© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/23 / 08. Dezember 2023

Durch die politische Brille
Peter Tauber, das Zentrum für Militärgeschichte und Sozial-wissenschaften der Bundeswehr und Deutungen zum Hitlerputsch
Johannes Meyer

Wie es denn nun eigentlich gewesen ist, bleibt weiterhin eine Frage, die Historiker beantworten, während andere diese Antworten für sich nutzen. Die Politik bedient sich gerne vermeintlich historischer Lehren und ist – zumindest in Deutschland – Hauptgeldgeber der Wissenschaft. Besonders heikel wird es, wenn Politiker zu Historikern werden. Beim Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) ist inzwischen der ehemalige CDU-General- und spätere Staatssekretär im Verteidigungsministerium Peter Tauber für die Bundeswehr als Historiker tätig und kann dort seine Deutung des Hitlerputsches von 1923 verbreiten.

Das ZMSBw ist 2013 aus dem seit 1957 bestehenden Militärgeschichtlichen Forschungsamt und dem 1968 begründeten Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr gebildet worden. Inzwischen veröffentlicht es nicht nur Bücher und Zeitschriften, sondern auch elektronische Produkte, die auf der Netzseite öffentlich abgerufen werden können. Doch richtet sich diese Dienststelle vor allem an die Bundeswehr. Durch sie werden die Militärgeschichtslehrer geprägt, die Offizieren und Unteroffizieren Militärgeschichte nahebringen. Darüber hinaus werden Materialien erstellt, mit denen die Truppe historisch-politisch ausgerichtet wird. In der Mediathek finden sich aufbereitete Karten, Tabellen, Dossiers, Podcasts oder auch „Hörfeatures“. Ein breites Themenspektrum wird dabei allein schon zur Militärgeschichte abgedeckt. Das Hörfeature ist die neueste Spielart und soll „Elemente von Hörspiel, Dokumentation und Reportage“ beinhalten. So müssen wissenschaftliche Standards wohl eher zugunsten von politischen Botschaften zurückstehen.

Nach „Kuba-Krise: Die Welt am Rande eines Atomkrieges“ ist nun mit Taubers „Hitlerputsch 1923. Der erste Griff zur Macht“ ein zweites Produkt verfügbar. Schon die kurze schriftliche Einführung macht klar, in welchem Dienst dieser Hörbeitrag des auch an der Universität der Bundeswehr in München lehrenden und sich dort bei Hedwig Richter habilitierenden langjährigen Politikers steht: „In der Nacht vom 8. auf den 9. November 1923 unternahmen die rechtsextremen Feinde der Weimarer Republik in München einen Putschversuch.“ Es ist wohl nicht zufällig, daß der Duktus in diesem historischen Beitrag nahtlos politische Botschaften im „Kampf gegen Rechts“ aufnimmt. Grundlage? Das Buch Taubers zum gleichen Thema. Einzig er kommt als Historiker zu Wort, nur aus seinem Buch zitieren die Sprecher. Man muß nicht auf Arnulf Barings These zurückgreifen, daß der Nationalsozialismus eher links gewesen sei, um sich etwas mehr Vielfalt in den Bezügen auf andere Historiker und dem Zeitzusammenhang besser entsprechende Begriffe zu wünschen. So leidet dieses „ZMSBw-Hörfeature“ im Dienste Taubers an der platten politischen und persönlichen Instrumentalisierung – inklusive einer Verknüpfung zum Reclam-Verlag, in dem der Text in der Reihe „Kriege der Moderne“ veröffentlicht wurde. Ein gescheiterter Putsch in einer Landeshauptstadt des Deutschen Reiches zählt nun zu den „wichtigsten militärischen Konflikten des 19. und 20. Jahrhunderts“ und wird in dieser Reihe „nach modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen“ vorgestellt. Dazu gehört auch, daß in der Bundeswehr gedruckte Exemplare verschenkt werden.

Inhaltlich wird zunächst eine Übersicht zu den Ereignissen bis 1923 und der Lage der Reichswehr gegeben. Es folgt der Aufbau der NSDAP. Dabei soll beim Aufbau der Sturmabteilung, „als paramilitärischer Verband der Partei“, damit begonnen worden sein, „gezielt gewaltbereite Männer im rechtsextremen Milieu“ zu werben. Zwar ist bei der Schilderung der Ereignisse nur von „nationalen“ oder „völkischen“ Kreisen die Rede, aber das heutige Signalwort „rechtsextrem“ muß offensichtlich immer wieder fallen. Später heißt es dann über die SA und andere putschende Gruppierungen, daß zu ihnen „Abenteurer, Demagogen, Freibeuter, Söldner, engstirnige Antisemiten, Opportunisten und Überzeugungstäter sowie Mitläufer“ gehörten, was weniger nach dem geschlossen „rechtsextremen Milieu“ klingt, das zuvor beschworen wird und wohl auch für die SA allein gültig ist.    

Volkspädagogischer Vergleich der Reichswehr zur Bundeswehr

Wenn auch die kommunistischen Umsturzversuche nicht verschwiegen werden, wird nicht deutlich, daß von Beginn an die – in heutiger Terminologie – „Linksextremisten“ ein wichtiger Grund sind, daß es „für die Demokraten in der Weimarer Republik eine immense Herausforderung“ war, „diesen Staat sattelfest zu machen“, um Tauber zu zitieren. Er weist nicht darauf hin, daß sie der maßgebliche Grund dafür sind, daß die neue sozialdemokratische Regierung „notgedrungen ein Bündnis mit jener Armee eingehen muß, die erst kurz zuvor von den Fronten des Ersten Weltkriegs zurückgekehrt“ ist und sich „nur so (…) Recht und Ordnung überhaupt aufrechterhalten“ ließen. Daß diese Armee zerfiel und dann vor allem Freiwilligenverbände und auch Freikorps Recht und Ordnung im Auftrag von Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichswehrminister Gustav Noske sicherstellten, erwähnt Tauber nicht.

Auf dieser schiefen Grundlage erfolgt auch der volkspädagogische Vergleich Taubers zwischen Reichswehr und Bundeswehr: „Der große Unterschied zur Bundeswehr und der Bundesrepublik ist ja, daß es die Bundesrepublik schon gab, und dann wurde die Bundeswehr aufgebaut. Das heißt, die Demokratie hat eine eigene Armee aufgebaut. In der Weimarer Republik war es genau andersherum.“ Weshalb die Armee sich immer wieder auch den Vorwurf gefallen habe lassen müssen, „daß sie nicht loyal zur Republik stand, zwar loyal zur Nation, aber eben nicht zur neuen staatlichen Ordnung“. Allerdings liegt der gravierende Unterschied bei diesem Vergleich darin, daß die Bundesrepublik ihre Streitkräfte unter vollständiger Kontrolle der westlichen Siegermächte in der Nato und gegen einen gemeinsamen Gegner, die UdSSR, aufstellte. Daß bei dieser Schieflage auch nicht erwähnt wird, daß Ebert nach dem an Reichswehr und Landespolizei gescheiterten Putschversuch dem Chef der Heeresleitung, Hans von Seeckt, die vollziehende Gewalt übertrug, verwundert nicht. Seeckt erließ am 23. November ein Verbot von NSDAP und KPD. Was wäre geworden, wäre dieses Verbot beibehalten worden? Wer dagegen wissen will, was für ein Geschichtsbild aus und in der Bundeswehr verbreitet wird, dem sei angeraten, sich beim ZMSBw zu informieren, nachdem ein ausrangierter Politiker wie Peter Tauber dort untergekommen ist.