© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

Bekenntnis zum Volk soll reichen
Bundestag: Spätaussiedler müssen für ihre Anerkennung hohe Hürden überwinden / Ein besonderes Ärgernis soll endlich beseitigt werden
Christian Vollradt

Immerhin darüber ist man sich im Bundestag einig: Die Bürokratie hierzulande darf Angehörigen der deutschen Minderheit in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die als Spätaussiedler anerkannt werden wollen, nicht mehr unnötig Steine in den Weg legen. Streit gab und gibt es nur darüber, wer verantwortlich ist für die derzeit mißliche Lage der Betroffenen. 

Um Abhilfe zu schaffen, haben die Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und FDP vergangene Woche im Plenum den von der Bundesregierung bereits im Juni beschlossenen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes eingebracht. Der sieht vor, bei den „Anforderungen für den Nachweis des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum“ zur früheren Verwaltungspraxis zurückzukehren. Damit soll eine weiter steigende Zahl von abgelehnten Anträgen und dadurch ein „mittelfristig drohender Rückgang der Aufnahmemöglichkeiten für Spätaussiedler“ verhindert werden, heißt es zur Begründung.

Kern des Problems ist die Praxis des sogenannten „Gegenbekenntnisses“ (JF 14/23). Diese liegt vor, sobald in amtlichen Dokumenten eine nichtdeutsche Volkszugehörigkeit eingetragen wurde. Das wiederum steht dem für die Anerkennung als Spätaussiedler notwendigen Bekenntnis zum deutschen Volkstum so lange entgegen, bis davon wirksam abgerückt wurde. 

Um doch noch anerkannt zu werden, mußten die betroffenen Antragsteller „äußere Tatsachen nachweisen, die einen inneren Bewußtseinswandel und den Willen erkennen lassen, nur dem deutschen und keinem anderen Volk anzugehören“. Dafür reichten zuweilen noch nicht einmal gute Deutschkenntnisse oder sogar DNA-Abstammungsnachweise aus.

Innenministerium räumt „unbillige Härten“ ein

Betroffene und die Interessenvertretungen der deutschen Minderheit hatten diese Praxis schon seit längerer Zeit heftig kritisiert. Auch das Bundesinnenministerium räumte ein, daß „die erhöhten Anforderungen mitunter zu unbilligen Härten führen“. Strittig ist nach wie vor, inwieweit die Praxis des Bundesverwaltungsamtes nur den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts folgte oder seinerseits die Anforderungen erhöhte. 

Während das Bundesinnenministerium und die Ampel-Parteien die Position vertreten, die erhöhten Anforderungen seien eine direkte Folge der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wirft die Opposition der Bundesregierung und insbesondere der Aussiedlerbeauftragten Natalie Pawlik (SPD) vor, die Verantwortung dafür zu tragen. 

Während der Debatte im Bundestag am vergangenen Donnerstag nannte der CDU-Bundetagsabgeordnete Christoph de Vries den „zwischenzeitlichen Aufnahmestopp für Spätaussiedler einen humanitären Skandal“. Zudem warf er der Koalition mangelndes Tempo vor. „Zwei Sätze in einem Gesetz zu ändern, das kann auch schneller als in anderthalb Jahren gehen“. Für die AfD kritisierte der Abgeordnete Eugen Schmidt, daß „Sozialmigranten“ nur das Wort „Asyl“ zu sagen bräuchten, um „ein Rundum-sorglos-Paket“ zu bekommen, während deutsche Spätaussiedler einen „bürokratischen Marathon“ zu absolvieren hätten.

Der Gesetzentwurf der Regierungskoalition sieht im Wesentlichen vor, daß „eine Änderung des Bekenntnisses durch bloße Änderung der Volkszugehörigkeit in allen amtlichen Dokumenten bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete erlaubt“ wird. Bei den Änderungsbemühungen sei „wie bisher deren Ernsthaftigkeit“ zu prüfen, auch wenn sie letztlich erfolglos blieben. Die Bundesregierung geht davon aus, daß durch die Reform „voraussichtlich etwa 80.000 Personen mehr im Rahmen der Aufnahme nach Deutschland kommen als nach derzeitiger Rechtslage“.

Die AfD spricht sich in einem eigenen Antrag ebenfalls für die Änderung des Bundesvertriebenengesetzes aus. Darin fordert die Bundestagsfraktion, daß in der Rechtspraxis des Bundesverwaltungsamtes „formalisierte Eintragungen aus der Vergangenheit weniger Gewicht haben müssen als das aktuelle Bekenntnis zum deutschen Volkstum“. Dieses solle künftig „maßgeblich für die Anerkennung als deutscher Volkszugehöriger“ sein. Auch müsse der Krieg in der Ukraine sowie die Möglichkeit, daß „unsere Landsleute in Rußland zunehmend Benachteiligungen ausgesetzt“ seien, bei der Aufnahme von deutschen Spätaussiedlern berücksichtigt werden. Nach den notwendigen Änderungen bei den Richtlinien für das Bundesverwaltungsamt seien auch die zuvor abgelehnten Bewerber darüber zu informieren. Außerdem fordert die AfD, künftig auf die „Verwendung der Formulierung ‘Gegenbekenntnis’“ zu verzichten. 

Die beiden Anträge wurden zu weiteren Beratungen in die zuständigen Ausschüsse des Bundestags überwiesen.