© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/23 / 15. Dezember 2023

Ohne ökologischen Mehrwert
Die „Tethered Caps“ sollen die Umweltbilanz verbessern, bringen aber nicht nur den Konsumenten Probleme
Paul Leonhard

Es klingt so infantil wie Franziska Giffeys „Gute-Kita-Gesetz“ oder Robert Habecks „Wind-an-Land-Gesetz“: Bei der Bitburger Tochter bei Gerolsteiner heißt es „Bleibt-dran-Deckel“, bei Coca-Cola steht in weißer Schrift „Laß mich dran fürs Recycling“ auf den abschraubbaren Plastikdeckeln. Eine Warnung der Hersteller, die es in sich hat. Denn egal ob PET-Flasche, Zahnpastatube oder Milch- und Saftkarton, die „Tethered Caps“ (angebundene Verschlüsse) tauchen immer häufiger im deutschen Handel auf. Sie sollen die Umweltbilanz verbessern, bereiten aber vor allem jenen Probleme, deren Motorik eingeschränkt ist: Kindern und älteren Bürgern.

Nach dem neuen Verfahren, das Brüssel allen EU-Einwohnern aufdrückt, bleiben die Drehverschlüsse an den Einweg-Getränkeverpackungen einfach hängen, was das Einschenken der Getränke erschwert und in vielen Fällen dazu führt, daß sich ein Teil des Inhalts nicht wie beabsichtigt, in eine Tasse oder ein Glas, sondern auf den Boden ergießt. Und da selten ein Verbraucher eine Literflasche auf ex trinkt, muß anschließend der am Flaschenhals hängende Verschluß wieder drangefummelt werden, was für erneuten Verdruß fühlt.

Millimeterarbeit und feinstes Abstimmen

Daß der Deckel dranbleibt, ist politisch gewollt. Eine neue Schikane. Nachdem Plastikstrohhalme und -besteck seit 2021 auf der Verbotsliste der EU stehen und sich die Europäer langsam an sich bereits während des Trinkens auflösende Papierhalme und eklig schmeckendes Einweg-Holzbesteck gewöhnen mußten, droht neues Ungemach. EU-Kommission, Europaparlament (EP) und die Regierungen der Mitgliedsstaaten glauben mehrheitlich, daß lose Deckel an Flaschen, Milch- oder Saftkartons den Plastikmüll in Gewässern, Wäldern oder an Stränden vermehren. Als Beleg dafür muß eine Untersuchung herhalten, die die Verbraucherzentrale NRW verbreitet und nach der an der Nordsee pro 100 Meter Strand mehr als 40 Plastikdeckel gefunden wurden. Lassen sich Deckel und Flaschen nicht mehr trennen, steige die Wahrscheinlichkeit, daß beides zusammen recycelt werde, so die kühne Schlußfolgerung, die von Bürokraten aufgegriffen und in die Einwegkunststoff-Richtlinie (EU 2019/904) gegossen wurde. Diese schreibt verpflichtend vor, daß künftig sämtliche Einweg-Getränkeverpackungen, die vollständig oder teilweise aus Kunststoff bestehen und bis zu drei Liter fassen, mit den „Tethered Caps“ ausgestattet sind. Die Richtlinie gilt in Deutschland zwar erst ab 3. Juli 2024, aber Hersteller und Handel eilen dem Gesetzgeber willig voraus.

Aber es gibt ungewohnten Widerstand. Und das von einem Land, dessen Ureinwohner ihren Müll nach zig Sorten sorgfältig trennen, ehe er in Verbrennungsanlagen oft wieder zusammengefügt wird. „Tethered Caps“-Vorreiter Coca-Cola bekam den Zorn in den sozialen Medien zu spüren. Dabei war man anfangs stolz darauf, eine komplett neue Technologie einzuführen. Es sei eine „große Herausforderung für uns in der Produktion“ gewesen, so Ralf Schmalenbeck, Betriebsleiter des Coca-Cola-Werkes in der Ruhrgebietsstadt Dorsten, in seinem Praxisbericht.

Viele Coca-Cola-Käufer waren dagegen weniger begeistert. Denn im Gegensatz zu den genau auf die Flaschenverschlüsse eingestimmten Maschinen – Millimeterarbeit und feinstes Abstimmen – saßen eben die Verschlüsse nach dem ersten Gebrauch der Flasche häufig schräg und führten zu ungewolltem Auslaufen. Der Konzern beeilte sich, seinen Kunden ein Erklärvideo zum korrekten Umgang mit den neuen Flaschen anzubieten. In diesem wird erläutert, wie der Deckel erst aufgedreht und dann nach hinten gekippt werden muß, bis er einrastet.

Beträchtlicher Erfüllungsaufwand seitens der Wirtschaft

Aber gibt es tatsächlich ein Problem, mit überall herumliegenden Kappen von Plasteflaschen? Wer einmal Konsumenten beobachtet, wie diese sorgfältig ihre 25-Cent-Pfandflaschen in den Rücknahmeautomaten legen, wird zu der Erkenntnis kommen, daß es mit der Umweltverschmutzung nicht so arg sein kann. Denn die meisten legen verschlossene Flaschen auf das Band. Eine Alltagsbeobachtung, die Peter Feller von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), teilt: „Die Rücklaufquote bei bepfandeten Einweg-Getränkeverpackungen in Deutschland liegt – je nach Quelle – zwischen 96 und 99 Prozent“, und rund 96 Prozent „dieser Behältnisse werden von den Verbrauchern zusammen mit den dazugehörigen Verschlüssen und Deckeln zurückgegeben“.

Die EU-Designvorgabe und der damit verbundene „Erfüllungsaufwand der Wirtschaft“ bewirke für Deutschland keinen bedeutenden ökologischen Mehrwert, findet Feller. Denn hierzulande sei durch das Pfandsystem das Problem bereits weitgehend gelöst. Für 2030 hat das EU-Parlament im November noch eine verschärfte Verpackungsverordung abgenickt, die das Sammeln und die Wiederverwendung von Verpackungen vorschreibt.

Dem Camembert und den Austern geht es dabei allerdings nicht an die Schachtel. Denn dafür gibt es beispielsweise gar keine Sortiermaschinen. Und: „Diese Verpackungen sind in ihrer jetzigen Form biologisch abbaubar, bestehen aus hellem Holz und stellen daher kein Problem für die Umwelt dar. Und hinter all dem steckt eine ganze Lebensmitteltradition, ein ganz wichtiger Sektor“, erklärte Jean-Paul Garraud (Rassemblement National) von der EP-Rechtsfraktion ID. Und da das auch Präsident Emmanuel Macron und seine liberale EP-Fraktion Renew so sehen, gab es für Frankreich eine Ausnahme in der Verpackungsverordung.





Einwegkunststoff-Richtlinie (EU 2019/904)

Die EU-Richtlinie 2019/904 über „die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt“ ist im Juli 2019 in Kraft getreten. Sie reguliert die Nutzung von Einwegkunststoffprodukten und verlangt langfristig den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft. Daher ist seit Juli 2021 durch die daraus abgeleitete Einwegkunststoffverbotsverordnung das Inverkehrbringen von Wattestäbchen, Besteck, Tellern, Trinkhalmen, Rührstäbchen oder Luftballonstäben aus Kunststoff untersagt. Auch Getränkebecher aus expandiertem Polystyrol sind seither verboten. Zudem müssen auch Hygieneeinlagen, Tampons, Feuchttücher und Verpackungen von Tabakprodukten mit kunststoffhaltigen Filtern gekennzeichnet werden. Ab Juli 2024 sind Einwegplastikflaschen und Getränkebehälter nur noch erlaubt, wenn ihre Verschlüsse fest damit verbunden sind. Ab 2025 müssen PET-Einwegflaschen 25 Prozent und ab 2030 alle Einwegflaschen mindestens 30 Prozent Rezyklatanteil aufweisen. (fis)


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