© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/24 / 09. Februar 2024

„Relativ absurde Ergebnisse“
Förderpolitik: Der vor der Wahl versprochene soziale Wohnungsbau ist eine unbezahlbare Ampel-Utopie
Stefan Kofner

Der soziale Wohnungsbau war und ist der große politische Hoffnungsträger der Ampelkoalition. Im Koalitionsvertrag wurde der Bau von 100.000 geförderten Wohnungen jährlich als Ziel ausgegeben. In der rauhen Wirklichkeit stellten sich jedoch nur minimale Zuwächse ein: 2022 wurden bloß 22.545 Neubaumietwohnungen gefördert – nur gut 1.000 mehr als im Jahr davor. Der langjährige Abwärts­trend beim Gesamtbestand an Sozialwohnungen kann mit solchen mickrigen Zahlen nicht aufgehalten werden. Während man 1987 in der Bundesrepublik noch rund vier Millionen Sozialwohnungen zählte, sind es jetzt nur noch eine Million.

Zu erklären ist dieser Rückgang mit dem Auslaufen der Bindungen aus den starken Förderjahrgängen der Nachkriegsjahrzehnte. Um dem ständigen Rückgang entgegenzuwirken, hat der Bund seine Zuschüsse für den sozialen Wohnungsbau der Länder zwischen 2022 und 2024 auf 3,15 Milliarden Euro mehr als verdreifacht. Im Zeitraum 2022 bis 2027 will der Bund insgesamt 18,15 Milliarden Euro einsetzen, wobei die Länder einen Kofinanzierungsanteil von mindestens 30 Prozent – ab 2024 sind es 40 Prozent – leisten müssen.

Bundesweit sollen aktuell mehr als 910.000 Sozialwohnungen fehlen

Bund und Länder zusammen werden im Förderjahr 2024 etwa fünf Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau ausgeben. 2018 war es noch nicht einmal die Hälfte. Das reichte aber seinerzeit noch aus, um 27.040 neu gebaute Sozialmietwohnungen zu finanzieren. Für die angepeilte 100.000er-Marke müßte der Staat unter den heutigen Umfeldbedingungen wohl 20 statt fünf Milliarden Euro im Jahr aufwenden.

Aber wir müssen die drei Millionen Sozialwohnungen gar nicht ersetzen, denn sie haben sich nicht in Luft aufgelöst. Sie unterliegen bloß keinen Preis- und Belegungsbindungen mehr. Außerdem gehören viele der ehemaligen Sozialwohnungen kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen, und die „Kappungsgrenze“ im Mietrecht verhindert, daß die Mieten dieser Wohnungen allzu schnell ansteigen können.

Aber in Medien und Politik wird der Eindruck verbreitet, daß man eigentlich nie zu viel Steuergeld für Sozialwohnungen ausgeben kann. Mitte Januar hat das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ – bestehend aus Mieterbund, Caritas, der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, der Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau sowie dem Verband des Baustoff-Fachhandels – eine weitere von ihm beauftragte Studie des Pestel-Instituts präsentiert und damit ein großes Medienecho ausgelöst.

In der 35seitigen Untersuchung mit dem Titel „Bauen und Wohnen 2024 in Deutschland“ wird Bund und Ländern vorgeworfen, die Förderung von Sozialwohnungen massiv vernachlässigt zu haben. Dadurch sei ein „dramatischer Mangel an sozialem Wohnraum in Deutschland“ entstanden. Bundesweit sollen aktuell mehr als 910.000 Sozialwohnungen fehlen. Diese Bedarfsermittlung orientiert sich an dem rechnerischen Wohnungsdefizit, der Beschäftigungs- und Zuwanderungsentwicklung sowie an der Zahl der Mindestsicherungsempfänger.

Mit einer Verdoppelung des Bestandes an Sozialwohnungen glauben die Pestel-Forscher die hohen Ausgaben für Wohngeld und Kosten der Unterkunft beim Bürgergeld deutlich reduzieren zu können. Das soll durch ein 50 Milliarden Euro schweres Sondervermögen und eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent erreicht werden – beides exklusiv für den sozialen Wohnungsbau. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) widersprach heftig: Die Bedarfszahlen seien „ausgedacht“, die Studie liefere „relativ absurde Ergebnisse“ und sie sei „hochgradig unseriös“. Offenbar wurde bei ihr ein politischer Nerv getroffen.

Natürlich sind die steil steigenden Ausgaben für die Wohnbeihilfen nicht allein auf zu wenige Bewilligungen im sozialen Wohnungsbau zurückzuführen. Angesichts der zuwanderungsbedingt ständig ansteigenden Nachfrage nach Wohnraum sind in den letzten Jahren nicht nur zu wenige Sozialwohnungen gebaut worden, sondern auch zu wenige frei finanzierte Miet- und Eigentumswohnungen sowie Eigenheime. Man kann mit dem sozialen Wohnungsbau gezielt kinderreiche Familien versorgen, aber es ist eine teure Utopie zu glauben, man könne jeden wohnberechtigten Haushalt innerhalb weit gesteckter Einkommensgrenzen mit einer Sozialwohnung versorgen.

Wenn Wohnungen so knapp und teuer sind wie jetzt, kann man nur wenige auserwählte Haushalte mit einer Sozialwohnung beglücken. Dazu trägt auch das altbekannte „Fehlbelegungsproblem“ bei. In NRW, wo es 2022 noch 435.000 Sozialwohnungen gab, wird etwa die Hälfte davon von Haushalten „blockiert“, die mit ihrem aktuellen Einkommen gar keinen Anspruch mehr auf eine geförderte Wohnung hätten. Das sind 220.000 Wohnungen, die nicht für bedürftige Haushalte zur Verfügung stehen.

Deutsches Regulierungsdickicht lichten und einfacher bauen

Wie kostspielig der soziale Wohnungsbau in Wahrheit ist, kann mit Hilfe von „Förderbarwerten“ ermittelt werden. In deren Berechnung gehen sowohl die dem Staat entgangenen Zinsen als auch die „Tilgungsnachlässe“ (der nicht rückzahlbare Teil der Förderdarlehen) ein. In NRW liegt der Förderbarwert einer 75 Quadratmeter großen, neu gebauten Sozialmietwohnung abhängig vom örtlichen Mietniveau und dem Einkommen der Zielgruppe aktuell zwischen 122.000 und 203.000 Euro. Wenn in teuren Städten wie Köln oder Münster die untere Einkommensgruppe versorgt werden soll, dann kostet das den Staat in dem Umfeld aus hohen Zinsen, Bau- und Bodenpreisen über 200.000 Euro für jede einzelne Sozialwohnung. Bei so hohen Kosten kann der soziale Wohnungsbau die Immobilienmärkte nicht in der Breite entspannen.

Eine wirksame Bekämpfung der Wohnungsnot erfordert einen effizienten Instrumentenmix. Man kann kommunale Wohnungen an die Mieter verkaufen, damit die Wohnungsunternehmen mehr bauen können. Und 15 Prozent Transaktionskosten beim Immobilienverkauf sind im internationalen Vergleich unglaublich hoch. Wir könnten das Regulierungsdickicht lichten und einfacher bauen oder die hohen energetischen Anforderungen bei der KfW-Neubauförderung senken. Der weiterhin ungebremste Ausbau des sozialen Wohnungsbaus ist sicher nicht der Königsweg aus dieser großen Not.


Studie „Bauen und Wohnen 2024 in Deutschland“: mieterbund.de