© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/23 / 08. Dezember 2023

Dritte Kraft für das Nationale
Vor 75 Jahren gründete sich die FDP in Heppenheim an der Bergstraße
Karlheinz Weißmann

Vom 11. bis zum 12. Dezember 1948 fand in Heppenheim an der Bergstraße der Gründungsparteitag der Freien Demokratischen Partei (FDP) statt. Der Schritt wurde durch die Delegierten verschiedener liberaler Gruppierungen vollzogen, die nach Kriegsende in den Ländern der Westzonen entstanden waren und bis dahin als Liberaldemokratische Partei (LDP), Partei Freier Demokraten (PFD) oder Demokratische Volkspartei (DVP) firmierten.

Diese Entwicklung war nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Zum einen, weil es Gründe gab, den Zusammenbruch der Weimarer Republik auch als Todesurteil über den deutschen Liberalismus zu betrachten, zum anderen, weil die Union alles tat, um einen Monopolanspruch auf politische Vertretung des „nichtmarxistischen“ Lagers durchzusetzen. Faktisch waren CDU und CSU „die einzig neuen Parteien“ (Johannes Gross) der Nachkriegszeit. Ihre außerordentliche Integrationskraft endete aber, wo sie auf ein stabiles Milieu stießen, das die Arbeiterbewegung prägte, oder wo man ihr als „klerikaler“ Kraft mit Mißtrauen begegnete. Letzteres galt insbesondere für das evangelische Bürgertum, überzeugte Anhänger der Marktwirtschaft und einen Teil des „nationalen Lagers“. Den Ausschlag gab allerdings, daß die Alliierten die Gründung einer liberalen Partei wünschten, die die traditionelle Spaltung in Fortschritt und Nationalliberale, später die Deutsche Demokratische Partei (DDP) und die Deutsche Volkspartei (DVP), überwinden sollte.

Ohne Zweifel gingen die wichtigsten Impulse zur Reorganisation des deutschen Liberalismus von Veteranen der DDP aus. Zu nennen sind neben dem Berliner Hans Reif (1899–1984) und dem Hamburger Willy Max Rademacher (1897–1971) vor allem die Süddeutschen, die ganz wesentlich zum Aufbau der FDP beigetragen haben: Thomas Dehler (1897–1967), Reinhold Maier (1889–1971) und Theodor Heuss (1884–1963). Dehler hatte nach der Machtübernahme Hitlers weiter als Anwalt gearbeitet und sich rasch den Ruf eines Oppositionellen zugezogen. Eine Ursache dafür war die Weigerung, sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden zu lassen, ein anderer, auch Regimegegner und rassisch Verfolgte vor Gericht zu vertreten. Nach 1945 wurde er von der amerikanischen Besatzungsmacht als Generalstaatsanwalt in Bamberg eingesetzt, unmittelbar darauf gehörte er zu den Mitbegründern der bayerischen Liberalen, deren Vorsitz er übernahm. Maier und Dehler unterschied vor allem die landsmannschaftliche Herkunft. Denn Maier war in vieler Hinsicht ein typischer Repräsentant des südwestdeutschen, protestantisch geprägten Liberalismus. Er hatte bereits in der Zeit der Weimarer Republik eine politische Karriere gemacht, die bis zu einem Reichstagsmandat führte. Das NS-Regime überstand er durch Rückzug auf seine private Existenz; auch er war von Beruf Rechtsanwalt. 1946 ernannte ihn die amerikanische Besatzungsmacht zum Ministerpräsidenten des Landes Württemberg-Baden. In dieser Funktion setzte er sich gegen den massiven Widerstand Adenauers für die Schaffung eines „Südweststaates“ ein, das spätere Baden-Württemberg, dessen erste Regierung er 1952 führte.

Im Unterschied zu Maier war Heuss stark durch den „national-sozialen“ Gedanken im Sinne Friedrich Naumanns (1860–1919) geprägt. Außerdem lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit nie nur in der Politik – er gehörte von 1924 bis 1928 und noch einmal von 1930 bis 1933 dem Reichstag an –, sondern auch in seiner Arbeit als Schriftsteller und Historiker. Das erklärt, warum Heuss nach 1945 ein Mandat als Landtagsabgeordneter in Württemberg-Baden und kurzfristig das Amt des Kultusministers übernahm, aber gleichzeitig eine Professur für Geschichte der Technischen Hochschule Stuttgart antrat. Als entscheidend sollte sich in der Folge seine Fähigkeit zum Ausgleich der verschiedenen Strömungen in der FDP erweisen, wenngleich die alten Reibereien zwischen Links- und Rechtsliberalismus auf veränderte Weise wiederkehrten.

Deren Minimalkonsens bildeten die Ablehnung des Sozialismus in jedweder Gestalt, die entschiedene Verteidigung der Bürgerrechte, das Bekenntnis zur Einheit Deutschlands als vorrangigem Ziel und die Reserve gegen Adenauers „Umweg“ (Reinhold Maier) über die Weststaatsgründung. Aber während sich die „Entschieden-Liberalen“ als „schwarz-rot-gold bis auf die Knochen“ (Thomas Dehler) betrachteten und im Zweifel auch mit der SPD zu koalieren bereit waren, planten die „Neuliberalen“ eine weit nach rechts ausgreifende „Stresemann-Partei“. Zu deren wichtigsten Köpfen zählten der Rechtsanwalt August-Martin Euler (1908–1966), Parteivorsitzender in Hessen, der Bankdirektor Franz Blücher (1896–1959), Parteivorsitzender der Britischen Zone, und der Verleger Friedrich Middelhauve (1896–1966), Parteivorsitzender Nordrhein-Westfalens.

Als „Partei der ehemaligen höheren HJ-Führer“ bezeichnet

Bezeichnenderweise waren weder Euler noch Blücher oder Middelhauve Traditionsliberale. Letzterer hatte sich nur in der Schlußphase der Weimarer Republik der Deutschen Staatspartei angeschlossen, die aus der DDP hervorgegangen war, aber durch den Zusammenschluß mit dem Jungdeutschen Orden ein ausgesprochen „volksnationales“ Gepräge angenommen hatte. In jedem Fall war der rechte Flügel der Liberalen „schwarz-weiß-rot“ ausgerichtet und voller Vorbehalte gegenüber den „Demi-Marxisten“ (August-Martin Euler) in den eigenen Reihen, die nicht genug Abstand zur Sozialdemokratie hielten. Die Stärke dieser Fraktion innerhalb der neugegründeten FDP sollte man nicht unterschätzen. Bezeichnend war, daß in Heppenheim zwar Heuss ohne Gegenkandidaten zu deren Vorsitzendem gewählt wurde, aber Blücher als sein Stellvertreter deutlich mehr Stimmen erhielt.

In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre konnte man durchaus meinen, daß es für die Freien Demokraten als „Dritte Kraft“ zwischen den „sozialistischen“ Riesen CDU / CSU und SPD erheblichen Spielraum gebe. Dabei lag ihr eigentliches Potential darin, zum Fokus einer Sammlung der verfassungstreuen Rechten zu werden. Tatsächlich gab es in der Folge keine andere Partei des Bundestages, die so entschlossen nationale Positionen vertrat wie die FDP. Das kam schon im Werben um die Jüngeren unter den „Ehemaligen“ zum Ausdruck – man sprach nicht ganz zu Unrecht von der „Partei der ehemaligen höheren HJ-Führer“ – und in der scharfen Kritik der Entnazifizierung. Die Liberalen lehnten die „neue Hexenjagd“ ab und forderten fallweise eine „Generalamnestie“ unter ausdrücklichem Verweis auf die Kriegs- und Nachkriegsverbrechen „der anderen“. Dehler, der im ersten Kabinett Adenauer das Justizministerium aufbaute, ließ 1950 „Tu quoque“-Akten anlegen, in denen sorgfältig Tausende von Kriegsverbrechen dokumentiert waren, die alliierte Soldaten an Deutschen verübt hatten. Bezeichnend war auch, daß Erich Mende (1916–1998), Vorsitzender der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten, als Repräsentant der Kriegsgeneration in den Parteivorstand und 1949 als erster aktiver Offizier der Wehrmacht in den Bundestag gewählt wurde. Für die Wahlen zum zweiten Bundestag stellte die FDP demonstrativ zwei ehemalige hochrangige Berufsmilitärs auf: den gerade erst aus alliierter Haft entlassenen Generalfeldmarschall Albert Kesselring (1885–1960), der sich aber wieder zurückzog, im Gegensatz zu General Hasso von Manteuffel (1897–1978), der die Liberalen bis 1957 im Parlament vertrat und wesentlich am Aufbau der Bundeswehr beteiligt war.

Zu dem Zeitpunkt hatte sich allerdings schon ein Kurswechsel angebahnt, der mit personellen Querelen eher als mit einem Linksruck der FDP zu tun hatte, sie aber letztlich auf die Funktion eines „Mehrheitsbeschaffers“ oder eines „Züngleins an der Waage“ reduzieren sollte.