© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/24 / 19. Januar 2024

Unerträgliche Fremdheit
Verena Ebert und der postkoloniale Straßenkampf
Dirk Glaser

Seit bald zehn Jahren widmet sich die Linguistin Verena Ebert der „sprachlich-diskursiven Dekolonisierung“, die sie anhand „kolonialer Straßen“ dokumentiert (Sprachreport, 4/2023). Dazu schrieb sie bis 2019 am Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft der Universität Würzburg ihre Dissertation über „Benennungspraktiken im Kontext kolonialer Raumaneignung in der deutschen Metropole zwischen 1884 und 1945“. Das Werk bewährte sich zugleich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, denn flugs bewilligte ihr die Deutsche Forschungsgemeinschaft daraufhin eine Würzburger Projektstelle, damit sie weiter Material zu ihrem politisch erwünschten Modethema sammle. 

Der Titel ihrer Dissertation führt allerdings in die Irre. Nicht um Straßennamen in einer einzelnen Metropole geht es, sondern um Straßenbenennungspraktiken, denen Ebert in 430 Groß- und Mittelstädten nachspürte. In 100 davon wurde sie fündig: dort gab oder gibt es noch 520 Straßen, die an das im Ersten Weltkrieg versunkene kaiserliche Kolonialreich erinnern. Bis zum Mauerfall wurden sie jedoch weder in der Bundesrepublik noch in der DDR öffentlich skandalisiert. Die große Säuberung im Zeichen der „Dekolonisation des Denkens und Sprechens“ kam als vergangenheitspolitischer Volkssport sukzessive erst ab 2000 in Schwung. 

Grüne Stadträte als Motor ideologischer Umbenennungen

Chorführer in diesem „Straßenkampf“ sind zumeist, weil sie wie alle Ideologen simple Welt- und Geschichtsbilder lieben, die Mitglieder grüner Fraktionen in Stadt- und Gemeinderäten. Diese von ihr offenkundig geteilte Sehnsucht eindimensionaler  „Jetztmenschen“ (Jacob Burckhardt) nach Angleichung („sameness“) einer nicht mehr ertragenen Andersartigkeit früherer Zeiten („strangeness“) an eigene Wertnormen illustriert Ebert nun in einer Mikrostudie zum Mannheimer Stadtteil Rheinau-Süd, wo der Gemeinderat über „eindeutige Tilgungsempfehlungen“ für drei Straßen entscheiden will, die nach den „umstrittenen“ Kolonialpionieren Gustav Nachtigal, Adolf  Lüderitz und Theodor Leutwein sowie dem schwedischen Asienforscher Sven Hedin heißen. An deren Stelle dürften bald wie üblich „Überschreibungen“ mit Namen von „Aktivistinnen und Aktivisten der antirassistischen bzw. afrodeutschen Bewegung“ treten.

Noch 2011 hatten Anwohner vor einer solchen „Flucht aus der Geschichte“ gewarnt, und selbst die Rheinauer SPD riet, sich mit den alten Straßenschildern zu „schwarzen Flecken in seiner Geschichte“ zu bekennen. Eine so gütliche Regelung ist für die Zeloten der „Dekolonisierung der Köpfe“ heute undenkbar. Ebenso für die Linguistin Ebert, die, um ihre Stelle langfristig zu sichern, mit deutscher Gründlichkeit einen Feldzug in Stadtarchive plant, um aus Myriaden  von „Umbenennungsdiskursen“ die Demokratie festigende Erkenntnisse zu „Haltungen und Einstellungen“ der Deutschen zu ihrem „kolonialen Erbe“ zu gewinnen.