© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/98 02. Januar 1998

 
 
Studentenproteste: Die Krise ist hausgemacht
Lust auf Blockade
von
Hans Meier

Das Wort des Jahres 1997 heißt "Reformstau". Nicht zuletzt mit Blick auf den anhaltenden Ausnahmezustand an den deutschen Hochschulen und Universitäten am "Biltunks-Stant-ohrd" Deutschland erscheint die Wort-Wahl der "Gesellschaft für deutsche Sprache" berechtigt, aber es ist zweifelhaft, ob solch ein alarmierendes Symptom in unserem Lande überhaupt noch groß auffällt.

Ein jeder beklagt nun schon seit Jahren diesen Reformstau, und trägt doch nur dazu bei, ihn zu verfestigen, indem er jammert. So wie auch Roman Herzog, unser verkrampft unverkrampfter Bundespräsident, mit seiner berüchtigten Berliner "Hau-Ruck"-Rede, in welcher er darüber jammerte, daß hierzulande – selbstverständlich ganz im Unterschied zum Ausland – nur noch gejammert wird, nichts zur Lösung der nationalen Depressivität beigetragen, sondern diese im Gegenteil noch ganz gewaltig verstärkt hat. Bezeichnenderweise wurde seiner Forderung nach einem "Ruck", der durch das Land gehen müsse, von allen Seiten ausgiebig Beifall gespendet. Die Frage mag erlaubt sein, ob "Forderungen", egal, von wem sie gestellt werden, überhaupt ein Element der Problembewältigung beinhalten.

Jeder fordert vom anderen, er solle sich doch "bewegen", anschließend ist die allgemeine Betroffenheit groß, daß alles bleibt, wie es ist. Forderungen zu stellen ist seit 1968 speziell bei Studenten eine bis zur Meisterschaft trainierte Fähigkeit; die seitenlangen Forderungskataloge werden heutzutage von professionellen studentischen Arbeitsgruppen fleißig erdacht, basisdemokratisch diskutiert und unter schallendem Getöse veröffentlicht.

Wurde vor Jahren, neben vielem anderen, die "demokratische Mitbestimmung" der Studentenschaft gefordert, muß heute vor allem mehr Geld her, um die totale Mitbestimmungsmaschine am Laufen zu halten. Daß die Bundesregierung dem Bildungssektor womöglich deswegen den Geldhahn zudreht, weil sie befürchtet, doch nur noch bombastischere "Internationalismus-und Antirepressionsreferate" der selbstbestimmten "StudierendInnen" zu finanzieren, könnte man direkt nachvollziehen. Doch dem Handeln der Bundesregierung überhaupt so etwas wie ein konkretes Motiv zu unterstellen, wäre zumindest gewagt. Außerdem sind die Staatskassen leer. Freilich – daß die 340 Millionen Mark Entwicklungshilfe, die in diesem Jahr "zur Unterstützung der Reformprozeße" den osteuropäischen Staaten sowie den mittelasiatischen Mitgliedsländern der GUS gesteckt werden, "in deutschem Interesse dringend geboten" (Entwicklungshilfeminister Spranger) sind, leuchtet auch dem dümmsten Deutschen ein. Die Politik vermeidet einschneidende Reformen, von gezielter, nachhaltiger und konsequenter Gestaltung der Bildungspolitik kann die Rede im Ernst nicht sein, während die Studentenvertreter, moralisch stets entrüstet, alles fordern, was das spätpubertäre, gefrustete Studi-Herz erfreut,vom Austritt der BRD aus der NATO über "BaföG für alle" bis zur "Solidarität mit illegalisierten ImmigrantInnen".

Um eine Bewältigung der Kalamitäten geht es bei alldem nicht. So hilft denn ein jeder auf seine Weise nach Kräften mit, die Misere zu bewahren, und Zweifel drängen sich auf, ob ein anderer Geisteszustand als der des Problemstaus überhaupt erwünscht ist. Denn die krampfhafte Selbstblockade ist nichts, was allein dem Bildungssektor vorbehalten wäre: ob im Gesundheits-, im Rentensystem oder auf dem Arbeitsmarkt – überall bietet sich das nämliche, trostlose Bild. Womöglich bereitet es dem modernen Deutschland gar Lustgefühle, sich selbst zu blockieren und diese selbstverschuldete Situation dann ausgiebig zu beklagen?

Gebührt es den Deutschen nicht sowieso, sich schlecht zu fühlen und jammernd einen fortschreitenden Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in allen Gesellschaftsbereichen herzustellen? Das Ausland könnte sich ängstigen, ginge es hierzulande allzu gemütlich zu. Doch auch in der allgemeinen Ungemütlichkeit kann man es sich gemütlich machen, die selbsternannten Studentenvertreter machen es vor. Mit Thermokanne und Plätzchen ausgerüstet, diskutieren die Streikposten vor den Eingängen der Universitäten brachiale gesamtgesellschaftliche Umverteilungsstrategien, daß es einem warm ums Herz wird. Immer noch prangt der Weltveränderungsspruch von Karl Marx in der Eingangshalle der Berliner Humboldt-Uni (HU), Kritik daran wird vom ansonsten selbstkritischen Streikposten nicht geduldet. Welcher Studi den Haupteingang passieren darf, bestimmen die studentischen Streikführer, deren Armbinden sie als dem Normalstudenten übergeordnete Autoritätspersonen, deren Anordnungen – im eigenen studentischen Interesse! – Folge zu leisten ist, ausweisen.

Von den 20.000 Studenten der HU besuchen zum Beispiel weniger als 15 Prozent die "Vollversammlungen", auf denen die Streikbeschlüsse abgenickt werden. Nur 1.988 Studenten stimmten im vorigen Monat, stellvertretend für alle anderen, für die Fortführung des "Streiks". Schon greift die Streiklust auf die Schulen über; die taz vermeldet: "Im abendlichen Berufsverkehr wollten SchülerInnen 18 Ausfallstraßen auf der Höhe des S-Bahn-Ringes blockieren…" Deutschland ist das Land der Extreme, wie wahr.


 
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