© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/23 - 01/24 / 22. Dezember 2023

„Es gibt in Pirna keine Brandmauer“
Erfolg in der Stichwahl: Oberbürgermeister der sächsischen Stadt wird der von der AfD nominierte Parteilose Tim Lochner / Jubel und Entsetzen
Kuba Kruszakin/ Lorenz Bien

Schon wieder die AfD, schon wieder Ostdeutschland, schon wieder ein Symbolerfolg: Mit Tim Lochner haben die Wähler in der sächsischen Mittelstadt Pirna am Sonntag den ersten von der Partei unterstützten Oberbürgermeister deutschlandweit ins Amt gewählt.

Die Reaktionen folgen auf dem Fuße. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Kassem Taher Saleh (Grüne) warnt, das Image der Stadt würde leiden.Der Vorsitzende der Linken-Landtagsfraktion in Dresden, Rico Gebhardt, beklagt, es sei den Wählern egal, daß der AfD-Landesverband im Freistaat als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wurde: „Sie wählen bewußt trotzdem.“ Dennis Radtke, ein EU-Parlamentarier der CDU, stellt fest, daß die Wahlen bald ein „Endspiel für unsere Demokratie und das Parteiensystem“ werden. Als „Katastrophe“ bezeichnete die SPD-Politikerin Sawsan Chebli das Wahlergebnis. Daraus müsse man „endlich lernen“. Denn: „Demokratische Parteien haben zu wenig getan, um das zu verhindern.“ Vielleicht brauchte es diese Katastrophe, um endlich zu lernen. Bemängelt wird vor allem, daß sich Lochners Mitbewerber nicht auf eine gemeinsame Kandidatur einigen konnten. Da jeder in der zweiten Runde antreten darf, reichten dem parteilosen AfD-Kandidaten 38,5 Prozent zum Sieg. Die CDU-Konkurrentin, Kathrin Dollinger-Knuth, kam trotz der Unterstützung durch SPD, Grüne und Linke auf Platz zwei.

„Ich stehe zu meinen Falten und Tränensäcken“

Hinter ihr landet Ralf Thiele von den Freien Wählern (FW). Er lag in der ersten Runde noch vor der Christdemokratin. Der sächsische FW-Chef Thomas Weidinger wirft ihr deshalb vor, mit ihrem Antritt „den Steigbügelhalter“ für die AfD gespielt zu haben. Sachsens Innenminister Armin Schuster nimmt seine Parteikollegin hingegen in Schutz. Es gelte, das Ergebnis genauso wie ihre Entscheidung zu akzeptieren.

Auffallend: Alle drei Kandidaten waren jahrelang Parteikollegen bei den sächsischen Christdemokraten. Dollinger-Knuth stieg innerhalb des Pirnaer Stadtverbandes auf und fungiert seit 2023 als dessen Chefin. Thiele verließ die Partei im Streit, um die örtlichen Freien Wähler zu gründen.

Lochner wurde 2014 als CDU-Mitglied in den Stadtrat gewählt. Er entfernte sich jedoch infolge der Asylkrise zunehmend von der Partei, die er 2016 verließ. Bei der Oberbürgermeisterwahl ein Jahr später erzielte er mit fast 33 Prozent einen Achtungserfolg. Zwei Jahre später gewann er wieder einen Sitz im Stadtrat, diesmal als Parteiloser auf der Liste der AfD. Sein Erfolgskonzept bei der jüngsten Wahl offenbar: Ein Kontrastprogramm zu allem, was grün klingt. Seien es Regenbogenfahnen vor dem Rathaus, „Energie-Awards“ für Klimaschutzmaßnahmen oder „grüne Verkehrsträume“. 

Der küftige Oberbürgermeister versprach stattdessen, die Zahl der Parkplätze zu verdoppeln, statt auf „teure, steuerfinanzierte Fahrradgaragen“ zu setzen.

Kontroversen um seine Positionen nimmt er gelassen. Als er vom MDR damit konfrontiert wird, daß er das Wort „Bevölkerungsaustausch“ benutzt habe, bekräftigt er seine Aussagen. Und versucht, sich als volksnah zu präsentieren. Angebote seiner Unterstützer, Visagisten zu sponsern, lehnt der gelernte Tischlermeister ab: „Ich war immer der Lochner, der ich bin. Ich stehe zu meinen Tränensäcken und zu meinen Falten.“ 

Daß er als von der AfD nominiertes Stadtoberhaupt isoliert werden könnte, befürchtet Lochner nicht. „Jeder Stadtrat spricht mit mir. Ich kenne diese Menschen jetzt seit mehreren Jahren und habe Erfahrung in der Zusammenarbeit“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Zusammen mit den Freien Wählern habe man eine Mehrheit von 70 Prozent. Sprüche wie „Zusammenstehen gegen die AfD“ würden sich im Tagesgeschäft relativieren. „Es gibt hier einen starken Konsens von Menschen, die ähnliche Probleme sehen und in eine ähnliche Richtung wollen“, ist Lochner überzeugt. Und bekräftigt: „Es gibt in Pirna keine Brandmauer.“