© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/24 / 19. April 2024

Leben relativieren
Kommissionsbericht: Die handverlesenen Experten raten der Ampel-Koalition, daß Abtreibungen künftig erlaubt sein sollen
Sandro Serafin

Haben auch ungeborene Menschen Menschenwürde? „Fraglich“, sagt die „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ und kommt zu dem Schluß: „Dem Lebensrecht des Embryos/Fetus kommt geringeres Gewicht zu als dem Lebensrecht des Menschen nach Geburt.“ Der Satz findet sich im Abschlußbericht, den die Kommission am Montag vorgestellt hat. Ein Jahr zuvor war sie von der Ampel-Regierung eingesetzt worden. Sie hatte einen Auftrag mit klarer Stoßrichtung erhalten: zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie die Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches getroffen werden kann. 

Das Ergebnis nun: Abtreibungen könnten nicht nur, sie „sollten“ sogar entkriminalisiert werden. Konkret schlägt die Kommission einstimmig die Einführung eines Drei-Phasen-Modells vor. Für die erste Schwangerschaftsphase, praktisch etwa bis zur 12. Woche, sollen Abtreibungen grundsätzlich rechtmäßig gestellt werden. Für eine zweite Phase, etwa bis zur 22. Schwangerschaftswoche, habe der Gesetzgeber Gestaltungsspielraum; auch hier könnte er Abtreibungen demnach erlauben. Nur in der „Spätphase“ sollten Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten bleiben. Aber auch dann müßten sie „nicht zwingend strafbar sein“, wie Kommissionsmitglied Liane Wörner, Professorin für Medizinstrafrecht in Konstanz, bei der Vorstellung des Berichts ausführte.

„Grüne säen Zwietracht in der Gesellschaft“

In dem mehrere hundert Seiten umfassenden Dokument machen die Gutachterinnen – allesamt Frauen – Ausführungen zu medizinischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekten. Die rechtliche Einschätzung läuft dabei auf eine grundgesetzlich sogar zwingende Liberalisierung von Abtreibungen hinaus: In der Frühphase der Schwangerschaft hätten die Belange des Embryos „grundsätzlich Nachrang gegenüber den Grundrechten der Schwangeren“. Ein Ergebnis, das der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diametral widerspricht. Das höchtse deutsche Gericht hatte 1993 in einer Grundsatzentscheidung herausgearbeitet: Menschenwürde komme „schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu“. Schutz gebühre ihm „auch gegenüber seiner Mutter“. Und dieser Schutz sei „nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet und ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen“.

In der Folge gelten Schwangerschaftsabbrüche im Grundsatz als rechtswidrig, werden aber in den ersten zwölf Wochen straffrei gestellt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, insbesondere ein Beratungsgespräch stattgefunden hat. Daher gibt es kaum Verurteilungen von Frauen, die abgetrieben haben. Das Urteil war seinerzeit ergangen, nachdem der Bundestag nach der Wiedervereinigung versucht hatte, Impulse des liberalen Abtreibungsrechts der DDR aufzunehmen und Abtreibungen für die ersten drei Monate der Schwangerschaft zu legalisieren. Einer solchen Fristenlösung machte Karlsruhe schon zum zweiten Mal einen Strich durch die Rechnung, nachdem es bereits 1975 eine Regelung der sozialliberalen Koalition gekippt hatte. Die Potsdamer Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf, wischte diese Tatsache nun vom Tisch: Die Konsistenz der beiden Entscheidungen sei „überschaubar“, so das Kommissionsmitglied: „Die würden so heute nicht mehr getroffen werden.“

In ihrem Bericht geben die beauftragten Wissenschaftler der Ampel-Regierung weitere Argumente für eine Legalisierung an die Hand: So ließen sich international „ganz überwiegend deutliche Liberalisierungen bis hin zur vollständigen Entkriminalisierung“ beobachten. Zudem verweist die Kommission auf völker- und europarechtliche Entwicklungen, die in diese Richtung zielten.

Ob eine Legalisierung der Abtreibung von Beratungsgesprächen begleitet werden soll, läßt das Gremium offen: Das sei zwar verfassungsrechtlich vorstellbar, jedoch nicht zwingend geboten. Der Bericht betont, daß auch die derzeitige Regelung, wonach die Beratung die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft „ermutigen“ muß, „mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau“ nicht vereinbar sei. Dafür machen die Gutachter klar, daß Abtreibungen mit der Legalisierung auch zur Kassenleistung werden würden. 

Nur an einem Punkt fordert das Gremium mehr Lebensschutz: Im Bereich fahrlässiger Eingriffe zu Lasten des Embryos soll eine Strafbarkeitslücke geschlossen werden. Die Forderung nach besserer finanzieller Unterstützung etwa für Alleinerziehende, „um die Entscheidung für Kinder positiv zu beeinflussen“, geht in der Gesamtheit des Berichts völlig unter.

Neben Schwangerschaftsabbrüchen beschäftigte sich die Kommission auch mit der Frage, ob Eizellspenden und die „altruistische“, also vorgeblich selbstlose Leihmutterschaft legalisiert werden könnten. In beiden Fällen führt das Gremium aus, daß das Verbot nach wie vor begründet werden könne, aber nicht zwingend geboten sei. Insbesondere hinsichtlich der Eizellspenden lassen die Gutachter durchblicken, daß sie ein zentrales Argument dagegen für nicht haltbar halten: Die Sorge, eine „gespaltene Mutterschaft“ könne negative Auswirkungen auf das Kind haben, bezeichnen sie als „überholt“. Bei einer Eizellspende stellt eine Frau einer anderen Frau eine Eizelle zur Verfügung, mit der diese dann ein Kind austrägt.

Schon vor seiner Veröffentlichung löste der Kommissionsbericht polarisierte Reaktionen aus. Der Verband Pro Familia forderte die Bundesregierung auf, die Legalisierung von Abtreibungen schnellstmöglich umzusetzen. Der Bundesverband Lebensrecht, der im Verfahren eine Stellungnahme bei der Kommission einreichen durfte, kritisierte hingegen, daß die Menschenwürde laut Bericht „stufenweise“ und „abhängig von willkürlich gesetzten Bedingungen“ gewährt werde. Gespalten zeigten sich die Kirchen: Die katholische Bischofskonferenz sieht in den Ergebnissen eine „Relativierung der fundamentalen Würde jedes Menschen“. Die Spitze der Evangelischen Kirche hingegen hatte sich im Verfahren offen für eine Neuregelung gezeigt. 

Scharfe Kritik kommt aus Union und AfD, die die Kommission für einseitig besetzt halten. Deren Mitglieder hätten nun „einfach das geliefert, was die Ampel auch bestellt hat“, bemerkte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär. Mit Blick auf die bisherige Regelung meinte die Politikerin: „Ohne Not jetzt so einen befriedeten Kompromiß aufkündigen zu wollen, zeigt eigentlich nur, daß es den Grünen in der Hauptsache gar nicht um eine größere Selbstbestimmung geht, sondern darum, Zwietracht in der Gesellschaft zu säen.“ 

„Stellenwert menschlichen Lebens wird herabgesetzt“

Auch die familienpolitische Obfrau der AfD-Bundestagsfraktion, Mariana Harder-Kühnel, sieht in der Kommission ein Instrument zur Durchsetzung der Grünen-Agenda: „Bundesfamilienministerin Lisa Paus hatte bereits vor der Konstituierung dieser Kommission klargestellt, daß ihr politisches Ziel in der generellen Straffreiheit für abtreibende Schwangere liegt“, moniert die Abgeordnete. Von Anfang an sei es der Ampel-Regierung „zu keiner Zeit um ein ergebnisoffenes ‘Ob’, sondern nur um das ‘Wie’ einer Absenkung der rechtlichen Hürden für Schwangerschaftsabbrüche gegangen“. Die Empfehlungen der Kommission seien offenbar „der erste Schritt eines langfristigen Vorhabens, Abtreibungen als ein natürliches ‘Menschenrecht’ zu etablieren“. Harder-Kühnel befürchtet, „daß der Stellenwert von menschlichem Leben im gesellschaftlichen Bewußtsein allgemein herabgesetzt wird“.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei, drohte bereits mit einer Normenkontrollklage, sollten Abtreibungen legalisiert werden. Und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz warnte vor einem „gesellschaftlichen Großkonflikt“. Den fürchten offenbar auch Teile der Regierung: Während aus der SPD- und der Grünen-Fraktion bereits Zustimmung zum Bericht laut wird, ließ Kanzler Olaf Scholz verlauten, er wolle „eine Polarisierung“ vermeiden. Und Justizminister Marco Buschmann erklärte, man müsse das Gutachten „nun erst einmal auswerten“.

Fotos: Die Gutachterinnen (links und rechts außen) übergeben ihren Abschlußbericht an die drei Minister für Gesundheit, für Justiz und für Familie: Urteile aus Karlsruhe seien „überholt“, Linksradikale demonstrieren gegen Lebensschützer: Geliefert wie bestellt