© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/23 / 01. Dezember 2023

Itamar Ben-Gvir. Ausgerechnet Israels Sicherheitsminister ist der derzeit prominenteste Radikale des Landes.
Der Bock als Gärtner
Sandro Serafin

Wenn es Radau gibt, ist Itamar Ben-Gvir mittendrin. Als in diesem Jahr gegen die Justizreform demonstrierende Israelis Straßen blockierten, bezeichnete der Sicherheitsminister sie voller Inbrunst als „Anarchisten“. Einen palästinensisch-nationalistischen Knesset-Abgeordneten und früheren Arafat-Berater nannte er 2021 „Terrorist“, der besser in Syrien sein sollte. 2022 zückte er vor laufender Kamera seine Pistole, als es in Ost-Jerusalem zu palästinensischen Ausschreitungen kam.

Daß Ben-Gvir im Dezember desselben Jahres Sicherheitsminister werden und die Kontrolle über die Polizei erhalten würde, hatte sich in Israel lange kaum einer vorstellen können. Der 47jährige Anwalt, der immer wieder radikale Israelis vor Gericht vertrat, entstammt dem Kahanismus, einer Ideologie, die auf den 1990 ermordeten Rabbiner Meir Kahane zurückgeht. Dieser propagierte eine Theokratie und die mögliche Vertreibung eines Großteils der Araber. Das Oberste Gericht schloß die Bewegung oder einzelne Vertreter wiederholt von Wahlen aus. Ben-Gvir hingegen durfte antreten und zog 2021 in die Knesset ein.

Lange hing in seinem Haus ein Bild Baruch Goldsteins, eines Israeli, der Moslems in einer Moschee ermordet hat.

Der Sohn einer Familie mit irakischen und kurdischen Wurzeln dankt es Kahane bis heute, daß ihn dessen Lehren zu einem aktiv-religiösen Verständnis des Judentums geführt haben. Schon mit 19 Jahren wurde Ben-Gvir auffällig: 1995 entfernte er das Markenemblem vom Auto des damaligen Regierungschefs Jitzchak Rabin und verkündete: „Wir sind zu seinem Auto gelangt und werden auch an ihn herankommen.“ Kurz darauf ermordete ein Israeli den linken Premier. Ben-Gvir hätte damals eigentlich in der Armee dienen sollen, doch die zog ihn wegen seines Extremismus nicht ein. 2007 wurde er wegen Aufhetzung zu anti-arabischem Rassismus und Unterstützung einer Terrorgruppe verurteilt. Lange hing in seinem Haus in einer Siedlung im Westjordanland ein Porträt Baruch Goldsteins, der 1994 Moslems in einer Moschee ermordete.

Im Zuge seines Aufstiegs in die erste Reihe der Politik hat sich der fünffache Familienvater von einigen seiner früheren Positionen vorsichtig distanziert. 2020 etwa versprach er, das Bild Goldsteins abzuhängen. 2022 stellte er bei einer Gedenkfeier für Kahane klar: „Ich bin nicht Kahane und ich unterstütze nicht die Ausweisung aller Araber und die Rassentrennung an Stränden.“ Einige Weggefährten werfen ihm vor, vom rechten Weg abgekommen zu sein.

Manch Verbündeter Israels wie die EU und die USA, vor allem aber viele Israelis nehmen ihm das jedoch nicht ab. Für sie ist Ben-Gvir die größte Reizfigur der Regierung. Oppositionsführer Jair Lapid bezeichnet ihn gerne als „Clown“. Die Kritik an dem Minister reicht weit bis in den Sicherheitsapparat und in Benjamin Netanjahus Likud hinein. Der Premier hält Ben-Gvir aus dem aktuellen Kriegskabinett heraus. So kommentiert der Hitzkopf den Krieg nun wie ein patziges Kind von der Seitenlinie aus und mimt den Falken. Zuletzt stimmte er im Kabinett gegen ein Abkommen zur Freilassung einiger Geiseln: Es sei ein „gefährlicher Präzedenzfall“. Bei der Wahl 2022 holte Ben-Gvir im Bündnis mit anderen Parteien fast elf Prozent. In die Regierung kam er, weil sich das politische System verkeilt hatte und Netanjahu für seinen Machterhalt auf ihn angewiesen war. Stürzt Netanjahu nach dem Krieg, dann stürzt womöglich auch Ben-Gvir.