© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/23 / 20. Oktober 2023

Ein Pulverfaß ohne Boden
Nahost-Konflikt: Seit Jahrzehnten ist die Bundes-regierung einer der spendabelsten Geldgeber für die Palästinensergebiete / Der Verdacht der Terrorfinanzierung über Umwege drängt sich auf / Berlin kommuniziert äußerst intransparent
Sandro Serafin

Mit dem Krieg der Hamas und weiterer Terrorgruppen gegen Israel erhält die Finanzierung der Palästinenser durch westliche Geldgeber neue Aufmerksamkeit. Wer die Nahost-Politik Deutschlands und der Europäischen Union verfolgt, weiß schon lange um die problematischen Geldflüsse aus Berlin und Brüssel in Richtung Gaza und Ramallah. Von einem Faß ohne Boden zu sprechen, wäre untertrieben. Nahezu monatlich vermeldet die offizielle palästinensische Nachrichtenagentur Wafa einen neuen Geldregen: „Europäische Union stellt 22 Millionen Euro bereit“ (15. August), „Deutschland unterzeichnet 28 Millionen Euro schweres Projekt“ (3. August), „Deutschland stellt 37 Millionen Euro bereit“ (26. Juli), „Deutschland stellt 125 Millionen Euro zur Verfügung“ (23. Mai).

Die Finanzflüsse sind oft nicht leicht zu durchschauen und akkurate Zahlen schwer zu benennen, da auch die offiziellen Stellen teils widersprüchliche Angaben machen und Geld auf verschiedenen Wegen in die Region kommt und dabei teils über Umwege verschoben wird. Ein wichtiger Empfänger europäischer Finanzspritzen ist die Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Die Bundesregierung leistet nach eigenen Angaben keine direkten Hilfen an die PA, sondern setzt ihre millionenschweren Entwicklungshilfeprojekte mit Durchführungsorganisationen um. Anders sieht es bei der Europäischen Union aus. Und deren Haushalt setzt sich wiederum aus den Zahlungen der Mitgliedsstaaten, also auch Deutschlands, zusammen.

Dem „Finanztransparenzsystem“ der EU läßt sich entnehmen, daß der Staatenverbund der Autonomiebehörde in den vergangenen fünf Jahren fast 600 Millionen Euro überwiesen hat. Allein im vergangenen Jahr waren es demnach mehr als 137 Millionen Euro. Das Geld sollte dabei etwa in Covid-19-Impfungen oder in Krankenhäuser in Ostjerusalem gehen. Vor allem überweist die EU aber auch Geld für die Bezahlung der Gehälter und Pensionen palästinensischer Beamter: Hierfür sind für den Zeitraum von Mitte 2022 bis Mitte 2024 55 Millionen Euro vorgesehen.

Die Autonomiebehörde entstand mit den Oslo-Abkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in den 1990er Jahren. Sie wird von der Fatah-Partei kontrolliert und soll sich als quasi-staatliche Einrichtung vor allem um das Alltagsleben der Palästinenser kümmern – aktuell beschränkt auf das Westjordanland, da im Gazastreifen die Hamas regiert. Dabei ist die PA eine widersprüchliche Institution: Auch vielen israelischen Politikern gilt sie als notwendiges Übel, um die Situation im Westjordanland stabil zu halten; israelische Sicherheitskräfte kooperieren sogar mit denen der PA, wenn sie Terrorzellen ausschalten.

Deutsche Zahlungen seit Trumps Amtszeit massiv erhöht

Gleichzeitig ist die Behörde aber völlig korrupt und zudem selbst tief in Terrorförderung verstrickt. Ihr Präsident Mahmud Abbas ist nicht nur verbal darum bemüht, sich als oberster Sachwalter der „Märtyrer“ aufzuspielen; die Autonomiebehörde überweist auch seit jeher Gelder an Angehörige getöteter Terroristen sowie an Terroristen selbst und stellt diese nach ihrer Gefängniszeit bei sich an. EU und Bundesrepublik streiten ab, dieses System der „Zahlung gegen Mord“ direkt mitzufinanzieren. Dem läßt sich jedoch eine einfache Überlegung entgegenhalten: Wenn die EU der Autonomiebehörde an einer Stelle finanziell unter die Arme greift, hat diese Mittel frei, um an anderer Stelle Terrorgehälter auszuzahlen.

Ein weiterer Profiteur internationaler Hilfsgelder ist das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA). Die UNRWA listet Deutschland für 2022 hinter den USA auf Platz zwei der stärksten Geberländer mit Zusagen von mehr als 202 Millionen US-Dollar (die Bundesregierung spricht von Zahlungen von „mehr als 190 Millionen Euro“), gefolgt von der EU mit mehr als 114 Millionen US-Dollar. Berlin hat seine Zahlungen in den vergangenen Jahren drastisch erhöht. Hintergrund der radikalen Aufstockung in den letzten Jahren ist unter anderem, daß die USA unter Donald Trump ihre Zahlungen zwischenzeitlich eingestellt hatten. Berlin rühmte sich, Verantwortung übernommen und für Washington eingesprungen zu sein.

Kritiker sehen mangelnde Distanz zur Hamas

Dabei ist die UNRWA, die neben dem Gaza­streifen und dem Westjordanland auch in anderen arabischen Ländern aktiv ist, eine nicht weniger problematische Institution als die Autonomiebehörde. Das gilt schon deswegen, weil sie die Konservierung und nicht die Lösung des israelisch-arabischen Konflikts symbolisiert. Grund dafür ist vor allem, daß die 1949 ins Leben gerufene Organisation nicht nur Palästinenser, die ihre Häuser verlassen haben, geflüchtet sind oder vertrieben wurden, als „Flüchtlinge“ mit einem „Rückkehrrecht“ behandelt, sondern auch deren Nachkommen. Da es nach dieser Logik heute insgesamt sechs Millionen palästinensische „Flüchtlinge“ gibt, würde die Umsetzung eines „Rückkehrrechts“ Israel als jüdischen Staat liquidieren.

Auch sonst spielt die UNRWA im Konflikt eine zweifelhafte Rolle. Die beiden NGOs UN Watch und IMPACT-se stellten erst in diesem Jahr in einem Bericht fest, es gebe „triftige Belege“ dafür, daß das Werk UN-Regeln „kraß und systematisch“ verletze. Dies gelte etwa bei der Anstellung von Lehrkräften: Die meisten UNRWA-Angestellten sind selbst palästinensische „Flüchtlinge“ und zeigen teils keine Distanz zu Terrorgruppen wie der Hamas. Die erwähnte Studie stellte auch fest, daß in UNRWA-Schulen „Aufstachelung zu Haß, Antisemitismus und Terror“ verbreitet seien.

Davon abgesehen stellt sich grundsätzlich die Frage, inwiefern internationale Geber wirklich überprüfen können, wo die Gelder im von der Hamas diktatorisch regierten Gazastreifen am Ende landen. Interessant ist das Beispiel der Islamischen Universität in Gaza, die im letzten Jahrzehnt von der EU mit 1,76 Millionen Euro gefördert wurde: Laut dem israelischen „Meir-Amit-Informationszentrum für Geheimdienst und Terrorismus“ handelt es sich bei der Bildungseinrichtung um eine „Hamas-Hochburg“. Die Islamisten hielten in den Uni-Räumlichkeiten politische, ideologische und militärische Veranstaltungen ab, so das Zentrum. Anfang dieses Jahres teilte die Kommission mit, daß sie 2021 den Prozeß zur Unterzeichnung eines weiteren Finanzübereinkommens abgebrochen habe, weil der universitäre Partner keine Zusage abgeben wollte, nicht mit von der EU sanktionierten Personen zu kooperieren.

Wenn man über Finanzflüsse an die Palästinenser redet, müssen auch die Gelder an zahlreiche Nichtregierungsorganisationen mit einer hochproblematischen Agenda erwähnt werden. Die NGO Al-Haq etwa erhielt laut EU-Datenbank zwischen 2018 und 2021 für ein Projekt bis zu 300.000 Euro. Die Organisation ist auch Partner des Zivilen Friedensdienstes, der wiederum von der Bundesregierung gefördert wird. Die israelische Regierung stufte Al-Haq 2021 als terroristisch ein.

Den Terrorüberfall auf israelische Zivilisten vom 7. Oktober beschreibt die Organisation in einer aktuellen Stellungnahme in Hamas-Diktion als „Operation in Reaktion auf eskalierende israelische Verbrechen gegen das palästinensische Volk“. Unterschrieben haben auch das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte, das von der EU in einem bis 2024 laufenden Projekt 475.000 Euro erhalten soll; und die Organisation Al Mezan, die von der EU für ein aktuelles Projekt 375.000 Euro ergattern konnte. Auch die Organisation Aman steht mit einigen hunderttausend Euro auf der Förderliste der EU: Sie nennt den Hamas-Terrorangriff eine „legitime Verteidigungsoperation des palästinensischen Widerstands“.

Mit Blick auf den 7. Oktober werden allmählich jene Stimmen in Europa lauter, die ein Ende jeglicher Hilfszahlungen an die palästinensisch verwalteten Gebiete fordern.