© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/98 02. Januar 1998

 
 
Interview: "Mr. Tagesthemen" Ulrich Wickert über nationale Identität
Nationalstaaten bleiben
von Alexander Schmidt

Herr Wickert, kann man Ihr neues Buch "Deutschland auf Bewährung" als Fortsetzung des Buches "Der Ehrliche ist der Dumme" auffassen, weil auch ähnliche Themen behandelt werden?

WICKERT: Nein, bei meinem neuen Buch handelt es sich um einen separaten Teil, bei dem nur einige Aspekte meines alten Buches erneut aufgegriffen werden. Eine Verbindung besteht zum Beispiel in der Frage, wie ich zur Gemeinschaft stehe.

Sie fordern ein neues Nationalbewußtsein, eine nationale Identität, obwohl "Staatsferne bei Intellektuellen chic"ist. Wie reagierten Tabuwächter auf diese Forderung?

WICKERT: Bis jetzt haben sie noch nicht reagiert, es dauert immer eine Weile. Doch die Reaktionen der Leute, mit denen ich bisher gesprochen habe, waren zu meinem Erstaunen positiv. Die nationale Identität wird nach meiner Interpretation nur deshalb so oft geleugnet, weil sie damit sagen wollen, daß sie nichts mit dem Dritten Reich zu tun haben.

Sehen Sie die nationale Identität in Deutschland als notwendig an?

WICKERT: Ja, denn eine Identifikation mit der Gesellschaft muß sein. Wenn ich sage, mit der Gesellschaft, in der ich lebe, habe ich nichts zu tun, dann ist das schlimm. Nur wenn ich etwas für die positive Entwicklung unserer Gesellschaft tue, dann kann ich auch irgendwann sagen, ich bin stolz, was ich aus diesem Ding gemacht habe. In diese Richtung muß auch die nationale Identität gehen.

Wie sehen Sie den Nationalstaat der Zukunft. Bedeutet eine zunehmende Globalsierung nicht eine Aufgabe der nationalen Identität?

WICKERT: Ich glaube nicht, daß es eine Aufhebung der Nationalstaaten geben wird, auch nicht durch die Globalisierung. Wir haben sicherlich mit einer Aufhebung der nationalen Souveränität zu rechnen. Das beste Beispiel dafür ist der Euro. Auch durch das Schengener Abkommen haben wir eine ganze Reihe von Rechten bezüglich der Grenzkontrollen abgegeben. Trotzdem werden die Nationalstaaten bleiben. Nur wird die Diskussion um die Nationalstaaten größer, weil die Europäische Union immer realer wird.

Ein weiteres großes Thema Ihres neuen Buches ist das "Denktabu" in Deutschland. Sie kritiseren, daß Themen wie Kriegsverbrechen von alliierter Seite oder auch Gentechnik hierzulande kaum diskussionsfähig sind. Wie meinen Sie das?

WICKERT: Denkverbote bestehen aus verschiedenen Elementen. Ein Teil dieser geht auf die schlechten Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus zurück. Zum Beispiel gab es im Nationalsozialismus die Eugenik, von einem Schweizer Forscher entdeckt, die man zur Schaffung eines neuen Menschen mißbrauchte. Aus Angst vor einer Wiederholung der schrecklichen Ereignisse sprach man einfach nicht mehr über diese Dinge.

Welche Rolle spielten diese Denktabus bei dem Historikerstreit oder der umstrittenen Wehrmachtsausstellung?

WICKERT: Sie haben sicherlich dazu beigetragen, denn die Auswirkungen des Tabus sind ja, daß der eine etwas verändern will und der andere sagt, es gibt Gründe, so etwas nicht zu tun. Tabus haben immer den Zweck, vor Mißverständnissen zu schützen, aber sie verhindern so auch eine Aufarbeitung der Geschehnisse.

Sie sagen, daß an deutschen Unis und Hochschulen immer noch "braune Professoren" sitzen. Hat die Entnazifizierung denn nichts gebracht?

WICKERT: Nein, denn eine Entnazifizierung hat effektiv nicht stattgefunden.

Stellt sich denn dann nicht die Frage, ob auch noch Stasi-Professoren ihr Unwesen an unseren Hochschulen treiben?

WICKERT: Man kann davon ausgehen, daß dies nicht mehr der Fall ist, denn durch die aufbewahrten Akten in den Archiven der ehemaligen DDR konnte man die Professoren auf eine Mitarbeit mit der Staatssicherheit überprüfen.


 
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