© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/23 / 24. November 2023

Haushaltstrick ist gescheitert
Finanzpolitik: 60 Milliarden Euro Corona-Sondervermögen durften nicht verschoben werden
Dirk Meyer

Robert Habeck hatte in der Regierungsbefragung am 21. Juni eine Vorahnung: „Wenn diese Klage erfolgreich ist, das würde Deutschland wirklich wirtschaftspolitisch hart, hart treffen. Wahrscheinlich so hart, daß wir das nicht bestehen werden.“ Wenn schon das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG/2 BvF 1/22) zum zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 als „mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig“ in dieser Eindeutigkeit überraschte, so erstaunt es um so mehr, daß die Regierung für diesen Fall keine Risikovorsorge mit einem Plan B getroffen hat. Verantwortung sieht anders aus.

Der Regierung fehlen nun insgesamt 60 Milliarden Euro. Als Kreditermächtigung wurde diese Summe von den Ampelparteien aus den nicht abgerufenen Corona-Notkrediten im Februar 2022 – rückwirkend für das abgeschlossene Haushaltsjahr 2021 – verfassungswidrig in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschoben. Nutzbar für spätere Jahre, denn die Krediterlaubnisse drohten zu verfallen. Mit dem so auf etwa 240 Milliarden Euro aufgestockten KFT-Sondervermögen – der umfänglichste von 29 Nebenhaushalten mit einem Gesamtvolumen von 869 Milliarden Euro – sollten weitere Klimainvestitionen finanziert werden.

Das Gericht sieht darin gleich drei Grundgesetz-Verstöße: So würde der Zusammenhang zwischen einer Notlagensituation, die eine Lockerung der Schuldenbremse durchaus gestattet, und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen (Klimaschutz) nicht hinreichend begründet (Art. 109 Abs. 3 GG). Es würde der „Veranlassungszusammenhang“ fehlen. Außerdem würde durch den Übertrag von Haushaltsmitteln aus 2021 und deren Verausgabung in späteren Jahren gegen das Prinzip der Jährlichkeit der Haushaltsaufstellung – also der Festlegung für jeweils ein Jahr – verstoßen (Artikel 110 Absatz 2 Grundgesetz). Damit würde die Schuldenbremse, so das Gericht, faktisch in den Folgejahren außer Kraft gesetzt, ohne daß hier eine Notlage vorliegen muß. Schließlich sei die Verabschiedung eines Nachtragshaushaltes für 2021 im Jahr 2022 ein Verstoß gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit (Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG).

Kreditfinanzierten Sondervermögen einen Riegel vorgeschoben

Was sind die Konsequenzen des Urteils? Zum einen muß die Ampelkoalition jetzt umplanen. Finanzminister Christian Lindner verhängte eine Haushaltssperre für alle künftigen Ausgaben. Denn gravierend sind die Langfristfolgen und Effekte auf bestehende Sondervermögen. Grundlage des „60-Millarden-Euro-Tricks“ war eine geänderte Buchungssystematik: Bei Übertragungen aus dem Kernhaushalt an einen Sonderfonds (hier: 2022 in den KTF) sollte zukünftig eine zeitliche Vorverlagerung des Buchungsansatzes für aufgenommene Kredite auf den Tag der Zuweisung (hier Nachtrag 2021) vorgenommen und die Schuldenregel damit für Folgejahre umschifft werden. Nur so können mögliche und zusätzliche Kreditspielräume aus Notlagen in spätere Jahre verlagert werden – unabhängig von der ursprünglichen Zielsetzung und unabhängig von einer dann gegebenenfalls nicht mehr existierenden Notlage. Dem hat das BVerfG jetzt beispielhaft für andere kreditfinanzierte Sondervermögen einen Riegel vorgeschoben.

Betroffen ist der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), wie Habeck im Deutschlandfunk selbst eingestand. Denn dieses Sondervermögen hat große konstruktive Ähnlichkeiten mit dem KTF. Der 2020 ursprünglich zur pandemiebedingten Stabilisierung der Wirtschaft als „Doppelwumms“ gegründete WSF war anfangs mit 600 Milliarden Euro ausgestattet. Da weniger Mittel benötigt wurden, wurde das Volumen 2022 auf 250 Milliarden Euro angepaßt. Zugleich wurde der WSF im November 2022 ermächtigt, für 200 Milliarden Euro Kredite aufzunehmen, damit die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen zur Abfederung der Folgen der Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs in den Jahren 2022 bis 2024 finanziert werden können. Quasi eine Übertragung von Mitteln auf einen neuen Zweck mit neuer Begründung für zukünftige Jahre, in denen die Einhaltung der Schuldenbremse bislang zumindest geplant ist. 

Damit dürfte der „Veranlassungszusammenhang“ gerissen sein. Das besondere Problem hier: Während beim KTF die Kreditermächtigungen noch nicht gezogen wurden, sind die Gelder für die Gas- und Strompreisbremse sowie für Stützungsmaßnahmen an Unternehmen teils schon verausgabt. Hinzu kommt, daß in fünf Bundesländern mit ähnlichen Tricks Sondervermögen installiert wurden (in Milliarden Euro): Berlin (10), Bremen (3), Nordrhein-Westfalen (5), Saarland (3) und Schleswig-Holstein (5,5). Auch hier könnte Ungemach drohen. Welche Maßnahmen könnten die Situation aktuell retten? In der ersten „Bereinigungssitzung“ des Haushaltsausschusses wurden einige wenige Einsparungen beschlossen, allerdings wurden auch erhebliche Mehrausgaben für das Bürgergeld (1,4 Milliarden Euro), den Kapitalstock für die gesetzliche Rente (zwölf  Milliarden Euro) und die Unterstützung von Studenten (150 Millionen) beschlossen.

Aussetzung der Schuldenbremse auch für 2023 und 2024?

Damit dürften die wegen der schlechten konjunkturellen Lage für nächstes Jahr maximal möglichen neuen Kredite von knapp 22 Milliarden Euro bereits verplant sein. Notwendig wären Prioritätensetzungen mit Kürzungspotential: Ukraine-Militärhilfe (acht Milliarden Euro); Flüchtlingsausgaben, speziell der sofortige Bürgergeldanspruch für Ukraine-Flüchtlinge (insgesamt etwa 50 Milliarden Euro); zeitliche Streckung der Dekarbonisierung (geringere Kosten mit weniger Verteilungskonflikten); Bürgergeld (26 Milliarden Euro); Kindergrundsicherung (3,5 bis zehn Milliarden Euro); Handwerkerbonus (0,9 Milliarden Euro).

Wichtig wäre auch, die Haushaltskrise als Chance zu begreifen. Ein globaler Einsatz eines CO2-Preises statt Regulierung, staatliche Förderung und Bevormundung; eine drastische Senkung der staatlichen Finanzhilfen (beispielsweise Strom- und Gaspreisbremse, Förderung von Elektromobilität und Wasserstofftechnologie) von derzeit 208 Milliarden Euro und die Hebung von Effizienzpotentialen bei der Bundeswehr von 25 Prozent des Verteidigungshaushaltes (52 Milliarden Euro). Doch was liegt näher, als den leichten Weg zu gehen: Aussetzung der Schuldenbremse auch für 2023 und 2024 mit einfacher Mehrheit und langfristig eine verfassungsrechtliche Anhebung der Schuldenbremse von derzeit 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

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