© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024

Wer hat es verraten?
Taurus-Sitzung: Ein Bundestags-Briefwechsel zu einem Geheimnisverrat wird prompt öffentlich
Christian Vollradt

Wie schlecht die Stimmungslage in der Ampelkoalition ist, verdeutlichte vergangene Woche ein Schriftwechsel zwischen zwei Politikerinnen. Formaler Anlaß war ein Bericht des Nachrichtenportals „t-online“, der mit umfangreichen und eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen aus einer Sitzung des Verteidigungsausschusses aufwarten konnte. So ging es etwa darum, daß der Einsatz des Taurus-Marschflugkörpers komplizierter ist, als von vielen angenommen wurde, weil unter anderem enorme Mengen an Daten nötig seien, um die Waffe sinnvoll einzusetzen. In diesem Zusammenhang habe Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer den Abgeordneten dargelegt, daß die technischen Anlagen zur hochkomplexen Verarbeitung dieser Daten nur begrenzt zur Verfügung stünden. Würden sie bei einer Taurus-Lieferung ebenfalls an die Ukraine mitgegeben, stünden sie der Bundeswehr nicht mehr zur Verfügung. Dadurch drohe eine Fähigkeitslücke, die die „Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte“ empfindlich beeinträchtigen würde.

Dutzende Fälle von Geheimnisverrat in wenigen Jahren

Diese Informationen hatten das Zeug, die Gewichte in der Debatte um das Für und Wider von Taurus-Lieferungen in die Ukraine zu verschieben: und zwar in Richtung der Gegner. Doch für heißen Diskussionsstoff sorgte außer diesen Details auch die Tatsache an sich, daß die Informationen aus einer als geheim eingestuften Sitzung an die Öffentlichkeit gelangt sind. Deswegen kündigte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), rechtliche Schritte an – und teilte dies Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) mit. 

Die Bundestagspräsidentin schrieb dann in ihrer Antwort, sie entnehme „mit Erstaunen, daß insgesamt 105 Personen an der Sondersitzung des Verteidigungsausschusses teilgenommen haben“. Diese hohe Zahl von Beteiligten „halte ich mit dem Grundsatz, den Kreis möglicher Geheimnis- und Wissensträger bei eingestuften Sitzungen möglichst klein zu halten, für schwer vereinbar“. Der Eindruck von Vertraulichkeit könne so nur schwer entstehen. Abschließend appellierte sie an die Verantwortung der Abgeordneten im Umgang mit sensiblen Informationen. Diesen Brief nahm Strack-Zimmermann laut ihrer noch am selben Tag verfaßten Antwort „mit Irritation zu Kenntnis“. Im Erstaunen der Bundestagspräsidentin vermutete die Ausschußvorsitzende wohl nicht zu Unrecht eine „deutliche Kritik an der Ausübung meines Amtes“. Diese empfinde sie als unpassend und wies darauf hin, „daß der an den Ausschußsitzungen teilnehmende Personenkreis nicht in meinem Belieben steht“. 

Bereits mehrfach hatte Strack-Zimmermann als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses die Bundestagspräsidentin um eine Ermächtigung zur Strafverfolgung ersucht, die notwendig ist, um strafrechtlich gegen diejenigen vorzugehen, die Dienstgeheimnisse verraten haben. Tatsächlich haben sich die Vorfälle in den vergangenen zwei Jahren gehäuft. So berichtete der Spiegel Anfang April 2022 Details aus einer Unterrichtung des Bundesnachrichtendienstes. Die Geheimdienstler hatten den Sitzungsteilnehmern ihre Erkenntnisse über das Massaker von Butscha in der Ukraine mitgeteilt. Im selben Portal erschien drei Wochen später ein Bericht, welches „sensitive militärische Material“ an die Ukraine abgegeben wurde, wobei auch konkrete Stückzahlen genannt wurden. Die Informationen wurden offensichtlich aus der Geheimschutzstelle des Bundestags bezogen, wo sie hinterlegt waren. Ähnliche sensible Inhalte enthielt ein Anfang Juni 2022 erschienener Artikel im Spiegel. In einem kurzen Filmbeitrag des „Heute Journal“ war für einige Sekunden das als „Verschlußsache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Protokoll der Sitzung des Verteidigungsausschusses vom 13. Mai gezeigt worden.

Die AfD hat wegen auffälliger Häufung solcher sicherheitsrelevanten Vorkommnisse in der vergangenen Woche das Thema auf die Tagesordnung setzen lassen. Denn der Verrat von Dienstgeheimnissen ist kein Kavaliersdelikt, schon gar nicht in Krisenzeiten. Ungeachtet der brieflichen Zänkereien zwischen Bas und Strack-Zimmermann gab die Bundestagspräsidentin grünes Licht für die von der Ausschußvorsitzenden gewünschten juristischen Maßnahmen gegen die für das erneute Leck Verantwortlichen. Das werde kurzfristig im üblichen Verfahren geschehen. Und ergänzend informierte man, wie oft dies in jüngster Zeit geschehen sei: „Seit Beginn der Legislaturperiode seien bereits 37 Verdachtsfälle eines Geheimnisverrats an die Generalstaatsanwaltschaft gemeldet worden“. Und wie weit ist man mit der Aufklärung zu den bisherigen Fällen im Verteidigungsausschuß gekommen? 

Dazu konnte die Vorsitzende Strack-Zimmermann, die nach außen so engagiert nach der Staatsanwaltschaft gerufen hat, nicht viel mitteilen. Außer daß man den Ermittlungsstand gerade abfragen lasse.