© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/24 / 05. Januar 2024

Macron in der Defensive
Frankreich: Nur mit Hilfe Marine Le Pens konnte die Regierung ihr neues Migrationsgesetz durchbringen / Die Linke schäumt
Julian Schneider

Emmanuel Macrons politische Autorität schwindet. Im siebten Jahr seiner Amtszeit wirkt der Präsident immer schwächer und einsamer. Seine eigene linksliberale Bewegung Renaissance zweifelt an ihm seit der Schlammschlacht um das verschärfte Immigrationsgesetz, das nur mit Stimmen der Rechten um Marine Le Pen in der Nationalversammlung angenommen wurde. Linke Medien lamentieren über einen Dammbruch, die Rechtspopulisten bejubeln ihren Triumph. In neuesten Umfragen liegt Macrons Partei zehn Prozentpunkte hinter Le Pens Rassemblement National (RN), der einen beispiellosen Aufschwung verzeichnet. Die blonde RN-Frontfrau wird bei den Wählern immer beliebter, ihre Strategie, die Partei zu „entdiabolisieren“, geht auf.

Schon spekulieren große Medien, ob die Rechtspolitikerin bei der nächsten Wahl in etwas mehr als drei Jahren, im Frühling 2027, Präsidentin Frankreichs wird. Das erscheint zunehmend als realistisches Szenario. Das britische Wirtschaftsblatt Financial Times malte vor kurzem schon düster aus, wie die Amtsübergabe an Le Pen auf einem roten Teppich und mit Militärkapelle im Hof des Élysée-Palastes stattfinden könnte – „ein Erdbeben für eines der wichtigsten Mitgliedsländer der EU“. 

Linksliberale Macronisten mußten eine schwere Kröte schlucken

Senator François Patriat von der Präsidentenpartei raunte, es sei Macrons „größter Albtraum“, Le Pen die Schlüssel zum Élysée-Palast aushändigen zu müssen. Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire wird zitiert mit den Worten: „Wenn Le Pen gewählt wird, wäre das ein kollektives Versagen.“

Besonders der Konflikt um das neue Einwanderungsgesetz hat die Autorität des Präsidenten kurz vor Weihnachten weiter angeknackst. Einige Medien sprachen von einem „Todeskuß“ für ihn durch die Rechte. Fast ein Viertel seiner eigenen Abgeordneten stimmte gegen die verschärfte „Loi Immigration“ oder enthielt sich. Gesundheitsminister Aurélien Rousseau gab seinen Posten ab aus Protest gegen die Annahme des Gesetzes mit Stimmen von Le Pens Truppen. Der unter starkem Druck von Rechts stehende Präsident verteidigte sich, das Gesetz sei ein nötiger „Schutzschild“ Frankreichs gegen illegale Migration. Doch die Niederlage des 46jährigen ist deutlich. Und es ist offensichtlich, wer die Gewinner der jüngsten politischen Schlacht sind.

Marine Le Pen sprach zu Recht von einem „ideologischen Sieg“ ihrer Partei, weil erstmals das Prinzip der „nationalen Priorität für Franzosen“ bei Sozialleistungen festgeschrieben wird, die ihre Partei seit Jahren fordert. Tatsächlich zählte die „nationale Präferenz“ zu den Gründungsideen ihres Vaters Jean-Marie Le Pen für seinen Front National. Für viele linksliberale Macronisten ist dies eine schwer zu schluckende Kröte, ebenso die eingeschränkten Krankenversicherungsleistungen für Immigranten, verschärften Abschieberegeln für Straftäter und die Möglichkeit des Entzugs der Staatsangehörigkeit bei Personen mit Doppelpaß, wenn sie Straftaten gegen Polizeibeamte verüben.

Das Gesetz mit dem vollen Namen Titel „Einwanderung kontrollieren, Integration verbessern“ bringt insgesamt restriktivere Regeln. Der ursprüngliche Entwurf von Innenminister Gérald Darmanin war von rechten und linken Abgeordneten in der Nationalversammlung abgeschmettert worden. Macrons Partei, die seit 2022 keine Mehrheit mehr im Parlament besitzt, mußte auf die rechtsbürgerliche Partei Les Républicains unter Führung von Éric Ciotti zugehen. Über die Ziellinie brachte das Gesetz aber Le Pen, die kurzfristig einen Schwenk ihrer Partei vollzog.

Marine Le Pen blickt zuversichtlich auf die EU-Wahl

Zu Beginn des neuen Jahres ist die Ausgangslage für die 55jährige Rechtspolitikerin hervorragend. Für die Europawahl im Juni 2024 sagt eine neue Umfrage von Odoxa dem RN unter seinem Spitzenkandidaten, dem erst 28jährigen Parteichef Jordan Bardella, ein Rekordergebnis von 31 Prozent voraus, stolze acht Prozentpunkte Zuwachs gegenüber der letzten Europawahl. Das Bündnis Ensemble mit Macrons Partei kam in der Umfrage nur auf 21 Prozent, die Republikaner mit Spitzenkandidat François-Xavier Bellamy auf neun Prozent. Die zerstrittene Linkspartei (La France insoumise) des alternden Jean-Luc Mélenchon bleibt dahinter mit 6,5 Prozent, etwa gleichauf mit der Rechtspartei Reconquête (Wiedereroberung) von Éric Zemmour, für den Le Pens Nichte Marion Maréchal als Spitzenkandidatin ins Rennen geht.

Insgesamt zeigen Umfragen eine deutliche Rechtsverschiebung des politischen Klimas in Frankreich, das im vergangenen Jahr unter neuen Krawallen in den Vorstädten mit schlecht integrierten Immigranten, hoher Kriminalität und weiteren tödlichen Islamisten-Anschlägen zu leiden hatte. Macrons Versprechen einer großen, vor allem auch wirtschaftlichen Erneuerung des Landes, wird ihm immer weniger geglaubt.

Vor diesem Hintergrund plant Frankreichs Linke laut dem Onlinedienst RMC am 14. Januar eine Demonstration gegen das Einwanderungsgesetz. Urheber seien das Kollektiv zur Verteidigung der Sans-Papiers, Vereine wie die Liga für Menschenrechte und France Terre d’Asile, aber auch Gewerkschaften wie die CGT und Solidaires. La France Insoumise, die Kommunistische Partei, die Sozialisten und die Umweltschützer hätten mitgeteilt, daß sie den Marsch unterstützen werden, so RMC.