© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/24 / 02. Februar 2024

Ein Oskar für großes im kleinen Kino
Gründungsparteitag des Bündnis Wagenknecht: Ohne viel zu debattieren, spulen die handverlesenen Mitglieder ihr ambitioniertes Programm ab
Florian Werner

Wer am vergangenen Samstag ins Kino Kosmos an der Karl-Marx-Allee kam, konnte sich einen Film der besonderen Sorte ansehen. Kein Politthriller wie „Die drei Tage des Condor“ flimmerte da über die Leinwand, sondern das Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, das sich im größten Lichtspieltheater im ehemaligen Ost-Berlin zum ersten Parteitag versammelte (JF 5/24). Das Publikum war handverlesen, die Inszenierung akkurat orchestriert.

Die Reden, die an diesem Tag im Vorführungssaal gehalten wurden, standen unter dem Motto „Vernunft und Gerechtigkeit“, was wahlweise alles und nichts bedeuten konnten. Der Eindruck sollte entstehen, daß das Bündnis Wagenknecht erhaben über der Rhetorik der AfD einerseits und der Politik der Ampel andererseits schwebe.

Dieser Balanceakt konnte immer mit dem Sturz in die eine oder andere Richtung enden. Nichts durfte verrutschen, was auch die JUNGE FREIHEIT zu spüren bekam. „Aus Platzgründen“ könne die Wochenzeitung leider nicht akkreditiert werden, hieß es. Andere Medien, wie etwa die Berliner Zeitung, wurden hingegen vorab über den genauen Ablauf der Veranstaltung informiert.

Groß ist die Angst, Mißtöne zu erzeugen. Die Zahl von 450 Erstmitgliedern solle daher nur langsam steigen, erläuterte Wagenknecht am Rande der Bühne. Jeder Anwärter werde vorher überprüft. „Wir schauen uns jeden an, der in unsere Partei möchte, weil wir wollen, daß wir bei unserem Programm bleiben.“ Damit spielte sie auf die Möglichkeit an, einstige Mitglieder der AfD im BSW aufzunehmen.

„Wollen keine digitale Kolonie der USA sein“

Und auch sonst vertrat Wagenknecht den Anspruch, mit dem BSW für einen Wandel in der Parteienkultur zu stehen. „Wir sind keine Linke 2.0, und das muß auch für unseren Umgang miteinander gelten.“ Intrigen und Postengeschacher würden nicht geduldet, bekräftigte sie in einem Seitenhieb gegen ihre frühere Partei. Dort hatte sich die 54jährige jahrelang Grabenkämpfe mit Genossen geliefert und diese zuweilen des Mobbings bezichtigt. 

Stark sind bisher Berlin und Nordrhein-Westfalen im Bündnis vertreten. Neben der Co-Vorsitzenden Amira Mohamed Ali (JF 48/23), die vor wenigen Monaten noch die Linksfraktion im Bundestag anführte, leiten ihr Stellvertreter, der Karlsruher Unternehmer Shervin Haghsheno, sowie Generalsekretär Christian Leye aus Duisburg die Geschicke der noch jungen Partei. Als Beisitzer schaffte es auch der Islamwissenschaftler und Publizist Michael Lüders („Hybris am Hindukusch. Wie der Westen in Afghanistan scheiterte“) in den Parteivorstand. 

Der Parteitag arbeitet indes denkbar lautlos. Kandidaten und Beschlüsse wurden nahezu einstimmig angenommen. Zeit, um etwas anderes zu tun, hatte die Versammlung ohnehin nicht. Schließlich mußte an einem einzigen Tag ein Parteigerüst, ein Programm für die EU-Wahl und eine dazugehörige Kandidatenliste aus dem Boden gestampft werden. Was dabei zu kurz kam, war eine Aussprache über die zentralen Anliegen des Bündnisses. Teils wurden Redner aus der Tagesordnung gestrichen, um den knappen Zeitplan einzuhalten. 

Der abgenickte Programmentwurf entzieht sich derweil den Kategorien „links“ und „rechts“. Ein Mindeststeuersatz auf Unternehmensgewinne von 25 Prozent findet sich dort genauso wie die Forderung, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen abzuwickeln. Daß sich Europa in Zukunft mit TikTok und Co. anlegen muß, betonte unterdessen Europa-Spitzenkandidat Fabio De Masi bei seinem Auftritt. Die EU müsse eigene Plattformen aufbauen, um ihre Souveränität gegen Big-Tech-Konzerne zu verteidigen. „Ihre Algorithmen sind Gift für unser Hirn und für unsere Debatten. Sie entscheiden darüber, was wir lesen, denken und wie wir bezahlen. Wir wollen keine digitale Kolonie der USA sein“, rief De Masi den Delegierten zu. Die großen Linien der Partei machte aber auch er nicht klarer.

Rund 2,7 Millionen Euro seien in der Parteikasse, so Schatzmeister Ralph Suikat, damit müsse man nun den Aufbau der Gliederungen in den Ländern finanzieren und vier Wahlkämpfe bestreiten. Großspenden wie die des Unternehmer-Ehepaars Lotte Salingré und Thomas Stanger aus Wismar, die eine Million Euro an die Partei überwiesen, weil ihnen Wagenknechts „Friedens- und Steuerpolitik“ so gefalle, sind daher hochwillkommen. 

Außerdem gehören dem BSW nun auch zwei Prominente aus den achtziger Jahren an: Oskar Lafontaine, Ex-SPD-Vorsitzender und Wagenknecht-Gatte; sowie Musiker Joachim Witt, einst eine Größe der Neuen Deutschen Welle („Goldener Reiter“).

Natürlich blieb auf diesem ersten Parteitag auch die eine oder andere Kuriosität nicht aus. Eine Rednerin verplemperte ihre Zeit etwa damit, an Hans Modrow zu erinnern. Ein anderer zog seinen Auftritt in die Länge und begründete das mit den Worten: „Ich bin Stahlarbeiter“. Der Eindruck, manche hätten sich in diesen Film hineinverirrt, fügt sich nahtlos ein in den, nicht zu wissen, worum es eigentlich geht.