellt, denen die wahrheitsgemäße Darstellung des Themas so gleichgültig ist?

Die wissenschaftliche Qualifikation für eine seriöse Ausstellung über die Wehrmacht bringt keiner der Ausstellungsmacher auf. Hannes Heer war während seiner Studienzeit Angehöriger kommunistischer Gruppierungen. Zur Promotion als Nachweis zur Beherrschung wissenschaftlicher Arbeitstechniken hat er es nicht gebracht. Die Publikationen der Mitarbeiter decken bereits durch ihre Titel auf, welche Tendenz sie verfolgen. Dr. Jan Philipp Reemtsma kann die Absicht unterstellt werden, er handle in dem Bestreben, die Schuld seines Vaters zu löschen, der zu den Verehrern Hitlers gehörte und Göring mit großzügigen Spenden beim Bau seines schloßartigen Privathauses Carinhall unterstützte. Reemtsma sen. erreichte Ende 1943, daß seine Firma mit der Einheitszigarette Sulima-Rekord quasi das Monopol für die Belieferung der Wehrmacht bekam. Das brachte ihm bis zum Kriegsende ein Vermögen ein. Jeder deutsche Soldat erhielt täglich fünf Zigaretten zugeteilt und konnte sich weitere fünf als Marketenderware für drei Pfennige pro Stück dazukaufen. Bei 13 Millionen Soldaten des damaligen Wehrmachtpräsenzstands kann man sich das in 17 Monaten erwirtschaftete Pfennigvermögen ausrechnen.

Eine wissenschaftlich ausgewogene Ausstellung über Verbrechen im Krieg müßte sich mit den Untaten, Völkerrechtsbrüchen, Menschenrechtsverletzungen und Greueltaten aller Kriegführenden auseinandersetzen. Wenn die Wehrmacht als Bezugsgröße gewählt würde, müßten unter anderem folgende Fragen aufgeworfen und beantwortet werden:

– War die Wehrmacht im Vergleich zu den Armeen der anderen Kriegführenden in ihrer Kampfführung besonders verbrecherisch?

– In welchem Maße haben die Kriegführenden die Gesetze des Völkerrechts und die Gebote der Menschlichkeit beachtet?

– Wie verhielten sich die Kriegführenden gegenüber der Zivilbevölkerung und gegenüber den Kriegsgefangenen?

Der Militärhistoriker Hartmut Schustereit schrieb im Auftrag der Kameradenwerke und Traditionsverbände der Wehrmacht ein Gutachten über die von Hannes Heer verfaßten Kapitel des Buches zur Ausstellung. Er weist dem Verfasser nicht nur Unkenntnis der militärischen Fachterminologie und die Verwendung sowjetrussischen Agitations- und Propagandavokabulars nach, sondern eine selektive Darstellung der Sachverhalte unter Ausklammerung aller gegenteiligen Quellen. Es fehle die Einordnung der Aufsätze in die Gesamtgeschichte des Zweiten Weltkriegs und die Auswertung der Literatur zum Thema. Die historische Forschung der letzten dreißig Jahre bleibe mehr oder weniger unberücksichtigt. Die deutsch-sowjetischen Beziehungen bis zum Ausbruch des Krieges fehlten. Die Behauptung, der Partisanenkrieg habe eigentlich erst 1942 eingesetzt, steht im Widerspruch zu den Kriegstagebüchern der im Osten eingesetzten deutschen Verbände. Insgesamt erfüllen die Aufsätze nicht die wissenschaftlichen Anforderungen, denen eine publizierenswerte Darstellung zu entsprechen hat. "Die Kombination aus Verfälschungen von Quellen und pauschalen Verleumdungen und Verunglimpfungen ‘der’ Wehrmacht, die sich in der Verwendung von partiell reißerisch-propagandistischen, mit sowjetischem Agitationsvokabular versetzten Formulierungen artikuliert, läßt die eigentliche Zielsetzung erkennen: Es geht ganz offensichtlich darum, ‘die’ Wehrmacht soweit wie möglich abzuwerten, um sie kriminalisieren zu können."

Scheurig: Jede Selbstachtung soll uns geraubt werden

Bodo Scheurig geht in der Kritik der Ausstellung noch einen Schritt weiter: "Der Nachdenkende fängt an zu ahnen, daß die Ausstellung darauf abzielt, uns jede Selbstachtung zu rauben. Der politische Zuschnitt der ‘Sachbearbeiter’ muß solch einen Verdacht nähren."

So wie sie durch die Lande tingelt, vermittelt die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945" nur ein Zerrbild des Ausstellungsgegenstands. Jugendliche Besucher, die die historischen Zusammenhänge nicht kennen, sind ihm hilflos ausgeliefert. Sie können keine Vergleiche ziehen, weil ihnen die Fakten fehlen.

Sie wissen auch nicht, daß parallel – oder genauer gesagt gegenläufig – zu der von der Ausstellung in Deutschland und Österreich betriebenen Kriminalisierung der Wehrmacht heute in Rußland Wehrmachtsangehörige rehabilitiert werden, die früher in den Kriegsgefangenenlagern der UdSSR zu Arbeitslager und Zuchthausstrafen verurteilt worden waren, weil sie angeblich Kriegsverbrechen und Kriminaldelikte begangen hatten. Betroffen waren 1947–1949 über 35.000 deutsche Soldaten, meist Offiziere. Die Verurteilten und ihre Angehörigen können seit einigen Jahren bei der Generalstaatsanwaltschaft der russischen Militärjustiz in Moskau (Oberst Kopalin) ihre Rehabilitierung beantragen. Von rund 10.000 Anträgen wurden bis Ende 1996 6.500 bearbeitet. Über 5.100 deutsche Soldaten konnten rehabilitiert werden, weil sie zu Unrecht verurteilt worden waren, unter ihnen der Führer des XV. Kosaken-Kavalleriekorps, General von Pannwitz, der Major Erich Hartmann, mit 352 Abschüssen wohl der erfolgreichste deutsche Jagdflieger, der Wachtmeister Boris von Drachenfels, der im Kiewer Kriegsverbrecherprozeß nur knapp der Todesstrafe entkam, und der deutsche Eichenlaubträger Generalmajor Erich Walther, in den letzten Kriegswochen Führer der Fallschirm-Panzergrenadierdivision 2.«

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe


 
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