© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024

Die Erhardsche Marktwirtschaft war sein Leben
Nachruf: Der Ökonom Herbert B. Schmidt war ein deutscher Patriot, ein eigenständiger Denker und ein entschlußfreudiger Manager
Joachim Starbatty

Der Nobelpreisträger Milton Friedman nannte Ludwig Erhard einen dreifachen Glücksfall: Er habe sich getraut, im Nachkriegsdeutschland das Rationierungssystem durch Marktwirtschaft zu ersetzen, er habe so die Versorgungslage sprunghaft verbessert und gezeigt, daß man mit einem marktwirtschaftlichen Programm auch Wahlen gewinnen könne. Das zeichnete den ersten Bundeswirtschaftsminister aus: Die Menschen spürten, daß Erhard für seine Überzeugung lebte. Vielleicht noch wichtiger war, daß er zuvor seine Kollegen aus Politik und Wirtschaft überzeugen mußte. Der Ökonom Herbert B. Schmidt stand Erhard bei dessen Politik stets zur Seite.

Hierzu hatte sich in der CDU eine Riege von Mitkämpfern gebildet, die für ihn in der CDU den Weg für marktwirtschaftliche Politik freiräumten. Als die westliche Welt in den fünfziger Jahren über Planification, Verstaatlichung und Dirigismus nachdachte – in Frankreich, Großbritannien und in den USA – und an entsprechenden Konzepten arbeitete, stellte Erhard die Privatisierung in den Mittelpunkt seiner Politik. Um dieses Konzept zu realisieren, brachte er im Jahre 1963 den Wirtschaftsrat der CDU mit auf den Weg. Als dessen Hauptgeschäftsführer hat der 1931 in Ostpreußen geborene Herbert B. Schmidt für Erhards Politik gekämpft.

Er hat Kongresse organisiert, auf denen die Vordenker der europäischen Integration wie Jean Monnet über den zukünftigen Kurs der Europäischen Gemeinschaft diskutierten und renommierte Ökonomen wie Harry Gordon Johnson, Fritz Machlup, Herbert Giersch und Erich W. Streissler Vorschläge für die Liberalisierung der Weltwirtschaft erarbeiteten. Auf parlamentarischer Ebene konnte Schmidt auf die marktwirtschaftliche Lobbyarbeit des Diskussionskreises Mittelstand und der Mittelstandsvereinigung zählen. Es waren Männer aus der zweiten Reihe, die Ludwig Erhard den Rücken für seine markwirtschaftliche Politik freihielten.

Ein neues Kapitel im Leben von Herbert B. Schmidt begann mit der Wiedervereinigung Deutschlands. Schmidt war ungefragt und ungebeten Ende 1989 in die noch existierende DDR gegangen – nicht als Wessi, sondern als Patriot. Er hat angepackt und mitgerissen, als andere noch unschlüssig waren, was zu tun sei. Er hatte nur eines im Sinn: Die Wiedervereinigung mußte ein marktwirtschaftlicher Erfolg werden. Was Schmidt bei seinen unterschiedlichen Herausforderungen und Tätigkeiten für die Deutsche Treuhand erfolgreich begonnen, aber nur teilweise umsetzen konnte, hat er in Estland zu einem erfolgreichen Ende geführt.

Alles, was er auf unterschiedlichen Stationen erlebt und ausprobiert hatte, fügte er zu einem stimmigen Konzept zusammen. Dabei kam ihm auch sein Naturell zugute: Hierarchische Stufen kümmerten ihn nicht oder er übersprang sie einfach. Er war überall da, wo er gebraucht wurde. Sein Wirken hat Nationen, die von der Sowjetunion unter Kuratel gehalten worden waren, bei ihrem Transformationsprozeß langwierige und kräftezehrende Umwege erspart. Er hat so das Fundament für den Aufstieg Estlands gelegt.

Dabei mußte er sich gegen das Voucher-Privatisierungskonzept durchsetzen, das von den USA und den internationalen Organisationen favorisiert wurde. Für Schmidt war das der falsche Weg. Wenn Anteile an Staatsbetrieben auf die Belegschaften ausgeschüttet würden, würde das eigentliche Ziel verfehlt: Den Betrieben fehle es an Startkapital, Management-Know-how und Einbindung in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung. Daher entwickelte Schmidt das Konzept, über rasche Veräußerung der Betriebe an ausländische Investoren diese Voraussetzungen zu importieren. Schmidt sagt über sein Konzept, daß nur so die Integration nicht wettbewerbsfähiger Volkswirtschaften in die internationale Arbeitsteilung gelingen konnte.

Ohne den Zigarren rauchenden Herbert B. Schmidt – sein Markenzeichen wie bei Ludwig Erhard – hätte das Wirtschaftswunder des baltischen Tigers noch lange auf sich warten lassen. Herbert B. Schmidt war ein Mann, der zur rechten Zeit, am rechten Ort, das Rechte getan hat. Und so ließ er im Mai 2023 auch die vom ihm gestiftete Büste Erhards aus dem Foyer des Bundeswirtschaftsministeriums entfernen – aus Protest gegen Robert Habecks unsägliche Politik. Herbert B. Schmidt ist am 7. März 2024 mit fast 93 Jahren verstorben.



Prof. Dr. Joachim Starbatty war bis 2014 Chef der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft.Die Trauerfeier für Herbert B. Schmidt findet am 11. April um 13 Uhr in der Kapelle des Stadtfriedhofs Engesohde in Hannover statt.