© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024

Rad nehmen oder zu Fuß gehen
Mit 103 Maßnahmen will das Bundesland Brandenburg seine „Klimaneutralität bis spätestens 2045“ erreichen
Christian Schreiber

Vieles, was radikale Klimasekten formulieren, findet sich – in abgeschwächter Form – längst in offiziellen Dossiers wieder. So ist der „Klimaplan Brandenburg die erste klimapolitische Gesamtstrategie“ der rot-schwarz-grünen Landesregierung „mit dem Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2045“. Das 103 Maßnahmen umfassende Programm „untersetzt in allen relevanten Handlungsfeldern“ die „vor anderthalb Jahren beschlossenen Treibhausgas-Minderungsziele“, verkündeten Ministerpräsident Dietmar Woidke und Axel Vogel, grüner Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz.

Bis 2030 sollen die Emissionen um 74 Prozent, bis 2040 um 96 Prozent und bis 2045 sogar um 99 Prozent sinken – sprich: Dann dürfen Gebäude, Kraftwerke, Verkehr und Abfallwirtschaft kein CO₂ und sonstige „Klimagase“ mehr verursachen – das kleine Restbudget teilen sich Landwirtschaft und Industrie. Beim Lesen der 110 Seiten kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus: „Im Fokus der Mobilitätswende stehen die Verkehrsverlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsarten sowie die Verkehrsvermeidung.“ Das heißt: Die Bürger sollen in dem dünn besiedelten Flächenland in der Regel den ÖPNV nutzen, das Rad nehmen, zu Fuß gehen oder am besten gleich zu Hause bleiben.

Planmäßige Abschaltung der beiden Kohlekraftwerksblöcke

Denn der „emissionsärmste Verkehr ist jener, der gar nicht erst stattfindet“. Dabei wurde noch vor gut zwei Jahren von der Landesregierung die Ansiedlung eines Autowerkes gefeiert: „Tesla ist das herausragende Beispiel für Brandenburgs neue Wirtschaftsdynamik“, sagte Woidke damals und fügte hinzu: „Gemeinsam bauen wir an einer neuen Wertschöpfungskette für E-Mobilität, für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Klimaneutralität. Der Grundstoff dafür sind die Erneuerbaren Energien. Wir müssen und werden sie noch deutlich schneller ausbauen – auch, um unabhängiger von Gas- und Erdöl-Importen zu werden.“

Der Klimaplan ist auch der allererste – die anderen 15 Landesregierungen haben das noch nicht gewagt –, und er ist ehrgeizig: 1990 betrug der „menschengemachte“ CO₂-Ausstoß Brandenburgs noch 125 Millionen Tonnen. Durch Deindustrialisierung, Kraftwerksstillegungen und technische Innovationen wie die Umstellung von Kohle auf Erdgas wurde dieser Ausstoß bis 2020 um mehr als die Hälfte auf etwa 54 Millionen Tonnen CO₂ reduziert. Bis 2040 sollen es nur noch fünf Millionen Tonnen CO₂ sein. Den größten Beitrag zur CO₂-Minderung bis 2030 werde dabei die Abschaltung des 3.000-Megawatt-Braunkohlekraftwerks Jänschwalde (entspricht zwei AKWs) leisten. Mit der planmäßigen Abschaltung der beiden Kraftwerksblöcke in Schwarze Pumpe bis 2038 werde eine weitere Minderung um bis zu zehn Millionen Tonnen CO₂ wirksam, heißt es im Klimaplan.

Woher der Strom dann bei Dunkelflauten kommen soll, wird nicht verraten. Dabei benötigen nicht nur Wärmepumpen, E-Autos und die verbliebene Restindustrie zusätzliche Stromressourcen. Vielleicht wird sich auf Atomstrom aus Osteuropa verlassen? Und die Teslas sind dann wohl nur noch für den Export, denn: Die Bürger sollen auf den Umweltverbund „umsteigen“, sprich das Auto stehen lassen. Und das sieht schon die „Mobilitätsstrategie 2030“ vor. Ein Dilemma verursacht der Hauptstadtflughafen BER, der zu je 37 Prozent Brandenburg und Berlin sowie zu 26 Prozent dem Bund gehört: Sollen die Milliardenkredite bedient werden, müssen Passagierzahlen und Flugbewegungen massiv steigen – das erhöht den CO₂-Ausstoß Brandenburgs. Und die „CO₂-Neutralität des Luftverkehrs“ ist nur eine Illusion.

Dem Brandenburger „Klimabündnis“ (BUND, Fridays for Future, Extinction Rebellion, Nabu, Scientists4Future & Co.) ist nicht nur das ein Dorn im Auge, ihm fehlt der sogenannte Klima-Check. Dieser sah eigentlich vor, daß jedes neu geplante Gesetz in Brandenburg auf seine „Klimafolgen“ geprüft werden müsse. Auf Druck der CDU sollen aber nur „klimarelevante“ Gesetze geprüft werden. Und eine Terminierung gibt es auch nicht, was die Klimaaktivisten fürchten läßt, eine Nachfolgeregierung ohne Grüne könne sich nicht mehr an den Klimaplan gebunden fühlen.

Wirtschaftsvertreter beklagen hingegen, der Klimaplan könne ein weiteres bürokratisches Monster schaffen. So wird die Einrichtung eines Klimaforums angekündigt, „in dem sich alle relevanten Akteure in die Umsetzung und Weiterentwicklung des brandenburgischen Klimaplans einbringen können“. Das könnte ein Einfallstor für die Klage- und Verzögerungstaktik von BUND, Deutscher Umwelthilfe (DUH) & Co. werden.

Eine „Ernährungsstrategie für Heranwachsende und für Senioren“

Auch grüne Ideologen können auf weitere finanzielle Zuwendungen hoffen. So sollen „außerschulische“ Strukturen gestärkt werden, die sich mit der „non-formalen Klimabildung“ auseinandersetzen. „Drei regionale Servicestellen sollen die zentrale Servicestelle mit ihrer Vor-Ort-Kenntnis der Akteurinnen- und Akteurslandschaft, der von den Regionen gewünschten Themenschwerpunkte, der Beratung und Vernetzung unterstützen.“ Der Klimaplan kümmert sich auch um die Heranziehung künftiger Veganer. Denn das Land will die Schulen bei der Umsetzung „eines gesundheitsfördernden und nachhaltigen Ernährungskonzeptes“ unterstützen und hat hierfür im Landesprogramm „Gute gesunde Schule“ vielfältige Beratungs- und Fortbildungsangebote durch „Kooperationspartnerinnen“ bereitgestellt.

„Des weiteren fördert das Land die Vernetzungsstellen für Kita- und Schulverpflegung und für Seniorenernährung Brandenburg als zentrale Akteure bei der Umsetzung der Ernährungsstrategie im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung für Heranwachsende und für Senioren“, heißt es. Das klingt fast so drohend wie die Erkenntnis, daß auf 110 Seiten des Klimaplans fast kein Bereich des menschlichen Lebens von „Klima-Ideen“ ausgespart wird. Zündstoff ist damit programmiert.

„Klimaplan Brandenburg“: mluk.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/Klimaplan-Brandenburg.pdf


 Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG 2019/2021)

  Unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel wurde aus dem Natur- und Umweltschutz der alles dominierende Klimaschutz. So entstand aus den „Meseberger Beschlüssen“ von 2007 das integrierte Energie- und Klimaprogramm (IEKP), das CO₂-Pläne für Autos, Gebäude und Kraftwerke vorsah. Unter Schwarz-Gelb wurde 2010 beschlossen, „die Treibhausgasemissionen bis 2050 im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent zu vermindern“. 2011 begann dennoch der beschleunigte Atomausstieg. Der „Klimaschutzplan 2050“ konkretisierte den Klimabeschluß von 2010 in den Bereichen Energie, Gebäude, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft sowie Landnutzung und Forstwirtschaft. Dem 2019 beschlossenen Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) folgten 2020 das Kohleausstiegsgesetz und das Gebäudeenergiegesetz (GEG). Nach dem Klimabeschluß des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 96/20), das ein „CO₂-Budget“ erfand, wurde 2021 das KSG verschärft: Die „Klimaneutralität“ muß bereits 2045 erreicht werden. Die KSG-Novelle der Ampel hängt seit 2023 im Bundestag fest. (fis)

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