© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/24 / 23. Februar 2024

Vor 600 Jahren: Materielle Not trieb nicht zum Bauernkrieg
Das große Fressen
(ob)

Entstand der Bauernkrieg von 1524/25 aus einer Hungerrevolte? Eine Frage, die Thomas Kaufmann, ein auf die lutherische Reformation spezialisierter Göttinger Kirchenhistoriker, mit einem klaren Nein beantwortet (Zeitschrift für Ideengeschichte, 1/2024). Wäre es anders, hätten sich weder linke Klassiker der Bauernkriegsgeschichte wie Wilhelm Zimmermann (1841/43) und Friedrich Engels (1850) noch die Phalanx westdeutscher Sozialhistoriker unter der Führung Hans-Ulrich Wehlers entgehen lassen, das Drama der vom Hunger zum Krieg gegen Adel und Klerus getriebenen Bauern zu schreiben. Doch als treibende Kraft des Aufstandsgeschehens werde elementare materielle Not kaum sichtbar. So bleibe der Hunger in der zeitgenössischen Pamphlet-Literatur und im Spiegel der Sprichwörter quellenmäßig ungreifbar. Überhaupt scheinen Hungerrevolten von Bauern vor der Französischen Revolution „weitgehend unbekannt gewesen zu sein“. Stattdessen falle auf, wie etwa Nürnberger Druckgraphik, allen voran von Albrecht Dürer, bäuerliche Feste mit ihrer enthemmten Völlerei als „das große Fressen“ inszenierte. Ihre eigentliche Dynamik erhielten die bäuerlichen Unruhen also durch die religiöse, „wahrhaft revolutionäre Gleichheitsideologie reformatorischer Couleur“. 


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