© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/24 / 19. April 2024

Frisch gepresst

Kant. In der Philosophie bleibt man immer ein Anfänger. Egal, wie oft man schon Artikel oder Bücher über den Dualismus von Leib und Seele, das Problem der Außenwelt oder die Willensfreiheit gelesen hat – die zugrundeliegenden Fragen bleiben bestehen. Deshalb lohnt es sich manchmal, selbst altbekannte Autoren so zu lesen, als hätte man noch nie ein Buch von ihnen in der Hand gehalten. In ihrer Einführung zu Kant gibt die Philosophin Claudia Blöser von der Universität Köln eine ebensolche Hilfestellung. „Kant ist ein durch und durch systematischer Denker“, stellt Blöser gleich zu Beginn ihres Reclam-Heftes fest. Das ermögliche die Entdeckung verblüffender Zusammenhänge. „Wer hätte gedacht, daß ein und dieselbe philosophische Methode sowohl ein neues Verständnis von Raum und Zeit als auch die Begründung des Moralgesetzes erlaubt?“ Die Autorin mehrerer Arbeiten über den Königsberger Denker – zum Beispiel der Dissertationsschrift „Zurechnung bei Kant“ aus dem Jahr 2012 – stellt diese Zusammenhänge in schnörkellos flüssiger Schreibe dar, was auch langjährigen Lesern der drei Kritiken noch neue Erkenntnisse beschert. Etwa die, daß das Schöne für Kant „eine sinnliche Darstellung der Vernunftidee der Freiheit“ sei. Ein Gedanke, den Schiller später in seiner Brieffolge „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ aufnehmen wird. Wie!? Das hätte man schon nach dem ersten Lesen der Kritik der Urteilskraft wissen können? Ja, hätte man. Aber in der Philosophie bleibt man eben immer ein Anfänger. (fw)

Claudia Blöser: Immanuel Kant.  Reclam Verlag, Leipzig 2024, broschiert, 100 Seiten, Abbildungen, 12 Euro



Ringelnatz. Wie schreibt man die Biographie eines Menschen, der in der öffentlichen Wahrnehmung beinahe identisch ist mit den unzähligen Kunstfiguren, unter deren Namen er auftrat? Joachim Ringelnatz, auch bekannt als Kuttel Daddeldu, oder unter seinem bürgerlichen Namen Hans Bötticher, war ein Kabarettist aus den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Schräg, surreal, irgendwo zwischen avantgardistischem Theater und beißendem Kommentar. Der Journalist und Kabarettist Ulf Annel präsentiert daher eine etwas ungewöhnliche Biographie des bereits seit 1934 verstorbenen Berufskollegen. In kurzen, meist nur wenige Sätze langen Skizzen zeichnet er den Lebensweg von Ringelnatz nach und rückt den Fokus auf absurde kleine Details sowie auf seine völlig bedeutungslosen Wortneuschöpfungen, die er für seine Angebeteten erfand. Und wo sich keine finden lassen, erfindet er welche dazu. Eine Mischung aus „biographischen Fakten und Ringelnatzschen Phantastereien“ nennt es der Verlag. (lb)

Ulf Annel: Joachim Ringelnatz. Ein Lebensbild in Anekdoten. Eulenspiegel-Verlagsgruppe, Berlin 2024, gebunden, 128 Seiten, 15 Euro