© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/24 / 19. April 2024

Der Krampf mit dem Mampf
Alles ist politisch, auch das Essen: Welcher „Tarier“ sind Sie?
Ludger Bisping

Essen war früher irgendwie einfacher. Wo sich die Nachkriegsgeneration noch über jede Mahlzeit freute und aß, was auf den Teller kam, ist die Nahrungsaufnahme heute unendlich kompliziert. Nachhaltig, fair und bio muß das Essen sein, bitte ohne Laktose, klimaneutral und am besten mit dem Lastenrad transportiert. Daß heute fünf Gäste am Tisch im Restaurant dasselbe Gericht bestellen, dürfte Geschichte sein: Der eine ist Vegetarier, der andere Frutarier, der nächste Pescetarier und die beiden übrigen Allergiker oder intolerant – aber auf keinen Fall politisch.

Frutarier essen übrigens nur Lebensmittel, bei deren Gewinnung die tragende Pflanze nicht beschädigt wird, also im Grunde nur Fallobst. Pescetarier hingegen lehnen Fleisch ab, gönnen sich aber hin und wieder einen Fisch. Das machte übrigens auch schon ein gewisser Österreicher ohne Führerschein so. Er sagte 1942 während seiner nächtlichen Teestunden: „Die einzige Ausnahme von meinem Vegetariertum ist Fisch. Fische zu essen ist, glaube ich, eine etwas kleinere Sünde als sonstige Leichen.“ Leider beziehungsweise vielleicht besser zum Glück ist ein Ernährungstrend ganz in Vergessenheit geraten: der „Kokovorismus“. Sein Begründer August Engelhardt („Der erste Hippie“) propagierte um 1905 den ausschließlichen Verzehr von Kokosnüssen.

Die anstehende Spargelzeit bietet Chance und Fettnäpfchen zugleich

Dann tummeln sich noch die Ovo-Lacto-Vegetarier, die auch Eier und Milchprodukte zu sich nehmen. Freeganer essen nur nicht bezahlte Produkte, beispielsweise aus dem Müllcontainer. Die Rohköstler verzehren nichts, was über 40 Grad erhitzt wurde und die Makrobiotiker verspeisen hauptsächlich Getreide, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen.

Wer auch bei Tisch das wonnige Gefühl moralischen Adels genießen möchte, is(s)t heute vegan. Aber auch das kann anstrengend sein: Die miserable Ökobilanz von Soja und Avocado verdirbt den Appetit; und Studien aus den USA und Indonesien, nach denen Tofu angeblich die Hirnleistung mindert, erschrecken den Food-Hipster beim Verzehr seines veganen Schnitzel-Ersatzes.

Der nächste Trend: Krabbeltiere. Insekten sollen das Superfood der Zukunft sein. Doch zunächst gibt es noch viel Kritik. Erstens gibt es keine klaren Regelungen zum Einsatz von Antibiotika und Fungiziden sowie zur Tötung der Krabbler. Zweitens sind Allergierisiken unerforscht, zum Beispiel bei Menschen mit Milbenallergie. Drittens wird der Darm der Tiere vor dem Essen nicht entfernt, und es ist unklar, ob die im Kot enthaltenen Mikroben Krankheitserreger enthalten. Viertens birgt die „Massentierhaltung“ von Insekten das Risiko von Seuchen, die als Zoonosen auch Menschen bedrohen können. Selbst die misanthropischen Tierrechtler von PETA sind aber gegen das Verspeisen von Würmern und Co., weil auch diese Schmerzempfinden und Gefühle besäßen. Anthroposophen lehnen den Verzehr von Ungeziefer dagegen aus ganzheitlichen Gründen ab.

Der ganze Zirkus soll vor allem dem Klima helfen. Verzicht auf Fleisch rettet also den Planeten. Früher hieß es: Wenn du deinen Teller leer ißt, gibt es schönes Wetter. Heute: Wer eine Wurst grillt, bringt Eisbären um! Zu glauben, man könne mit Ersatzfleisch und Kakerlakenfraß dem Erdklima einen Erwärmungsstopp bei exakt 1,5 Grad verordnen, ist bestenfalls Voodoo.

Aktueller Trend: Flexitarier. Das sind sozusagen Nahrungsgeneralisten, aber mit Augenmaß. Motto: Vor allem grünes Gemüse, nur hin und wieder Fleisch, dafür hochwertiges. Aber wie viele angeblich ganz heiße News ist auch dies nur ein aufgewärmter Eintopf aus Omas Küche. Oma kochte nämlich auch damals schon flexitarisch, „regional und saisonal“, und der sprichwörtliche Sonntagsbraten war Highlight und Ausnahme.

Apropos saisonal: Jetzt beginnt die Spargelzeit! Das Edelgemüse ist vermutlich wegen Klimadingens auch schon längst auf der langen Liste der zu verbietenden Genüsse gelandet – oder wegen weißem phallusähnlichem Sexismus-Rassismus. Also genießen Sie die hellen Stangen, solange sie noch nicht durch Käferpulver oder Sojapamps ersetzt werden. 

Sagen Sie bei kritischen Blicken einfach mit überzeugter Haltung: „Ich bin Asparagutarier!“ Zumindest bis Ende Juni.