© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/24 / 16. Februar 2024

Und dann wird weggeschaut
Kein Aufstand der Anständigen: Deutsche Universitäten kapitulieren vor linken Antisemiten
Fabian Schmidt-Ahmad

Heftige Ausschreitungen bei einer propalästinensischen Demonstration vergangenen Montag in Berlin-Neukölln. Am Samstag zuvor suchten propalästinensische Aktivisten gleich zweimal eine Veranstaltungsreihe im „Hamburger Bahnhof“ heim, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst, wo – ausgerechnet – das Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ von Hannah Arendt vorgetragen wurde. „Antifaschismus ist Antizionismus“ skandierten die Störer und brüllten die verschreckten Zuschauer nieder.

Seit Wochen und Monaten überrollt eine unheimliche Welle judenfeindlicher Übergriffe Deutschland. Der Angriff auf den Studenten Lahav Shapira, der mit Aktionen für die Hamas-Geiseln auf dem Campus der Freien Universität Berlin auffiel, bildet dabei nur den bisherigen Höhepunkt. Ein arabischer Kommilitone, der Shapira unterwegs wohl erkannte, zertrümmerte ihm mit Schlägen und Tritten mehrere Gesichtsknochen. Der übliche arabisch-jüdische Konflikt, den wir uns nun millionenfach importiert haben?

Ganz so einfach ist das nicht. Gewiß, die aggressiven Ausschreitungen auf der Straße sind vor allem Demonstrationen von Macht, die Einwanderer aus der muslimischen Welt ganz einfach durch ihre Masse inzwischen erlangt haben. Daneben ist aber auffällig, wie willfährig die akademisch-politisch-mediale Klasse den wütenden Mob flankiert. Die antisemitischen Invektiven auf der „Documenta 15“ vor zwei Jahren waren eben kein peinlicher Ausrutscher im Kulturbetrieb, sondern durchaus aus diesem Milieu erwachsen.

Die ganze Klaviatur der überkommenen Agitprop der 68er-Bewegung wird derzeit bespielt, um sich im Nahost-Konflikt zu positionieren. Im Dezember fanden in der Berliner Universität der Künste Performances der besonderen Art statt, als in der Mensa etwa hundert völlig in Schwarz gehüllte Personen mit blutroten Händen auf das Leid der Palästinenser aufmerksam machten. Etwas schlichter ging es auf einem Empfang der Hamburger Kunsthochschule am vergangenen Donnerstag zu.

Die Eröffnung der Jahresausstellung wurde kurzerhand von Aktivisten okkupiert, die die Gäste mit „Free Palestine“-Rufen und Flugblättern traktierten. Als ein Gast sich den Scherz erlaubte, seinerseits die Aktion zu torpedieren und mit Rufen „From the Hamas Murderers!“ konterkarierte, zeigten sich die Aktivisten humorlos. „Ich folge dir und töte dich“, zischte ihm ein Teilnehmer zu. Keine ganz leere Drohung, wie der Überfall auf Shapira zeigte. „Man erlebt ja im Augenblick Aggressivität in einer Form, an die ich mich in unserer Gesellschaft nicht erinnere“, zeigte sich der Mann im Hamburger Abendblatt geschockt.

Abgesehen davon bedient sich die heutige Studentengeneration durchaus Methoden, wie sie ihre Vorgänger einst entwickelt hatten, um beispielsweise den US-Imperialismus in Vietnam anzuprangern. Akteure und Aktionen sind also die gleichen geblieben, nur der Inhalt hat sich gewandelt. Wer gestern noch für Abtreibung, Transrechte und veganes Essen in der Mensa demonstrierte, skandiert heute „Palestine will be free“. Die ohnehin selbstwidersprüchliche linke Ideologie wird damit auf die Spitze getrieben. 

Denn jeder halbwegs Gebildete weiß, was Hamas und andere radikale islamische Organisationen – und keineswegs nur diese – von Abtreibung, Homosexuellen oder Maßnahmen für den Klimaschutz halten. Oder allgemein von linken Weltverbesserern. Die Revolution gegen den persischen Schah wurde schließlich zuerst auch im wesentlichen von Linken vorangetrieben, die zu spät realisierten, wen man sich da als Partner im Kampf gegen die Unterdrückung herangeholt hatte. Doch völlig losgelöst von diesen Tatsachen haben „woke Ikonen“ wie Judith Butler oder Greta Thunberg längst in diesem Konflikt einseitig Partei ergriffen. „Ebenso wie man sich gegen die hegemoniale Kontrolle des Judentums durch den Zionismus wehren muß, muß man sich auch gegen die koloniale Unterdrückung wehren, die der Zionismus dem palästinensischen Volk gebracht hat“, schrieb Butler schon vor über einem Jahrzehnt in ihrem Buch „Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus“.

Nach dem Terrorangriff der Hamas legte Butler in einem Artikel im Oktober nach: „Um es klarzustellen: Die israelische Gewalt gegen Palästinenser ist überwältigend – unerbittliche Bombenangriffe, die Tötung von Menschen jeden Alters in ihren Häusern und auf der Straße, Folter in Gefängnissen, Techniken des Aushungerns in Gaza und die Enteignung ihrer Heimstätten. Und diese Gewalt in ihren vielfältigen Formen richtet sich gegen ein Volk, das den Apartheidregeln, der Kolonialherrschaft und der Staatenlosigkeit unterliegt.“

Auch die internationale „Fridays for Future“-Bewegung hat derzeit die Sorge um den Klimawandel gegen die um die Palästinenser ausgetauscht. „Auf besetztem Land gibt es keine Klimagerechtigkeit“, behauptete Frontfrau Greta Thunberg auf einer Großdemonstration im November in Amsterdam. Erst vor wenigen Wochen nahm sie an einer Palästinenserdemonstration in Leipzig teil. Wer die deutschen Verhältnisse kennt, weiß, wer da noch so alles mitmarschierte.

Diese Beispiele, die sich noch in beliebiger Zahl anhäufen ließen, zeigen vor allem eins. Es geht nicht um ein Erkenntnisinteresse. Es geht nicht darum, zu einer differenzierten Position in dem vielschichtigen Nahost-Konflikt zu gelangen. Sondern es geht darum, eine Sichtweise mit den rabiaten Methoden der linken Hegemonie durchzusetzen, wie sie zuvor für Ideologie-Versatzstücke wie „Geschlechtergerechte Sprache“, „Kritische Weißseinstheorie“, „ökosoziale Wende“ oder ähnlichen akademischen Unsinn angewendet wurden.

Daher geht es auch nicht darum, menschliches Leid, wie es nun einmal tatsächlich tagtäglich in diesem Konflikt entsteht, zu mildern. Sondern es geht um die ideologische Aufrüstung in einem manichäischen Kampf, bei dem die eigene Seite vom Standpunkt absoluter moralischer Überlegenheit aus handelt. Wie selbstgewiß sich die linken Akteure ihres Standpunktes sind, erkennen wir daran, daß sie nicht im geringsten einsehen können und wollen, in welche Traditionslinie sie sich hier einreihen.

Wir erleben daher eine gesellschaftliche Situation, die schizophrener kaum sein kann. Auf der einen Seite haben wir Hunderttausende, die eine leicht zu durchschauende Propagandalüge zum Anlaß genommen haben, um mit „Nie wieder ist jetzt“ und „Kein Fußbreit dem Faschismus“ auf die Straße zu gehen. Es geht hier allerdings zugleich genau das Milieu auf die Straße, um sich seiner moralischen Luftüberlegenheit zu vergewissern, aus dem der neue Judenhaß erwächst.